Im Falle eines Wahlsieges von Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff bei der heute stattfindenden Bundespräsidentenwahl hilft ihm nur eine juristisch komplizierte Konstruktion bei der Amtsannahme. Die entscheidende Hürde stellt Art. 55 des Grundgesetzes dar.
Die Verfassungsnorm sieht unmissverständlich vor, dass der Bundespräsident weder der Regierung noch einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes angehören darf. Wulff will jedoch bis zum letzten Moment seinen Posten als Ministerpräsident behalten. Dass es derzeit kein amtierendes Staatsoberhaupt gibt, wodurch ein Zeitfenster von mehreren Wochen zur Amtsübergabe entstanden wäre, verkompliziert den Sachverhalt weiter.
Diese bislang einmalige problematische Konstellation lösten Verfassungsjuristen aus Berlin und Hannover wie folgt: Gewönne Wulff die Wahl, würde er vor der offiziellen Amtsannahme in einem Zimmer des Bundestages zwei Briefe übergeben.
In einem an den niedersächsischen Landtagspräsidenten Hermann Dinkla (CDU) adressierten Schreiben würde er mit sofortiger Wirkung von seinem Regierungsamt in Hannover zurücktreten. Im zweiten Brief übertrüge er die Amtsgeschäfte auf seinen Stellvertreter Jörg Bode (FDP), um der niedersächsischen Landesverfassung gerecht zu werden; hiernach muss ein zurückgetretener Ministerpärsident die Geschäfte bis zur Wahl seines Nachfolgers weiterführen.
Erst nach Erfüllung dieser Voraussetzungen wäre der Weg frei zum "Ja" auf die Frage des Parlamentspräsidenten Norbert Lammert (CDU) zur Annahme der Wahl.
Ein letztes Problem besteht darin, wann und wie Wulff von seinem potentiellen Wahlerfolg erfährt. Nach schon länger geübtem Brauch werden zumindest die Fraktionsvorsitzenden noch vor den übrigen Mitgliedern der Bundesversammlung vorab informiert.
Ansonsten gibt es ja immer noch Twitter.
Bundespräsidentenwahl: . In: Legal Tribune Online, 30.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/851 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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