Der Legalisierungsgesetzgeber hat im Konsumcannabisgesetz nicht definiert, wann eigentlich die "geringe Menge" beginnt. Das löste erhebliche Kritik aus, nun auch vonseiten der Bundesrechtsanwaltskammer. Sie plädiert für die Streichung.
In der Debatte um das im Rahmen der Cannabis-Teillegalisierung erlassene Konsumcannabisgesetz (KCanG) fordert die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) eine Korrektur der "Wertungswidersprüche" bzw. die verfassungskonforme Auslegung einzelner Normen.
Im Zuge der Entkriminalisierung wurden im KCanG auch cannabisbezogene Strafvorschriften neu geregelt. Hieran regt sich seitdem Kritik, insbesondere daran, dass die "nicht geringe Menge" insoweit nicht explizit geregelt wurde bzw. in der Rechtsprechung weiterhin restriktiv ausgelegt wird.
Konkret sieht die BRAK eine Unvereinbarkeit der geltenden Normen mit dem in Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz (GG) verankerten Bestimmtheitsgrundsatz. Denn hiernach solle eigentlich sichergestellt werden, dass "der Gesetzgeber und nicht erst die Gerichte über die Strafbarkeit oder Ahndbarkeit entscheiden", wie die BRAK unter Berufung auf einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darlegt. Gleichwohl seien Unschärfen bei normativen Tatbestandsmerkmalen hinzunehmen, "sofern das Risiko einer Bestrafung erkennbar ist und eine Nachkonturierung durch die Rechtsprechung möglich ist".
Jedoch stellt die BRAK für die Rechtsprechung fest, dass diese sich "außer Stande sieht", die gesetzgeberisch geforderte Ausfüllung des Begriffs der "nicht geringen Menge" vorzunehmen. Denn mehrere Senate des Bundesgerichtshofs (BGH) blieben trotz Reformierung der Strafvorschriften und der Verschiebung von § 29 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) in § 34 KCanG unentwegt bei der bisherigen Rechtsprechung; LTO berichtete. Der Strafrechtler Konstantin Grubwinkler kam in seiner Analyse für LTO insoweit gar zu dem Ergebnis, diese Rechtsprechung sei verfassungswidrig. Auch Dr. Sebastian Sobota führte in einem Gastbeitrag für LTO ähnliche Kritikpunkte an.
Streichung statt Neuregelung?
Auch die BRAK bewertet diese Lage als "prekär und unter Gewaltenteilungsaspekten dauerhaft nicht hinnehmbar". Denn soweit es exklusiv dem Gesetzgeber obliege, über die Strafbarkeit grundlegend zu entscheiden, müsste er dem Richter insoweit tatsächlich "valide Bindungen auferlegen". Folglich hält die BRAK es für "außerordentlich zweifelhaft", dass das Delegationsverbot und das Dezisionsgebot im Rahmen von Art. 103 Abs. 2 GG hinreichend beachtet wurden.
Ob es zu einer Neuregelung kommt, ist noch unklar. Vor einigen Wochen hatte die SPD-Rechtspolitikerin Carmen Wegge gegenüber LTO geäußert: "Wir befinden uns bereits in Gesprächen mit dem Bundesjustizministerium und ich gehe davon aus, dass uns Herr Buschmann zeitnah in dieser Sache ein Vorgehen vorschlagen wird. Ich bin weiterhin der Ansicht, dass wir als Gesetzgeber hier handeln müssen. Die Haltung des BGH ist für mich nicht nachvollziehbar. Die Senate missachten bewusst den gesetzgeberischen Willen."
Bis zu einer etwaigen Neuregelung fordert die BRAK eine verfassungskonforme bzw. insoweit restriktive Auslegung von § 34 Abs. 3 Nr. 4 und Abs. 4 Nr. 3, 4 KCanG. Soweit sich der Gesetzgeber aber dauerhaft außerstande sehen würde, die "nicht geringe Menge" genau zu definieren, regt die BRAK den vollständigen Verzicht auf diesen Rechtsbegriff an. Zugleich liefert die Kammer auch einen eigenen Vorschlag: Die "nicht geringe Menge" soll als explizites Regelbeispiel gestrichen werden, solle aber als unbenannter besonders schwerer Fall erfassbar bleiben.
jb/LTO-Redaktion
Red Hinweis: In einer ersten Version hieß es unzutreffend, das KCanG habe die kontrollierte Abgabe in Geschäften vorgesehen. Tatsächlich ist dies in der “ersten Säule” der Teillegalisierung nicht passiert. Ob in der aktuellen Legislaturperiode entsprechende Modellprojekte gesetzlich ermöglicht werden (Säule 2 der Teillegalisierung), ist derzeit offen.
BRAK sieht Verstoß gegen Bestimmtheitsgebot: . In: Legal Tribune Online, 06.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55160 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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