BGH zum Berliner Zwillingsfall: Es war Tot­schlag, kein Schwan­ger­schafts­ab­bruch

04.01.2021

Bei der Geburt von Zwillingen litt eines der Babys an schweren Hirnschäden, war aber lebensfähig. In Absprache mit der Mutter töteten die Ärzte dieses. Von straffreiem Schwangerschaftsabbruch kann dabei keine Rede sein, so auch der BGH.

Die Tötung eines lebensfähigen Babys bei bzw. nach der Geburt stellt ein strafbares Tötungsdelikt dar und keinen straffreien Schwangerschaftsabbruch. Dies bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am Montag veröffentlichten Beschluss (v. 11.11.2020, Az. 5 StR 256/20).

2010 war eine Frau mit Zwillingen schwanger gewesen. Im Laufe der Schwangerschaft kam es zu Komplikationen und ein Zwilling erlitt schwere Hirnschäden, der andere aber entwickelte sich weitgehend normal. Nachdem sich die Mutter hatte beraten lassen, wurde die Indikation für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch gestellt. Da es sich aber um Zwillinge handelte und nur hinsichtlich eines Zwillings der Abbruch durchgeführt werden sollte, bestanden erhebliche Risiken für den anderen Zwilling.

Eine medizinische Lösung, die vom gängigen Verfahren abweicht

Zur Zeit der sich anbahnenden Geburt wurde diese Art von Eingriff deshalb nur von sehr wenigen spezialisierten Kliniken durchgeführt. Die Mutter wollte den Eingriff gleichwohl durchführen lassen, fühlte sich aber in der von ihr aufgesuchten Spezialklinik nicht gut betreut. Sie wandte sich deshalb an die Oberärztin einer anderen Klinik für Geburtsmedizin.

Das damals gebräuchliche Verfahren für einen selektiven Abbruch wurde in dieser Klinik jedoch nicht angeboten. Stattdessen entwickelte die Mutter zusammen mit der Oberärztin und dem Leiter der Klinik den Plan, das gesunde Kind mittels Kaiserschnitts zu entbinden und sodann den Zwilling mit dem geschädigten Hirn zu töten.

Als dann bei der werdenden Mutter die Wehen einsetzten, folgten die Ärzte ihrem Plan und verabreichtem dem geschädigten, aber lebensfähigen Zwilling eine Kaliumchloridlösung, nachdem sie den gesunden Zwilling aus dem Mutterleib geholt hatten. Jahre nach der Entbindung wurde die Staatsanwaltschaft dann durch eine anonyme Anzeige auf das Geschehen aufmerksam.

Zu spät, um als Schwangerschaftsabbruch zu gelten

Das zunächst mit dem Fall befasste Landgericht (LG) Berlin (Urt. v. 19.11.2019, Az. (532 Ks) 234 Js 87/14 (7/16)) hatte die Ärztin und den Arzt wegen gemeinschaftlichen Totschlags verurteilt. Dies bestätigte der in Leipzig ansässige 5. Strafsenat des BGH nun. Die Regeln über einen Schwangerschaftsabbruch würden nur bis zum Beginn der Geburt beginnen. Bei einer Entbindung mittels Kaiserschnitts beginne die Geburt mit der Eröffnung der Gebärmutter, wenn das Kind damit vom Mutterleib getrennt werden soll. Dies gilt nach Auffassung des BGH unabhängig davon, ob ein oder mehrere Kinder geboren werden. Die Tötung des zweiten Zwillings nach Entbindung des ersten Zwillings sei somit nach Beginn der Geburt erfolgt, ein straffreier Schwangerschaftsabbruch scheide damit aus.

Auf einen solchen hatten sich der Arzt und die Ärztin nämlich zu ihrer Verteidigung berufen. Der Vorsitzende Richter stellte jedoch sehr deutlich klar: "Auch Feld-, Wald- und Wiesenärzte wissen, dass es verboten ist, ein Kind im offenen Mutterleib totzuspritzen." Es habe sich vorliegend um das nicht hinnehmbare "Aussortieren eines kranken Kindes" gehandelt.

Lediglich die vom LG verhängten Strafen hob der BGH hinsichtlich ihrer Höhe auf. So hatte das LG der angeklagten Ärztin und dem angeklagten Arzt straferschwerend zur Last gelegt, dass sie die Tat geplant und nicht in einer Notsituation begangen hätten. Dieser Gesichtspunkt sei aber, so der BGH, bei einer medizinischen Operation kein zulässiger Erschwerungsgrund. Während der Schuldspruch wegen Totschlags also rechtskräftig ist, muss über die Höhe der Strafen noch einmal neu verhandelt werden.

ast/LTO-Redaktion

mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

BGH zum Berliner Zwillingsfall: . In: Legal Tribune Online, 04.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43888 (abgerufen am: 15.11.2024 )

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