Gerichte zum "Lockdown light": "Eine denk­bare Reak­tion auf das pan­de­mi­sche Geschehen"

05.11.2020

Vor Gerichten im Nordosten wie im Süden Deutschlands haben die neuen Corona-Verordnungen gehalten – zumindest einstweilig. Die Gerichte kritisieren, dass das Parlament übergangen werde, werteten die Entschädigungszahlungen aber positiv.

Die zweite Corona-Welle hat mit den in den meisten Bundesländern seit Montag geltenden Bestimmungen für einen "Lockdown light" auch die Justiz erreicht. Vor den obersten Verwaltungsgerichten in Bayern und Berlin hielten die neuen, nicht unumstrittenen Regelungen nun fürs Erste einer Überprüfung stand.

So lehnte der Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Bayern am Donnerstag den Eilantrag einer Hotellkette gegen die Schließungen von Gaststätten und das Beherbergungsverbot für Touristen in der Coronakrise ab, weil die Regelungen aus der jüngsten Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV) "nicht offensichtlich rechtswidrig" seien und bei einer Folgenabwägung der Lebens- und Gesundheitsschutz die wirtschaftlichen Interessen überwiege (Beschl. v. 05.11.2020, Az. 20 NE 20.2468).

VGH Bayern berücksichtigt angekündigte Entschädigungsleistungen

Der Gerichtshof berücksichtigte, dass die Verbote zu einem übergeordneten "Auswahl- und Regelungskonzept" gehörten, das der Verordnung zugrunde liege. Danach würden die Bereiche Bildung und Erwerbsleben weitgehend offen gehalten, dafür jene Bereiche eingeschränkt, die an das Freizeitverhalten der Gesellschaft anknüpften. Diese Einschätzung seitens der Verordnungsgebers bezeichnete der BayVGH als "denkbare Reaktion auf das derzeit stark ansteigende pandemische Geschehen". Sie sei bei summarischer Prüfung nicht offensichtlich unverhältnismäßig oder gleichheitswidrig. Zu diesem Ergebnis kam der Gerichtshof insbesondere deshalb, weil für die betroffenen Betriebe erhebliche staatliche Entschädigungsleistungen für den Umsatzausfall angekündigt worden waren.

Der 20. Senat äußerte sich allerdings - erneut - kritisch gegenüber den aktuellen Bestimmungen und deren rechtlicher Grundlage aus dem Bundesinfektionsschutzgesetzes (IfSG). Mittlerweile erfolgten im Hotel- und Gaststättengewerbe "erhebliche Grundrechtseingriffe über einen längeren Zeitraum allein durch die Exekutive". Es gebe Zweifel, ob dies mit dem Grundsatz des Parlamentsvorbehalts vereinbar sei. Dieser sieht vor, dass weitreichende Entscheidungen - wie die nun vorliegenden Beschränkungen zwecks Pandemiebekämpfung - der Zustimmung des Parlaments bedürfen.

Im Eilverfahren komme es hinsichtlich der offenen Fragen aber auf die Folgenabwägung nach summarischer Prüfung an, betonte der VGH. Nach dieser überwiege wegen der enorm steigenden Infektionszahlen das Schutzgut Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen die freie wirtschaftliche Betätigung. Auch hier spielten die seitens der Bundesregierung in Aussicht gestellten Ausgleichszahlungen für betroffene Betriebe genauso eine Rolle wie die zeitliche Befristung der Maßnahmen bis Ende November.

OVG Berlin-Brandenburg: Tattoostudios kein Teil der Grundversorgung

Mit einer ähnlichen Begründung lehnte am Mittwoch auch das OVG Berlin-Brandenburg den Eilantrag eines Tätowierers gegen die Schließung seines Studios ab. Der gegenwärtige Stand des Infektionsgeschehens erfordere ein sofortiges effizientes Handeln, um dem exponentiellen Wachstum der Infektionszahlen noch wirksam begegnen zu können, heißt es in der Pressemitteilung des OVG hinsichtlich der Folgenabwägung. Die persönlichen und wirtschaftlichen Interessen des Antragstellers müssten dahinter zurücktreten (Beschl. v. 04.11.2020, Az. 11 S 94/20).

Der Betreiber des Tattoostudios hatte auf die erheblichen Einnahmeverluste verwiesen und eine Ungleichbehandlung gesehen, weil Friseursalons und Einzelhandelsgeschäfte weiter öffnen dürften. Außerdem dürften sich bis zu zehn Leute aus zwei Hausständen in der Öffentlichkeit gemeinsam aufhalten, während er nicht einmal einzelne Kunden bedienen könne. Er sah auch die verfassungsrechtlich geschützte Freiheit der Berufsausübung verletzt.

Das OVG erklärte aber, dass die Einschränkung der körpernahen Dienstleistungen in Tattoostudios geeignet, erforderlich und angemessen sei. Die Dienstleistungen von Friseuren dienten anders als ein Tattoostudio der Grundversorgung der Bevölkerung. Sie könnten auch nicht mit dem Einzelhandel und dem Aufenthalt im öffentlichen Raum verglichen werden - dort sei das Abstandsgebot einzuhalten.

Gerichtssprecher Ulrich Marenbach sagte, bisher gebe es 13 Verfahren aus Brandenburg gegen die Verordnung. Darunter seien weitere Tattoostudios, mehrere Fitnessstudios sowie Anbieter von Kosmetik-, Sonnen-, Nagel- und Massagestudios - allerdings bisher kein Hotel und keine Gaststätte. 30 Eilanträge von Gastronomen gegen die Schließung von Bars und Restaurant liegen derzeit allerdings noch beim Verwaltungsgericht (VG) Berlin. Mit einer Entscheidung ist Ende der Woche zu rechnen.

mgö/LTO-Redaktion

Mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

Gerichte zum "Lockdown light": . In: Legal Tribune Online, 05.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43338 (abgerufen am: 12.11.2024 )

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