Anfangsverdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung: Tele­fon­über­wa­chung bei der "Letzten Gene­ra­tion" recht­mäßig

von Kevin Japalak

08.08.2024

Laut LG München I durfte das Pressetelefon der "Letzten Generation" abgehört werden, weil ein Anfangsverdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung bestanden habe. Straftaten seien kein Mittel der demokratischen Diskussion, so das Gericht.

Im Juli 2023 brachten die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF), Reporter ohne Grenzen (RSF) und drei Journalisten, darunter Jörg Poppendieck und Ronen Steinke, ein Verfahren ins Rollen. Sie wollten gerichtlich überprüfen lassen, ob das Pressetelefon der "Letzten Generation" per Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) abgehört werden durfte. Das Amtsgericht (AG) München hatte ihre Anträge jedoch als unbegründet zurückgewiesen (LTO berichtete).

Einer der Journalisten hatte daraufhin gegen den Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt. Diese wurde nun vom Landgericht (LG) München I als unbegründet verworfen (Beschl. v. 29.07.2024, Az. 2 Qs 33/23). Der Beschluss des LG liegt LTO vor.

Keine Rechtfertigung durch zivilen Ungehorsam

Das LG hat den Beschluss recht ausführlich begründet. Die wohl wichtigste Aussage darin: Bei den Mitgliedern der "Letzten Generation" bestehe ein qualifizierter Anfangsverdacht hinsichtlich der Bildung einer kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 Strafgesetzbuch (StGB). Nach Auffassung der Kammer erscheint eine Rechtfertigung der Straftaten durch zivilen Ungehorsam "ebenso wenig naheliegend wie eine Rechtfertigung nach § 34 StGB".

Die Kammer nimmt ganz grundsätzlich zur Herangehensweise der "Letzten Generation" Stellung: "Entscheidend ist, dass der gesellschaftliche Diskurs durch illegitime Mittel verletzt wird, indem eine Gruppierung versucht, sich – gegebenenfalls moralisch überhohend – über die rechtsstaatliche Ordnung und die konsentierten Formen der demokratischen Abläufe zu stellen. Straftaten sind kein Mittel der freiheitlichen, demokratischen, rechtsstaatlichen Diskussion. [...] Moralische Argumente können jenseits der Gesetze eine Strafbarkeit weder begründen noch negieren" (dazu verweist die Kammer unter anderem auf den Beitrag von Prof. Dr. Thomas Fischer in der LTO).

Laut der Kammer ist der Tatbestand entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers auch nicht nach § 129 Abs. 3 Nr. 2 StGB ausgeschlossen. Nach der Norm ist wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung nicht zu bestrafen, "wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist". Die Begehung von Straftaten sei im Falle der "Letzten Generation" aber nicht nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung. Mit Verweis auf den Bundesgerichtshof (BGH) stellt die Kammer darauf ab, dass "durch das strafrechtswidrige Verhalten das Erscheinungsbild der Vereinigung aus der Sicht informierter Dritter mitgeprägt wird", was bei der "Letzten Generation" der Fall sei.

Mehr als nur ein Anfangsverdacht?

Die Formulierung "das strafrechtswidrige Verhalten" lässt durchblicken, dass die Kammer womöglich mehr als nur einen Anfangsverdacht erkennt – auch wenn sie sich im Beschluss korrekterweise bemüht, keine Vorverurteilung auszusprechen. Eine materiell-strafrechtliche Bewertung lässt sich bei der Prüfung eines Tatverdachts als Voraussetzung für die TKÜ aber kaum vermeiden. Auch der Beschwerdeführer selbst brachte materiell-rechtliche Argumente vor.

Laut der Strafkammer wiegt die Tat (hier also die Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB) entsprechend § 100a Abs. 1 Nr. 2 Strafprozessordnung (StPO), der die Voraussetzungen der TKÜ regelt, auch im Einzelfall schwer. Die Anzahl der Taten, die der "Letzten Generation" als potenziell krimineller Vereinigung zuzuordnen seien, seien erheblich; das Gericht führt beispielhaft §§ 240 (Nötigung), 303 (Sachbeschädigung), 316b (Störung öffentlicher Betriebe) und 123 (Hausfriedensbruch) StGB auf.

Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sei zwar nach § 160 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 StPO zu berücksichtigen, dass Berufsgeheimnisträger (hier: Medienvertreter) durch die Überwachung betroffen seien, weil der überwachte Anschluss als Kontaktmöglichkeit für die Presse angegeben war. Betroffen seien insoweit die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) und das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG), bemerkte die Kammer. Dies steht ihrer Auffassung nach der Verhältnismäßigkeit der TKÜ aber nicht entgegen: Zum einen sei die strafrechtliche Relevanz der Tätigkeit der "Letzten Generation" für Medienvertreter kein Geheimnis gewesen, zum anderen seien die Grundrechtseingriffe durch die effektive Verfolgung einer schwerwiegenden Straftat gerechtfertigt.

Zitiervorschlag

Anfangsverdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung: . In: Legal Tribune Online, 08.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55170 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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