Wie weit geht die Forschungsfreiheit? Wenn es um die Sicherheit geht, offenbar nicht sehr weit, wie ein Erlanger Professor erfahren musste. Ermittler beschlagnahmten seine Daten. Doch das will er nicht hinnehmen.
Für ein Forschungsprojekt hat ein Erlanger Psychologie-Professor einen Gefangenen interviewt, den Ermittler für einen mutmaßlichen Islamisten hielten. Sie beschlagnahmten deshalb einen Mitschnitt des Tonbands. Der Forscher Mark Stemmler will dagegen Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einlegen. "Das ist ein Präzedenzfall. Sowas gab es noch nicht", sagte Stemmler am Montag. Zuvor hatte Der Spiegel berichtet.
Der Rechtspsychologe von der Universität Erlangen forscht zu islamistischer Radikalisierung im Gefängnis. Dazu interviewten er und eine Mitarbeiterin Gefangene, die als Gefährder eingeschätzt werden oder verdächtigt werden, sich zu radikalisieren. Dabei sprachen sie mit den Häftlingen unter anderem über deren Kindheit, deren Familie, über Glauben, den Koran und Politik - aber nicht über Straftaten.
Verfassungsbeschwerde für September angekündigt
Für einen Mann, der wegen Drogendelikten in der Justizvollzugsanstalt Bamberg saß, interessierte sich die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus bei der Generalstaatsanwaltschaft München besonders. Ihr Verdacht: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Im Januar fragten Ermittler bei Stemmler nach dessen Angaben nach einem Mitschnitt des Interviews. "Ich habe mich geweigert", sagte er. Erst nach einem Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Oberlandesgerichts München rückte er eine Kopie auf einem USB-Stick heraus.
Der Generalstaatsanwaltschaft sei zwar bewusst gewesen, dass das einen Eingriff in die Forschungsfreiheit darstelle, teilte Oberstaatsanwalt Klaus Ruhland auf Anfrage mit. Dies halte man aber "für gerechtfertigt und insbesondere auch für verhältnismäßig", weil es um die Aufklärung eines schwerwiegenden Verbrechens gegangen sei. Ein Zeugnisverweigerungsrecht für Forscher und Wissenschaftler gebe es nicht. "Gleichwohl möchte ich darauf hinweisen, dass es sich nach hiesiger Kenntnis bei dem vorliegenden Zugriff auf Forschungsdaten um einen extrem seltenen Einzelfall handelt", betonte Ruhland.
Die Ermittlungen hat die Generalstaatsanwaltschaft inzwischen mangels Tatverdachts eingestellt. Für Stemmler ist das Thema aber nicht vom Tisch. "Ich kann die Interviews nur führen, wenn ich den Betroffenen Verschwiegenheit zusichere. Man baut ein Vertrauen auf." Genau das werde jetzt ausgehöhlt. "Wenn sich das rumspricht, brauche ich in kein Gefängnis mehr gehen." Noch im September soll sein Anwalt die Verfassungsbeschwerde einreichen.
ast/dpa/LTO-Redaktion
Durchsuchung in Universität wegen Gefängnis-Interview: . In: Legal Tribune Online, 01.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42654 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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