Verfassungsschutzbericht 2017: Ter­ror­an­schlag "jeder­zeit mög­lich"

von Hasso Suliak

24.07.2018

Starker Zulauf bei den Reichsbürgern und Rechtsextremen, gewaltbereitere Linksextreme und eine andauernde islamistische Bedrohung: Innenminister Seehofer und BfV-Chef Maaßen stellen den Verfassungsschutzbericht 2017 vor.

Reichsbürger und sogenannte Selbstverwalter stehen zunehmend im Fokus der Sicherheitsbehörden. Das ergibt sich aus dem Verfassungsschutzbericht 2017, den Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Dienstag gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, in Berlin vorstellte.

2017 zählten deutschlandweit rund 16.500 Personen (2016: 10.000) zur Reichsbürger-Szene, 900 davon gelten als Rechtsextremisten (2016: 500 bis 600). Der größte Teil von ihnen ist männlich (ca. 74 Prozent) und älter als 40 Jahre. Laut Bericht sind viele von ihnen bereits langjährig in der Szene aktiv, ihre staatsfeindliche Haltung habe sich deshalb über Jahre gefestigt. Gut möglich, dass ihre Anzahl auch noch steigt, denn im Verfassungsbericht heißt es, dass die bundesweite Erhebung des Personenpotenzials noch nicht belastbar abgeschlossen sei.

Zu den Reichsbürgern und Selbstverwaltern zählen dem Verfassungsschutz zufolge Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven die Existenz der Bundesrepublik leugnen und deren Rechtssystem ablehnen. Dabei berufen sie sich etwa auf das historische Deutsche Reich, auf verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder auf ein selbst definiertes Naturrecht. Sie bestreiten die Legitimation der demokratisch gewählten Repräsentanten oder definieren sich selbst als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Deshalb sind sie häufig bereit, Verstöße gegen die Rechtsordnung zu begehen.

Laut dem Bericht zeichne Reichsbürger neben verbaler Aggressivität auch ihre hohe Affinität zu Waffen aus.  Sie seien bereit, diese für schwerste Gewalttaten einzusetzen. Ihr immanentes Gefährdungspotenzial erfordere daher auch weiterhin eine intensive Beobachtung durch den Verfassungsschutz.

Zahl gewaltorientierter Rechtsextremisten gestiegen

Auch im Bereich Rechtsextremismus verzeichnet der Bericht keinerlei Entwarnung: Zwar seien rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund im Jahr 2017 um 35 Prozent gesunken (2017: 19.467; 2016: 22.471), darunter auch der Anteil der Gewalttaten gegen Asylbewerberunterkünfte. Allerdings befänden sich diese immer noch "auf einem höheren Niveau als im Jahr 2014".

Insgesamt umfasse den Behörden zufolge das rechtsextremistische Personenpotenzial Ende 2017 etwa 24.000 Personen, 900 mehr als im Jahr 2016. Als gewaltbereit verzeichnet der Bericht ebenfalls eine wachsende Zahl: 12.700 waren es 2017 Personen (2016: 12.100), damit ist mehr als jeder zweite Rechtsextremist als gewaltorientiert einzuschätzen.

Weiter konstatiert der Bericht, dass sich die internationalen Kontakte und der Austausch innerhalb der rechtsextremistischen Szene in Europa in der jüngeren Vergangenheit teilweise deutlich intensiviert hätten: "Die rechtsextremistische Szene Deutschlands entfaltet in Europa aufgrund ihres nominell hohen Personenpotenzials und ihres Aktivitätsgrades wesentlichen Einfluss auf ausländische Gesinnungsgenossen", heißt es.

Islamistische Bedrohung dauert an

Leicht angestiegen ist auch die Anzahl von Linksextremisten in Deutschland, nämlich von 28.500 (2016) auf insgesamt 29.500 Personen. 9.000 Personen (2016: 8.500), darunter 7.000 Autonome (2016: 6.800) zählen zum gewaltbereiten Potenzial. Knapp 31 Prozent der Linksextremisten seien somit als gewaltorientiert einzuschätzen. Laut Verfassungsschutzbericht wies der Protest gegen den G20-Gipfel vergangenes Jahr in Hamburg "im Vergleich zu vergangenen Großereignissen dieser Art ein bisher beispielloses bundesweites Mobilisierungspotenzial aller Strömungen des deutschen Linksextremismus auf und führte zu den gewalttätigsten Ausschreitungen der letzten Jahre".

Auch keine Entwarnung verzeichnen die Sicherheitsbehörden im Bereich Islamismus:  Deutschland stehe weiter im Fokus des islamistischen Terrors. Insgesamt ergebe sich für das Jahr 2017 allein aus den ausreichend gesicherten Zahlenangaben ein Islamismuspotenzial von 25.810 Personen in Deutschland.

Innerhalb der islamistischen Szene zeichnet sich wie auch schon im Jahr 2016 eine Kräfteverschiebung in den gewaltorientierten beziehungsweise jihadistischen Bereich ab:
Aktuell werden 770 Menschen in Deutschland als islamistische Gefährder eingestuft.

Warnung vor dem IS

Das Dokument betont, dass es auch zukünftig in Deutschland jederzeit zu einem terroristischen Ereignis kommen könne. Die im Jahr 2017 deutlich niedrigere Zahl islamistisch motivierter Terroranschläge in Deutschland sei unter anderem auch auf erfolgreiche bundesweite Aufklärungsbemühungen der Sicherheitsbehörden zurückzuführen. Es hätten in einer Reihe von Fällen Anschlagsplanungen frühzeitig aufgedeckt oder Anschlagsvorhaben vereitelt werden können, die sich bereits in einem konkreten Vorbereitungsstadium befanden.

Der Fokus der Sicherheitsbehörden liegt nach Angaben des Verfassungsschutzes auf den Rückkehrern aus den Kampfgebieten in Syrien und im Irak. Aufgrund der militärischen Erfolge der Anti-IS-Koalition und des Assad-Regimes sowie seiner Verbündeten sei perspektivisch mit mehr "Jihad-Rückkehrern" nach Europa zu rechnen, wo sie dem Bericht zufolge "eine schwer kalkulierbare und möglicherweise auch langfristige Gefahr darstellen".

Weiter warnt der Verfassungsschutz vor den Aktivitäten des IS. Dieser nutze die Migrationsrouten aus Syrien und dem Irak gezielt, um Attentäter nach Europa zu schleusen und sei gleichzeitig bemüht, Flüchtlinge in Deutschland für terroristische Anschläge zu gewinnen. Vier islamistische Anschläge, die sich 2016 (Würzburg, Ansbach und Berlin) und 2017 (Hamburg) in Deutschland ereigneten, seien von Asylsuchenden ausgeführt worden. Es sei weiterhin damit zu rechnen, dass sich unter den Migranten auch Mitglieder, Unterstützer und Sympathisanten extremistischer und terroristischer Organisationen befinden, die verdeckt nach Deutschland einreisen.

Opposition wirft Bundesregierung Untätigkeit vor

Nach Bekanntwerden des Berichts forderte die Opposition die Bundesregierung zum Handeln auf: "Besonders besorgniserregend ist der Anstieg bei den Reichsbürgern, Identitären und Selbstverwaltern. Die Bundesregierung muss sich dieses Problems verstärkt annehmen. Die Zahl der Feinde unserer verfassungsmäßigen Grundordnung nimmt gerade in diesem Bereich eher zu als ab", sagte Stephan Thomae, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion zu LTO. Statt symbolischer Gesetzesverschärfungen müssten Sicherheitsbehörden in unserem Land besser aufgestellt werden. "Während des überflüssigen unionsinternen Streits um Grenzkontrollen und Zurückweisungen wurde viel Zeit vertan," so Thomae.

Auch die Grünen kritisierten die Bundesregierung und warfen ihr Untätigkeit vor: "Jahrelang haben wir die Bundesregierung und Sicherheitsbehörden aufgefordert, die rechtsextreme Bewegung der Reichsbürger und Selbstverwalter als ernsthafte Gefahr für die Sicherheit stärker in den Fokus zu nehmen. Über Jahre haben der Bundesinnenminister und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz die Gefahr heruntergespielt. Das tut man heute aus gutem Grund nicht mehr", erklärten die Abgeordneten Irene Mihalic, Sprecherin für Innenpolitik, und Konstantin von Notz, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Bundestagsfraktion.

Die Grünen-Politiker warfen dem BMI darüber hinaus vor, dass die Kategorisierung der Reichsbürger als Selbstverwalter zur Verharmlosung beitrage und das reale Gefahrenpotential nicht verdeutliche. "Angesichts der teils massiven Bewaffnung der Reichsbürgerszene muss die Gefahr der Bildung neuer rechter Terrorzellen ähnlich dem NSU auch von Bundesregierung und Sicherheitsbehörden endlich ernstgenommen werden", erklärten die beiden Abgeordneten. Es gebe "seit längerem deutliche Anzeichen dafür, dass Reichsbürger ihren Worten auch Taten folgen lassen wollen", warnten sie.

Im Hinblick auf die Gefahr durch Islamisten kritisierten die Grünen, dass die Bundesregierung die letzten Jahre verschlafen und keine  langfristige Strategien zur Prävention entwickelt habe: Der menschenverachtende dschihadistische Terror bleibe eine der größten Bedrohungen unserer Zeit und die hohe Zahl von Gefährdern ein sicherheitspolitisch relevantes Problem.

Zitiervorschlag

Hasso Suliak, Verfassungsschutzbericht 2017: . In: Legal Tribune Online, 24.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29935 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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