AfD-Politiker haben laut Correctiv an einem geheimen Teffen mit Rechtsextremisten teilgenommen. Die Debatte über mögliche Konsequenzen ist in vollem Gange, auch der Kanzler äußert sich ungewöhnlich scharf. Das Parteiverbot ist wieder Thema.
Am Mittwoch hat das Recherchenetzwerk Correctiv umfassend über ein Treffen berichtet, das Ende November 2023 in einem Landhotel in Potsdam stattgefunden haben soll. Dabei gewesen sein sollen u. a. AfD-Politiker, die dort auch Rechtsextremisten getroffen haben sollen. Demnach sei es bei der geheimen Veranstaltung um ein "Strategiekonzept im Sinne eines Masterplans" und insbesondere um ein strenges Konzept zur Abschiebung nicht nur von Zugewanderten, sondern auch von deutschen Staatsbürgern gegangen sein. Dies solle notfalls mit "maßgeschneiderten Gesetzen" umgesetzt werden, so der Bericht, der bundesweit Schlagzeilen gemacht hat.
Politiker aller Coleur bezogen nun Stellung. Auch Bundeskanzler Scholz äußerte sich auf der Plattform X, für seine Verhältnisse sogar recht scharf: "Wir lassen nicht zu, dass jemand das 'Wir' in unserem Land danach unterscheidet, ob jemand eine Einwanderungsgeschichte hat oder nicht. Wir schützen alle – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder wie unbequem jemand für Fanatiker mit Assimilationsfantasien ist." Innenministerin Feaser warnte im Stern: "Niemand sollte diese Gefahr unterschätzen." Man sehe, wie notwendig es sei, "dass der Verfassungsschutz sehr genau beobachtet, welche Kontakte es im rechtsextremistischen Spektrum gibt, wie sich Verfassungsfeinde mit AfD-Vertretern vernetzen und welche menschenverachtenden Ideologien dort propagiert werden".
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann mahnte auf X: "Unsere Demokratie, unsere Freiheit, unser Grundgesetz und die Errungenschaften unserer vielfältigen Gesellschaft müssen wir verteidigen gegen die Feinde der Demokratie. Das ist hoffentlich spätestens jetzt vielen Menschen klar. #NoAFD." Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr sieht Parallelen zum Nationalsozialismus. "Die Pläne zur Vertreibung von Millionen Menschen erinnern an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte", schrieb er auf X. Die Recherche "zeigt, dass die AfD die Demokratie und unsere freiheitliche Grundordnung zutiefst ablehnt".
Auch aus der Opposition waren kritische Stimmen zu vernehmen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklärte etwa: "Wir beobachten das mit größter Sorge. Die AfD macht sich planvoll auf einen Weg, der eine große Gefahr für unser Land, unsere Freiheit, unseren Wohlstand wäre."
AfD-Parteisprecher verweist auf Parteiprogramm
Ein Sprecher Alice Weidels bestätigte, dass deren rechte Hand Roland Hartwig an dem Treffen teilgenommen hat, und teilte mit: Weidel "hatte aber keinerlei Kenntnis von den Teilnehmern. Auch Hartwig wusste vorab nichts von Sellner." Gemeint ist Martin Sellner, ein rechtsextremer Aktivist aus Österreich, der dem Treffen ebenfalls beigewohnt haben soll. Der Parteisprecher ergänzte: "Die AfD wird ihre Haltung zur Einwanderungspolitik, die im Parteiprogramm nachzulesen ist, nicht wegen einer Einzelmeinung eines Vortragenden auf einem Treffen, das kein AfD-Termin war, abändern." Eine geschlossene Stellungnahme der Partei liegt noch nicht vor.
Nachdem die Correctiv-Recherche am Mittwochmorgen veröffentlicht worden war, nahm die AfD auf X in einem Post den Begriff der "Remigration" auf, um den es auf dem Treffen im November 2023 besonders gegangen sein soll. Der Post trug die Überschrift "Wir brauchen #Passentzug für Kriminelle und #Remigration!"
Aufruhr im Landtag in Sachsen-Anhalt
Am Donnerstagvormittag hatte die AfD-Fraktion eine Sitzung des Bildungsausschusses des Landtags von Sachsen-Anhalt aus Protest verlassen. Zuvor hatte der Vorsitzende des Ausschusses, Gerhard Stehli (CDU), den Rechtsprofessor Ulrich Vosgerau* kurzfristig von der Sitzung ausgeladen, der dort als Sachverständiger auftreten sollte. Grund für die Ausladung war laut Stehli, dass auch Vosgerau an dem Treffen in Potsdam teilgenommen haben soll.
Ebenfalls im Landtag in Sachsen-Anhalt fordern Vertreter der Parteien SPD, Linke und Grünen den Rücktritt Ulrich Siegmunds von seinem Posten als Chef des Sozialausschusses. Auch er soll an dem Treffen mit den Rechtsextremen teilgenommen haben. Das zeige einmal mehr, wie weit sich Teile der AfD von den demokratischen Grundwerten entfernt hätten, sagte SPD-Landtagsfraktionsvorsitzende Katja Pähle. "Ein Vorsitzender des Sozialausschusses, der solche Umsturzfantasien unterstützt, ist absolut inakzeptabel."
Die FDP-Landtagsfraktion blieb zunächst zurückhaltend. Mit seiner Teilnahme an dem von Correctiv aufgedeckten Treffen schade Siegmund zwar dem Ansehen Sachsen-Anhalts, sagte der Vorsitzende Andreas Silbersack. "Einen Rücktritt als Ausschussvorsitzender sehe ich ad hoc aber nicht, da ich weder den konkreten Inhalt der Veranstaltung noch den Beitrag von Herrn Siegmund kenne."
Sachsen-Anhalts CDU-Fraktionschef Guido Heuer sagte der Deutschen Presse Agentur noch am Mittwochabend, was da mutmaßlich bei dem Treffen in Potsdam geschehen sei, klinge ungeheuerlich. Er wolle das auf der Klausur seiner Fraktion am Wochenende mit den Abgeordneten diskutieren, so Heuer. "Es zeigt sich: Dass die AfD in Sachsen-Anhalt als rechtsextremistisch eingestuft worden ist und weiter beobachtet wird, war richtig."
Der AfD-Fraktionsvize Hans-Thomas Tillschneider kritisierte, mit der Ausladung würden die Rechte von Oppositionsfraktionen beschnitten.
Vosgerau hat seine Teilnahme an dem Treffen gegenüber der dpa inzwischen bestätigt. "Ich hatte gehört, dass der Martin Sellner persönlich ein angenehmer Typ sein soll, der nicht fanatisch wirkt. Also habe ich gerne die Gelegenheit wahrgenommen, ihn persönlich kennenzulernen", sagte Vosgerau am Donnerstag in Magdeburg. Der Jurist bestätigte, dort spontan einen "Vortrag über das verfassungsrechtliche Problem der Briefwahl" gehalten zu haben. Er sei darum vom Veranstalter gebeten worden sein.
Früherer Bundestagspräsident wirbt für Prüfung eines Parteiverbotsverfahrens
Neben Vosgerau, Siegmund und Hartwig sollen – nach eigenen Angaben erst später – auch der Potsdamer AfD-Kreisvorsitzende Tim Krause an dem Treffen teilgenommen haben. Außerdem sollen zwei Mitglieder der CDU dabei gewesen sein. Eingeladen zu diesem Treffen haben laut dem Correctiv-Artikels ein Düsseldorfer Zahnarzt und der ehemalige Gesellschafter der Burger-Kette "Hans im Glück" Hans-Christian Limmer, von dem sich das Unternehmen laut einer Mitteilung nach Bekanntwerden des Treffens schnell getrennt hat. Limmer habe seinen Rückzug angeboten und man habe dies angenommen. Die Trennung habe sofortige Wirkung. Das Unternehmen distanziere sich "klar von rechtsextremen Ansichten".
Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Die Partei hat dagegen geklagt. Mit einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in Münster dazu wird Ende Februar gerechnet.
Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) warb dafür, trotz aller Risiken ein Verbotsverfahren gegen die AfD zu prüfen. "Die AfD organisiert sich mit Demokratiefeinden und Umstürzlern. Das ist hochdramatisch", sagte er dem Berliner Tagesspiegel am Donnerstag. Wenn der Verfassungsschutz die AfD als eine in weiten Teilen rechtsextreme Partei definiere, "muss der Staat sie genauestens beobachten und ein mögliches Verbot prüfen". Zwar gab er zu bedenken: "Ein Parteiverbot hat hohe Hürden und jedes Verfahren dazu würde von der AfD propagandistisch ausgeschlachtet. Das Damoklesschwert eines Verbotes sollte aber über der AfD hängen bleiben."
Kaum eine Woche ist die jüngste Debatte um ein Parteiverbot der AfD alt. Ein solches schätzen Experten derzeit als nicht sehr aussichtsreich ein, weil die Anforderungen für ein Verbot hoch sind. Vielmehr solle man die AfD inhaltlich stellen.
*Korrektur am 15.01.2024, 9.50 Uhr: Zunächst war fälschlicherweise die Rede davon, Vosgerau sei AfD-Mitglied und Mitglied des Bildungsausschusses. Das haben wir korrigiert.
hes/dpa/LTO-Redaktion
Reaktionen nach "Correctiv"-Recherche: . In: Legal Tribune Online, 11.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53613 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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