2021 wurde u.a. der Besitz von Kinderpornographie zum Verbrechen hochgestuft. Einstellungen wegen Geringfügigkeit sind nicht mehr möglich. Ein Münchner Richter hält das für verfassungswidrig. LTO liegt seine Vorlage zum BVerfG vor:
§ 184b Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) regelt die Strafbarkeit von Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte. Die Norm wurde erst kürzlich geändert und ist aufgrund der Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr nunmehr rechtstechnisch ein Verbrechen im Sinne von § 12 StGB. Insbesondere weil die Norm auch keinen minder schweren Fall enthält, hat dies weitreichende Folgen für die Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 Abs. 2 StGB) sowie für die Einstellungsmöglichkeiten nach §§ 153, 153a Strafprozessordnung (StPO), was im Gesetzgebungsverfahren von Experten bereits kritisiert wurde.
In einem Verfahren vor dem Amtsgericht (AG) München hat der zuständige Einzelrichter, Robert Grain, kürzlich beschlossen, das Verfahren auszusetzen und die Sache gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorzulegen, um die Verfassungsmäßigkeit der Norm zu überprüfen (Beschl. v. 17.06.2022, Az. 853 Ls 467 Js 181486/21; beim BVerfG Az. 2 BvL 11/22).
Grain ist schon seit 2005 mit entsprechenden Fällen betreut und war auch schon als Sachverständiger im Bundestag tätig. Er begründet seine Haltung hinsichtlich der Verfassunsgswidrigkeit der Norm mit dem Vorlagebeschluss, der LTO vorliegt, folgendermaßen:
Verstoß gegen das Übermaßverbot
Die Norm stelle einen Verstoß gegen das Übermaßverbot dar und greife daher verfassungswidrig in das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 2 GG) ein. Mit der Verschärfung der im Bereich des Kinderschutz geltenden Strafnormen - neben § 184b wurde auch § 176 I StGB zum Verbrechen hochgestuft - sei der Gesetzgeber "weit über das Ziel hinausgeschossen". Bei der Bearbeitung von Fällen, die "relativ unerheblich/außergewöhnlich 'harmlos'" seien, fehle eine Regelung beispielswesie in Form eines minder schweren Falls, um "nicht mehr hinnehmbare Ergebnisse" zu verhindern.
Insbesondere sei der zuvor geltende Strafrahmen in der Erfahrung des Richters bereits effektiv geeignet gewesen, mögliche "Wiederholungstäter" hinreichend vor erneuten Taten abzuschrecken. Hinzu komme, dass neben der Strafe bereits das Strafverfahren inklusive der Ermittlungen z.B. in Form von Durchsuchungen von Wohnung oder Arbeitsplatz - von denen regelmäßig auch das soziale Umfeld erfahre - regelmäßig einschneidende Wirkung auf Beschuldigte habe. Besonders einschneidend sei dabei vor allem auch die Überprüfung sämtlicher Speichermedien des Beschuldigten, wodurch diesem einerseits sämtliche Verbindungsmöglichkeiten im Bereich der sozialen Medien genommen würden und andererseits das Verfahren mindestens etwa ein Jahr dauere, so der Richter.
Ferner argumentiert der Richter mit der Befürchtung, dass einem entsprechend rechtskundigen Angeklagten bei der Mindeststrafe von einem Jahr die Intensität seiner Tat dann auch "egal" sei. Heißt im Klartext: Täter würden nicht wie von der Norm beabsichtigt weniger, sondern mehr kinderpornographische Inhalte herunterladen und damit den "Markt" weiter befeuern, statt davon abgehalten zu werden.
In der Erschwerung der möglichen Strafaussetzung zur Bewährung und der Unmöglichkeit der strafprozessualen Einstellung liege ein Eingriff in die persönliche Freiheit des Angeklagten, welcher für die "harmlosen" Fälle außer Verhältnis stehe, so der Richter.
Beispielsfall aus der Praxis
Zur Veranschaulichung nennt der Richter einen Beispielsfall:
Ein 22-jähriger Angeklagter küsst eine 13-jährige bei ihrer Geburtstagsparty. Der Kuss erfolgt kurz vor Mitternacht, also noch bevor das Mädchen 14 Jahre alt ist. In der Folgezeit werden die beiden ein Paar, alle sexuellen Handlungen erfolgen einvernehmlich. Sollte jemand den Geburtstagskuss fotografiert haben, stellt dieser dadurch Kinderpornographie her und besitzt diese fortan in strafbarer Weise. Schickt er das Foto auch noch in eine WhatsApp-Geburtstagsgruppe, kommt das Tatbestandsmerkmal "Verbreiten" hinzu und wird das Foto durch die Empfänger nicht umgehend gelöscht, machen diese sich ebenfalls strafbar. Sowohl der Fotograf als auch die WhatsApp-Gruppenmitglieder wären dann gemäß § 184b Abs. 3 StGB (Wiedergabe, Abruf oder Besitz von kinderpornographischen Inhalt) zu 1 Jahr Freiheitsstrafe zu bestrafen.
Für solche eher harmlosen Fälle müsste es zwingend eine Einstellungsmöglichkeit geben, meint der Richter.
Im konkreten Fall, der zur Vorlage an das BVerfG geführt hat, geht es um eine Mutter, die aus Empörung über die Verbreitung von kinderpornographischen Material, dass eine Achtjährige selbst aufgenommen und versendet hatte, diese Material an Eltern weitergeleitet hat. Nach Einschätzung des Amtsrichters Grain geschah dies "ohne pädosexuellen Hintergrund". Grain sieht deswegen eine Parallele zur Strafbarkeit der Bloßstellung nach § 201a StGB ("Verletzung des Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen") und verweist auf dessen geringere Strafandrohung. Auch in diesem Fall moniert der Amtsrichter das Fehlen eines minder schweren Falls im Gesetz.
Verstoß gegen das Schuldprinzip
Das nächste Argument des Richters ist der knappe Spielraum bei einem Strafrahmen von Freiheitsstrafe zwischen 1 Jahr und 5 Jahren, wie § 184b Abs. 3 StGB es vorsieht. Dies sei verfassungsrechtlich bedenklich. Bei Normen mit demselben Strafrahmen (zB § 51 Abs. 1 Waffengesetz) ist regelungstechnisch ein minder schwerer Fall enthalten. Indes sei der Strafrahmen bei § 184b Abs. 3 StGB nicht geeignet, um angemessen auf völlig unterschiedliche Tatintensitäten zu reagieren, meint der Richter. Stelle man sich einen "harmlosen", einen "normalen" und einen "krassen" Fall vor, sei kein angemessenes Verhältnis herstellbar. Darin sieht der Richter einen Verstoß gegen das Schuldprinzip, welches sich aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ableitet.
Weiter rekurriert der Richter erneut auf die bereits genannten Folgen des Strafverfahrens und gibt zu bedenken, auf "immer wieder vorkommende 'harmlose' Fälle erscheint ein Einwirken auf den Täter mittels Freiheitsstrafe von mindestens 1 Jahr nicht erforderlich".
Verstoß gegen die Berufsfreiheit
Auch sieht der Richter in der Verurteilung zu einer einjährigen Freiheitsstrafe einen unangemessenen Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) des Angeklagten. Durch die bisherige Möglichkeit der Einstellung nach §§ 153, 153a StPO konnte eine Eintragung in das polizeiliche Führungszeugnis vermieden werden, was jetzt nicht mehr möglich ist. Insbesondere auch beim erweiterteren Führungszeugnis stelle sich die Frage, ob gerade unter dem Gesichtspunkt der Resozialisierung des Angeklagten eine Einwirkung auch auf dessen berufliche Existenz unumgänglcih sei, meint der Richter. Auch der in § 41 Abs. 1 Nr. 1 Bundesbeamtengesetz (BBG) normierte Verlust der Beamtenstellung mit Rechtskraft eines entsprechenden Urteils sei eine extreme Auswirkung, welche durch die Einführung eines minder schweren Falles angemessen reguliert werden könnte.
Entscheindend für die Begründung des Richters ist also die bereits genannten und schon im Gesetzgebungsverfahren stark kritisierte fehlende Normierung eines minder schweren Falles, um dem Unrechtsgehalt entsprechender Taten angemessen begegnen zu können.
jb/LTO-Redaktion
Vorlage zum BVerfG wegen § 184b StGB: . In: Legal Tribune Online, 17.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49895 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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