Wer in Berlin sein Haus dämmen möchte, kann in den meisten Fällen dafür die Grundstücksgrenze zum Nachbarn überschreiten. Der BGH hat Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser lockeren Regelung. Überzeugt ist er allerdings nicht.
Das Land Berlin darf die nachträgliche Dämmung von Altbauten weiterhin auch zulasten betroffener Nachbarn ermöglichen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zwar Zweifel, ob die weitgehende Berliner Regelung noch verfassungsgemäß ist. Überzeugt sind die Richter von der Verfassungswidrigkeit aber nicht (Urt. v. 23.07.2022, Az.V ZR 23/21).
Die Parteien des Verfahrens sind Eigentümerinnen benachbarter Grundstücke in Berlin. Eine der Eigentümerinnen will im Rahmen einer Fassadensanierung den Giebel ihres Gebäudes mit einer Dämmung versehen und dabei über die Grenze zum Grundstück der anderen Eigentümerin hinüberbauen.
Das Amtsgericht (AG) Pankow/Weißensee war als erste Instanz der Meinung gewesen, die betroffene Nachbarin müsse die Überbauung ihres Grundstücks zum Zwecke der Wärmedämmung dulden. Das Landgericht (LG) Berlin hatte die Berufung der Betroffenen schließlich ebenso zurückgewiesen.
Klimaschutzgebot rettet die Norm
Auch mit ihrer Revision vor dem BGH blieb sie nun erfolglos. Sie muss die Arbeiten zur Wärmedämmung akzeptieren. Dreh- und Angelpunkt des Streits war die Vorschrift des § 16a des Berliner Nachbargesetz (NachbarG), die regelt, wann grenzüberschreitende Wärmedämmungen zu dulden sind. Dessen einzige Voraussetzung liege vor, so der BGH. Diese sei nämlich, dass die Überbauung zum Zwecke der Dämmung eines bereits bestehenden, entlang der Grundstücksgrenze errichteten Gebäudes erfolgt - so wie hier.
Der Senat hat allerdings Zweifel an der materiellen Verfassungsmäßigkeit der Norm. Es sei nicht klar, ob sie mit Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vereinbar sei. In den Regelungen anderer Bundesländer werde der Duldungsanspruch nämlich durchweg von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht, führten die Richter aus. Berlin wollte die Vorschrift aber möglichst einfach halten. Deshalb haben die Richter Bedenken geäußert, ob die Norm im engeren Sinne verhältnismäßig ist. Insbesondere gehe es um die Frage, ob die Interessen des duldungspflichtigen Nachbarn ausreichend berücksicht seien und damit der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum eingehalten sei.
Am Ende war der BGH jedoch der Ansicht, dass die Norm noch als verhältnismäßig anzusehen ist. Es sei nämlich zu berücksichtigen, dass die Regelung aus Sicht des Gesetzgebers nicht allein das Verhältnis zweier Grundstückseigentümer untereinander betrifft, sondern vor allem dem Klimaschutz und damit einem anerkannten Gemeinwohlbelang diene. Diesem komme über das aus Art. 20a Grundgesetz (GG) abgeleitete Klimaschutzgebot zudem Verfassungsrang zu. Deshalb waren die BGH-Richter nicht von der Verfassungswidrigkeit überzeugt. Das wäre für eine Vorlage beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Überprüfung über eine konkrete Normenkontrolle aber nötig gewesen.
cp/LTO-Redaktion
mit Material der dpa
BGH bestätigt Berliner Nachbarschaftsregelung: . In: Legal Tribune Online, 01.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48912 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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