7,5 Gramm und nicht mehr: Nach dem 1. Strafsenat folgen inzwischen noch vier weitere Strafsenate des BGH den strengen Anträgen der Bundesanwaltschaft zum Cannabiswirkstoff THC. Trotz Teillegalisierung. Handelt jetzt der Gesetzgeber?
Auch nach der Teillegalisierung von Cannabis ist das kommerzielle Handeltreiben immer noch strafbar. Wenn es eine "nicht geringe Menge" betrifft, drohen gem. § 34 Abs 3 Nr. 4 Konsum-Cannabisgesetz erhöhte Strafen ab drei Monaten Gefängnis. Was eine "nicht geringe Menge" ist, sagt das Gesetz aber nicht, Die Klärung ist also - wie schon beim Betäubungsmittelgesetz - Aufgabe der Rechtsprechung.
Schon 1984 hat der Bundesgerichtshof die "nicht geringe Menge" des Cannabis-Wirkstoffs THC auf 7,5 Gramm festgelegt. Für eine berauschende Wirkung seien 15 mg THC erforderlich; wenn dies mit 500 Konsumeinheiten multipliziert wird, ergeben sich 7,5 Gramm. Daran hielt der BGH über die Jahrzehnte fest.
In der Gesetzesbegründung zum Cannabis-Konsumgesetz (BT-DrS 20/8704) wurde aber ein neuer Wind versprochen. Der konkrete Wert einer nicht geringen Menge werde von der Rechtsprechung "aufgrund der geänderten Risikobewertung" zu entwickeln sein, heißt es dort. Und direkt im Anschluss folgt eine vermeintlich deutliche Formulierung: "Im Lichte der legalisierten Mengen wird man an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten können und wird der Grenzwert deutlich höher liegen müssen als in der Vergangenheit."
BGH sorgt für Erstaunen
Umso erstaunter waren viele, als der 1. Strafsenat (Beschl. vom 18. April 2024, Az. 106/24) erstmals nach der Teillegalisierung die "nicht geringe Menge" THC definierte. Wie zuvor lag sie bei 7,5 Gramm, sie blieb also völlig unverändert. Die zuständige Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion, Carmen Wegge, schrieb auf X, vormals Twitter: "Aufgrund dieses Beschlusses werden wir als Gesetzgeber noch einmal darüber reden müssen, ob wir die geringe Menge definieren müssen. Die Gesetzesbegründung so zu ignorieren, entspricht nicht meinem Verständnis von einem respektvollen Miteinander der Gewalten in diesem Land."
Der Anwalt Konstantin Grubwinkler kritisierte die BGH-Entscheidung auf LTO sogar als verfassungswidrig. Der rechtsprechenden Gewalt sei es "verboten, die Voraussetzungen einer Bestrafung gegen den Willen des Gesetzgebers festzulegen." Andernfalls liege "ein Verstoß gegen den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz, den strengen Gesetzesvorbehalt in Art. 103 II GG, vor". Es werde "nur eine Frage der Zeit sein", prophezeihte Grubwinkler, "bis ein anderer Senat des BGH zur selben Thematik den großen Senat für Strafsachen anrufen wird."
Bundesanwaltschaft überzeugt fünf Senate
Beim Jahrespressegespräch der Bundesanwaltschaft am Dienstagabend zeigte sich jedoch eine ganz andere Entwicklung. Nach Darstellung von Generalbundesanwalt Jens Rommel haben vier weitere BGH-Strafsenate die Linie des 1. Strafsenats übernommen und ebenfalls 7,5 Gramm als "nicht geringe Menge" THC festgelegt. Auch der bisher noch fehlende 3. Strafsenat sei kein Dissenter, sondern hat wohl noch gar nicht zu dieser Frage entschieden. Der BGH bestätigte diese Darstellung.
Nach Informationen von LTO geht es um folgende BGH-Entscheidungen: 2. Strafsenat - Az.: 2 StR 480/23, 4. Strafsenat - Az.: 4 StR 4/24, 5. Strafsenat - Az.: 5 StR 136/24 und 5 StR 153/24 und 6. Strafsenat - Az.: 6 StR 124/24 und 6 StR 132/24.
Generalbundesanwalt Rommel hatte das Thema angesprochen, weil die BGH-Senate hier einhellig den Anträgen der Bundesanwaltschaft folgten, die Vorarbeiten also in seiner Behörde geleistet wurden.
GBA: "Gesetzgeber hätte andere Menge festlegen können"
Auch im Jahrespressegespräch verteidigte er die Abweichung von den gesetzgeberischen Vorstellungen. "Maßstab ist für uns der Gesetzestext, der vom Parlament beschlossen wurde.
Die Gesetzesbegründung der Bundesregierung wurde nicht vom Bundestag beschlossen", argumentierte Rommel und fügte hinzu "Der Gesetzgeber hätte ja durchaus eine andere 'nicht geringe Menge' festlegen können. Dann hätte er sie aber ins Gesetz schreiben müssen", so Rommel.
Bundesanwalt Ralf Wehowsky, Leiter der zuständigen Revisionsabteilung in der Bundesanwaltschaft, stimmte Rommel zu. "Zwar ist auch die historische Auslegung eine klassische Auslegungsmethode; der Wille des Gesetzgebers ist beim Cannabis-Konsumgesetz aber widersprüchlich. Laut Gesetzesbegründung ist Cannabis immer noch ein gefährliches Rauschmittel, eine 'geänderte Risikobewertung' ist nicht zu erkennen", so Wehowsky. Die Teil-Legalisierung sei vor allem mit den Gefahren des Schwarzmarkts begründet worden.
SPD erwartet Änderungsvorschlag vom Bundesjustizminister
Ob nun der Hinweis des Generalbundesanwalts, man könne ja auch einen anderen Wert ins Gesetz schreiben, vom Gesetzgeber alsbald aufgegriffen wird, ist noch offen. In den Ampelfraktionen fallen diesbezüglich die Prognosen uneinheitlich aus. Optimistisch zeigt sich SPD-Rechtspolitikerin Wegge gegenüber LTO: "Wir befinden uns bereits in Gesprächen mit dem Bundesjustizministerium und ich gehe davon aus, dass uns Herr Buschmann zeitnah in dieser Sache ein Vorgehen vorschlagen wird. Ich bin weiterhin der Ansicht, dass wir als Gesetzgeber hier handeln müssen. Die Haltung des BGH ist für mich nicht nachvollziehbar. Die Senate missachten bewusst den gesetzgeberischen Willen."
Weniger Zuversicht im Hinblick auf eine Gesetzesänderung herrscht dagegen indes bei den Grünen. Die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses Kirsten Kappert-Gonther sagte zu LTO: "Eine Klarstellung zur nicht geringen Menge müsste im Cannabisgesetz erfolgen. Nach meiner Kenntnis verweisen BMJ und BMG auf die Zuständigkeit des jeweils anderen Hauses. Ich sehe daher leider nicht, dass es alsbald zu einer Regelung kommen wird."
Eine Sprecherin des BMJ antwortete auf die entsprechende Anfrage so wie von Kappert-Gonther vermutet: Für das Thema zuständig sei das für das Cannabisgesetz "federführend zuständige BMG". Aus dem Haus von Karl Lauterbach (SPD) erhielt LTO trotz mehrfacher Nachfrage bis zum Erscheinen dieses Artikels keine Antwort.
Auch wenn bei der Bestimmung der "nicht geringen Menge" THC jedenfalls so bald nicht mit einer Änderung der BGH-Rechtsprechung zu rechnen ist, so blieb die Teillegalisierung doch auch beim Handeltreiben nicht ohne Wirkung. Denn durch das Cannabis-Konsumgesetz wurde der Strafrahmen beim Handel mit einer "nicht geringen Menge" immerhin von einem Jahr bis 15 Jahren auf drei Monate bis fünf Jahre gemildert.
Fünf Senate bei Cannabis-THC-Grenzwert einig: . In: Legal Tribune Online, 21.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54818 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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