Wer sich nicht an die Regeln hält, muss die "Leitkultur" pauken. So sieht es das bayerische Integrationsgesetz seit Januar 2017 vor. Die Vorschrift verstößt – neben anderen – gegen die Landesverfassung.
Gegen viele Widerstände hatte die bayerische CSU-Landesregierung im Jahr 2017 das Bayerische Integrationsgesetz (BayIntG) durch den Landtag gebracht. Festgeschrieben ist dort für Migranten etwa die Pflicht zu Grundkursen "über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung", wenn sie gegen die bayerische Leitkultur verstoßen. Diese Regelung verstößt gegen die Meinungsfreiheit und damit gegen die Bayerische Landesverfassung, entschied der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) am Dienstag (Entsch. v. 03.12.2019, Az. Vf. 6-VIII-17 u. Vf. 7-VIII-17). Ebenso verfassungswidrig ist die Regelung, dass die Rundfunk- und Medienanstalten diese Leitkultur vermitteln sollen, wie es in Art. 11 BayIntG normiert ist. Die Vorschrift verstößt gegen die Rundfunkfreiheit und das Recht der freien Meinungsäußerung, entschied der BayVerfGH.
Geklagt hatten die Landtagsfraktionen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen. In vielen Punkten haben die Oppositionsparteien in der Meinungsverschiedenheit nun obsiegt – in anderen sind die unterlegen. Als ersten groben Überblick: Nach der Entscheidung des BayVerfGH sind der SPD-Fraktion die Hälfte und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ein Viertel ihrer Verfahrenskosten aus der Staatskasse zu erstatten.
Bayern dürfen eigene Regeln haben
Das Gericht stellte – entgegen der Auffassung der Grünen – klar, dass die bayerische Landesregierung durchaus Regelungen zur Integration von Ausländern treffen kann. Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern sehe das Ausländerrecht als gemeinsame Querschnittsaufgabe an, so dass auch Regelungen im Aufenthaltsgesetz des Bundes eigenen bayerischen Regelungen nicht widersprechen. Eine Integrationspflicht dürfe Ausländern damit auch in einer bayerischen Landesverfassung durchaus auferlegt werden, entschieden die Richter, die Regelungen dürften sogar konzeptionell vom Bundesgesetzgeber abweichen.
Allerdings dürften die Normen dabei keinen strafrechtlichen Sanktionscharakter haben, wie es in 14 Abs. 2 BayIntG der Fall sei. Dort ist das "Unterlaufen der verfassungsmäßigen Ordnung" strafbeschwert. Bis zu 50.000 Euro soll derjenige zahlen müssen, der die (deutsche) verfassungsmäßige Ordnung missachtet. Das Strafgesetzbuch sei insoweit abschließend, entschieden die Richter, die bayerische Norm ist deshalb nichtig.
Hinarbeiten auf die Leitkultur
Anders verhält es sich mit der von der CSU durchgesetzten Regelung, dass der Staat an der Leitkultur ausgerichtete Bildungsangebote fördert, Art. 3 Abs. 4 Satz 2 BayIntG. Die Opposition hatte moniert, die Regelung verstoße gegen die Neutralitätspflicht des Staates. Es gehe aber nicht darum, mit dieser Maßnahme Ausländern eine weltanschaulich-religiöse Grundhaltung vorzugeben oder eine Pflicht zu installieren, eine solche Grundhaltung einzunehmen. Vielmehr gehe es um gegenseitige Rücksichtnahme, Toleranz und Respekt voreinander. Dazu dürften die staatlichen Behörden durchaus auf die Akzeptanz einer in der Präambel definierten Leitkultur hinarbeiten – auch die Präambel ist daher aus Sicht der Richter unbedenklich.
Auch die konzeptionellen Vorgaben für die Kindergärten hält das Gericht daher für verfassungsgemäß. Die CSU hat in Art. 6 BayIntG festgeschrieben, dass alle Kita-Kinder zentrale Elemente der christlich-abendländischen Kultur erfahren sollen. Kita-Träger und pädagogisches Personal sind angehalten, darauf hinzuwirken. Das greife zwar in das elterliche Erziehungsrecht ein, so sehen es die Richter am BayVerfGH, doch der Eingriff sei durch den staatlichen Bildungsauftrag gerechtfertigt.
Die Integrationspflicht darf auch enthalten, dass die Migranten selbst für die Kosten eines Dolmetschers im Verwaltungsverfahren aufkommen können, wie es im BayIntG vorgesehen ist. Die Regelung stelle zwar einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit dar, der aber gerechtfertigt ist, so die Richter. Die Vorschrift verfolge den legitimen Zweck, die deutsche Sprache zu lernen. Da die Norm im Ermessen stehe, biete sie hinreichend Raum für eine gesetzeskonforme Auslegung.
Verfassungsgemäß ist auch die durch das BayIntG geschaffene Ermächtigung der Polizei, Asylbewerberunterkünfte zu betreten. Die Polizei dürfe von der Befugnis nur im Einzelfall zur Abwehr dringender Gefahren Gebrauch machen, damit sei auch dieser Eingriff in die Rechte der Betroffenen gerechtfertigt.
Schallende Ohrfeige und gelassene Aufnahme
Vertreter von SPD und Grünen reagierten zufrieden auf die Entscheidung. SPD-Fraktionschef Horst Arnold sprach von einer "schallenden Ohrfeige" für die Staatsregierung. Der parlamentarische Geschäftsführer der Landtags-CSU, Tobias Reiß, argumentierte dagegen, "im Wesentlichen" sei das Gesetz vom Gericht bestätigt worden.
"Die Staatsregierung nimmt das Urteil sehr gelassen auf", sagte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU). Ohnehin sei das Gesetz nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs in den "wesentlichen Teilen" mit der Bayerischen Verfassung vereinbar, insbesondere der Kerngedanke des Förderns und Forderns. Die Debatte sei "eigentlich abgeschlossen".
Mit Material von dpa
BayVerfGH zum Bayerischen Integrationsgesetz: . In: Legal Tribune Online, 03.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39031 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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