Umstrittene Asylreform: EU-Innen­mi­nister beraten über Auf­fang­lager an den Außen­grenzen

08.06.2023

Bei einem EU-Treffen in Luxemburg soll heute eine Reform des europäischen Asylsystems auf den Weg gebracht werden. Doch vor allem die Frage der Auffanglager an den Außengrenzen ist hoch umstritten. Ist das Recht auf Asyl in Gefahr?

Die Innenminister der EU-Staaten kommen an diesem Donnerstag zusammen, um das europäische Asylsystem zu reformieren. Dem neuerlichen Einigungsversuch geht ein jahrelanges Ringen voraus. Auf dem Tisch liegen nun Gesetzesentwürfe zur Neugestaltung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Sie sehen insbesondere einen deutlich rigideren Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive vor.

Im aktuellen Dublin-System sind die Länder, durch welche Migranten erstmalig in die EU eintreten, für die Registrierung zuständig. Dieses System jedoch zeigte in der Flüchtlingskrise von 2015 und 2016 seine Schwachstellen, als Griechenland und andere Länder mit dem Zustrom aus Nationen wie Syrien überwältigt waren. Aufgrund dieser Erfahrungen zielt ein EU-Vorschlag auf die Durchführung von Asylverfahren an den EU-Außengrenzen.

Auffanglager an Außengrenzen besonders umstritten

Insbesondere Migranten, die aus sicheren Herkunftsländern in die EU einreisen, sollen in streng abgeschirmten Aufnahmezentren untergebracht werden. Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, würde er umgehend zurückgeschickt. Vorgeschlagen wird, dass dies für Personen aus Ländern mit einer Asyl-Anerkennungsquote von unter 20 Prozent gelten soll. Die geplante Regelung wird scharf kritisiert, auch von 700 deutschen Anwälten, die in einenm offenen Brief an die Bundesregierung vor einem Paradigmenwechsel warnen: "Diese Politik wird die Entrechtung und das Leid an den europäischen Außengrenzen eskalieren", heißt es in dem Brief.

Die Verteilung anerkannter Schutzsuchender stellt einen weiteren Diskussionspunkt dar. Gemäß einem Kompromissvorschlag sollten Länder wie Ungarn und Polen, die – bis auf Personen aus der Ukraine – keine Migranten akzeptieren, für deren Unterbringung in anderen Ländern finanziell aufkommen. Zuletzt wurde über etwa 20.000 Euro pro Flüchtling gesprochen. Ylva Johansson, die EU-Innenkommissarin, bezeichnete dies als "Pflicht zur Solidarität".

Ob sich bei dem Treffen eine ausreichend große Mehrheit an Ländern hinter die Gesetzesvorschläge stellen wird, war bis Mittwochabend unklar. Laut Diplomaten ist eine entscheidende Frage, wie sich die deutsche Koalitionsregierung positionieren wird.

Bundesregierung fordern Ausnahme für Familien mit Kindern

Sie hatte auf Drängen der Grünen in den Vorgesprächen zu dem Innenministertreffen gefordert, dass Familien mit Kindern von neuen strengen Grenzverfahren ausgenommen werden. Eine sehr große Mehrheit der anderen Staaten lehnte dies allerdings vehement ab, weil sie durch eine solche Regelung den Abschreckungscharakter gefährdet sieht.

Scheitern könnte eine Abstimmung nach Angaben von Diplomaten auch an einer von der Bundesregierung geforderten Einschränkung einer Regel, die die Abschiebung von in erster Instanz abgelehnten Asylbewerbern in Länder ermöglichen soll, die nicht ihre Heimatländer sind. Sie würde vorsehen, dass eine Abschiebung nur dann möglich ist, wenn die Betroffenen klare Verbindungen in diese Länder haben. Eine Mehrheit der EU-Staaten lehnt allerdings auch dies als kontraproduktiv ab.

Ohne Beschluss keine zeitnahe Reform mehr

Zudem ist unklar, ob Italien die geplanten Regelungen für mehr Solidarität weit genug gehen. Die Asylreform ohne Unterstützung der Regierung in Rom auf den Weg zu bringen, gilt als wenig sinnvoll, da in dem Land derzeit die meisten Migranten ankommen und die EU darauf angewiesen ist, dass sich Italien dann an die neuen Regeln hält. Nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissariats wurden in Italien in diesem Jahr bereits mehr als 50.000 Migranten registriert, die über das Mittelmeer kamen. Die meisten von ihnen kamen aus Tunesien, Ägypten und Bangladesch und hatten damit so gut wie keine Aussichten auf eine legale Bleibeperspektive.

Voraussetzung für einen Beschluss zu den Plänen ist, dass 15 von 27 Mitgliedstaaten mit Ja stimmen, wobei diese zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen müssen. Wenn sich keine ausreichend große Mehrheit abzeichnet, müssten die Verhandlungen noch einmal fortgesetzt werden. Sollte der EU-Ministerrat bis zur Sommerpause keinen Beschluss fassen, dürfte es kaum noch eine Chance geben, das Reformprojekt in absehbarer Zeit über die Ziellinie zu bringen. Grund ist, dass es auch noch Verhandlungen mit dem Europaparlament darüber geben muss. Diese könnten Monate dauern - dann reicht möglicherweise die Zeit nicht mehr, das Projekt vor der Europawahl im Juni 2024 abzuschließen.

Faeser warnt vor Scheitern, Linke hofft auf Scheitern

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat vor einem Scheitern des EU-Treffens zu einer großen Reform des europäischen Asylsystems gewarnt. "Es ist wichtig, dass wir jetzt zu Ergebnissen kommen. Anderenfalls ist mit mehr nationalstaatlicher Abschottung zu rechnen", sagte die SPD-Politikerin vor dem Treffen in Luxemburg dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Donnerstag). Es gehe darum, das Europa der offenen Grenzen zu retten. Wenn die EU-Außengrenzen nicht verlässlich kontrolliert würden, gerate das Schengen-System in Gefahr, erklärte Faeser. Dieses wurde geschaffen, um innerhalb Europas grenzkontrollfreies Reisen zu ermöglichen.

Die Gruppe der deutschen Grünen im Europaparlament warnte hingegen vor einem Kompromiss "um jeden Preis". Die Pläne für sogenannte Grenzverfahren würden zu Lasten der Menschenrechte gehen und seien wirkungslos, sagte ihr Sprecher Rasmus Andresen den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Vor allem Kinder dürften nicht monatelang in Massenlagern festgehalten werden. Noch kritischer äußerte sich die Linken-Europaabgeordnete Cornelia Ernst. Sie bezeichnete die Reformpläne als "ein Plädoyer für ein Europa der Zäune und Mauern", bei dem es darum gehe, das Recht auf Asyl in Europa de facto abzuschaffen.

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sagte der Welt: "Wir können uns nicht erlauben Zeit zu verlieren, möglicherweise sogar Jahre." Man brauche nun von allen EU-Ländern einen konstruktiven Ansatz und eine schnellstmögliche Entscheidung.

fz/dpa/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Umstrittene Asylreform: . In: Legal Tribune Online, 08.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51946 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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