BGH besteht auf Jugendstrafe gegen linke Randalierer: Erzie­hungs­ge­danke für Demon­s­tranten im "Schwarzen Block" außer Kraft gesetzt

von Hasso Suliak

26.06.2024

Der BGH zeigt Härte gegenüber linken Straftätern: Jugendliche, deren Schuld schwer wiegt, dürfen auch dann zu einer Haftstrafe nach Jugendstrafrecht verurteilt werden, wenn diese aus erzieherischen Gründen eigentlich nicht geboten wäre.

Auf dem G20-Gipfel 2017 im Hamburg plünderten Teilnehmer des autonomen Schwarzen Blocks Supermärkte, steckten Autos in Brand und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Etliche Beamte und Demonstranten wurden dabei verletzt, laut Medienberichten ungefähr hundert Menschen festgenommen. Zwei an den Randalen Beteiligte waren im Juni 2019 vom Landgericht (LG) Hamburg wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit Beihilfe zur Brandstiftung schuldig gesprochen worden. Unter anderem hatte ihnen das LG das von anderen Personen begangene Anzünden von vier Fahrzeugen zugerechnet. Allein das Mitlaufen im Schwarzen Block reiche als strafbare Beihilfehandlung aus.

Hinsichtlich des Strafmaßes kamen die beiden G20-Protestierer zunächst noch glimpflich davon: Das LG erteilte ihnen lediglich die Auflage, binnen eines Jahres ab Rechtskraft des Urteils 20 Arbeitsleistungen nach Weisung der Jugendgerichtshilfe zu erbringen. Eine deutlich schwerwiegendere Jugendstrafe, zu vollstrecken in einer Jugendhaftanstalt, hatte das LG abgelehnt. Nach Ansicht des Gerichts fehlten hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 17 Jugendgerichtsgesetz (JGG): Weder seien in der Tat schädliche Neigungen (§ 17 Abs. 2 Alt. 1 JGG) hervorgetreten noch mache die Schwere der Schuld eine Jugendstrafe erforderlich (§ 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG). Im Übrigen sei eine solche erzieherisch nicht geboten.

Bereits dieses Urteil kassierte der Bundesgerichtshof (BGH) im Dezember 2021 (Az. 5 StR 115/21) und hob es im Rechtsfolgenausspruch auf. Missfallen hatte dem BGH damals, dass das LG die Schwere der Schuld der Angeklagten abgelehnt hatte. Außerdem habe sich die Verneinung einer Erziehungsbedürftigkeit durch das Hamburger Gericht als rechtsfehlerhaft erwiesen, weil es nur die schulische und berufliche Entwicklung der Angeklagten sowie ihr soziales Engagement in den Blick genommen habe, nicht aber ihre grundsätzliche Einstellung zu politisch motivierter Gewaltkriminalität. Das Urteil wurde aufgehoben und zur Entscheidung an eine andere Jugendkammer des LG Hamburg verwiesen.

Zwei Kammern des LG Hamburg bestehen nicht vor dem BGH

Doch auch diese Kammer des LG vermochte es dem 5. Strafsenat des BGH nicht recht zu machen. Der mutmaßlich inständige Wunsch der BGH-Strafrichter, die jungen Linken doch mit einer Jugendstrafe zu sanktionieren, wurde nicht erhört. Zwar bejahte die neue Kammer wie vom BGH nahegelegt diesmal die Schwere der Schuld der Angeklagten im Sinne des § 17 Abs.2. Alt.2 JGG.

Die Verhängung einer Jugendstrafe lehnte das LG aber erneut ab. Diese komme nicht in Betracht, weil bei den Angeklagten keine nachhaltige Erziehungsbedürftigkeit (mehr) vorliege, die jedenfalls bei Taten, bei denen es sich nicht um Kapitaldelikte oder andere schwerste Straftaten handelt, eine kumulative Voraussetzung für die Verhängung einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld darstelle. Das Strafmaß diesmal für die beiden Protestierer: 15 Arbeitsleistungen zu je sechs Stunden nach Weisung der Jugendgerichtshilfe (Urt. v. 21.12.2022, Az. 610 KLs 4/22 jug. 7120 Js 188/18).

Doch wie schon gegen die erste LG-Entscheidung legte auch diesmal die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel ein und bekam nun erneut vor dem BGH Recht: Der 5. Strafsenat stellte in einem am Mittwoch veröffentlichten Urteil klar, dass es im konkreten Fall auf den ansonsten im Jugendstrafrecht so prägenden Erziehungsgedanken für die Verhängung der Jugendstrafe nicht ankomme (Urt. v. 4.6.2024, Az. 5 StR 205/23): "Die Auffassung des Landgerichts, jedenfalls bei Taten, bei denen es sich nicht um Kapitaldelikte oder um schwerste Gewalt- oder Sexualdelikte oder andere Fälle schwerster Kriminalität handele, komme die Verhängung einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld nur in Betracht, wenn – kumulativ – eine solche auch aus erzieherischen Gründen erforderlich sei und mithin 'ein entsprechendes Erziehungsbedürfnis' bestehe, erweist sich als rechtsfehlerhaft."

BGH: Erziehungsgedanke allenfalls bei Strafhöhe relevant

Mit anderen Worten: Ist die Schwere der Schuld einmal festgestellt, ist das in § 2 Abs. 1 JGG normierte Leitprinzip, nach dem vorrangig alle Rechtsfolgen am Erziehungsgedanken auszurichten sind, außer Kraft gesetzt. Es ist dann immer eine Jugendstrafe zu verhängen, "ohne dass es darauf ankommt, ob eine Erziehungsbedürftigkeit oder -fähigkeit festgestellt werden kann", so der BGH.

Diese Rechtsauffassung ergebe sich, so der 5. Senat, aus zwei Erwägungen: Zum einen sei für die Schwere der Schuld allein die innere Tatseite maßgeblich. Entscheidend sei ausschließlich, inwieweit sich die charakterliche Haltung, die Persönlichkeit und die Tatmotivation des jugendlichen oder heranwachsenden Täters in der Tat in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen habe. Zum anderen lasse auch der Wortlaut des § 17 Abs. 2 JGG für erzieherische Erwägungen keinen Raum, wenn die "Schwere der Schuld" feststehe.

§ 17 Abs. 2 JGG lautet: "Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist." Das zwischen den beiden Alternativen formulierte Wort "oder" mache deutlich, dass es sich bei der "Schuldstrafe" um eine selbstständige Alternative handele, so der BGH: "Diese setzt nach dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 JGG gerade nicht voraus, dass ihre Verhängung zu Erziehungszwecken notwendig ist."

Für die beiden inzwischen erwachsenen G20-Protestierer geht es nun rund sieben Jahre nach den Vorgängen in Hamburg an die nächste Jugendkammer des LG Hamburg. Der BGH wies darauf hin, dass dort der Erziehungsgedanke dennoch zum Tragen kommen könne – auch wenn an der Jugendstrafe an sich kein Weg mehr vorbeiführe. Erzieherischen Erwägungen könnten bei der Bestimmung der Strafhöhe nach § 18 Abs.2 JGG ins Gewicht fallen, so der BGH. "Eine positive Entwicklung bis zur Urteilsverkündung kann insbesondere in diesem Rahmen und für die Frage einer etwaigen Aussetzung der Strafe zur Bewährung von Bedeutung sein."

Zitiervorschlag

BGH besteht auf Jugendstrafe gegen linke Randalierer: . In: Legal Tribune Online, 26.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54863 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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