Rammstein-Sänger Till Lindemann hat weitere gerichtliche Erfolge eingefahren. Erstmals werden nun auch Schilderungen von Frauen verboten, aus denen sich der Verdacht der Vergewaltigung ergibt. Was darf jetzt noch berichtet werden?
Nachdem das Landgericht (LG) Hamburg bereits dem Spiegel eine Berichterstattung über Rammstein-Sänger Till Lindemann untersagt hatte, ergingen nun weitere einstweilige Unterlassungsverfügungen. Lindemann, vertreten durch Schertz Bergmann Rechtsanwälte (Simon Bergmann), wehrt sich erfolgreich gegen zwei NDR-Berichte auf tagesschau.de (Beschl. v. 14.08.2023, Az. 324 O 298/23 sowie Beschl. v. 10.08.2023, Az. 324 O 273/23). Auch gegen die Süddeutsche Zeitung (SZ) war der Rammstein-Sänger erfolgreich (Beschl. v. 10.08.2023, Az.: 294/23). Gleiches gilt für Bandmitglied Christoph Schneider, der vertreten durch Lichte Rechtsanwälte (Peer Boris Schade) ebenfalls eine Unterlassungsverfügung gegen den SZ-Bericht erwirkte (Beschl. v. 10.08.2023, Az. 288/23). Die SZ wurde vertreten durch Rechtsanwälte Lausen (Dr. Martin Schippan). Der NDR durch CMS Hasche Sigle (Michael Fricke).
In allen LTO vorliegenden Beschlüssen geht es um den Verdacht der Vergewaltigung oder Vornahme sexueller Handlungen an Frauen ohne deren Einwilligung oder Zustimmung. Lindemann und Schneider stehen insoweit wegen Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts Unterlassungsansprüche aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2 analog, 823 BGB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG zu, so das LG Hamburg.
Vorfall im Landhaus vor über 25 Jahren
Die SZ hatte am 17.07.2023 online ("Rammstein: Neue Vorwürfe gegen Till Lindemann und Keyborder 'Flake' erhoben") sowie am 18.07.2023 im Printmedium ("Im Feuer") über eine Frau berichtet, die von einer Übernachtung mit Bandmitgliedern von Rammstein in einem Haus im Jahre 1996 erzählt. Die Vorwürfe der Frau verbreitete auch tagesschau.de in einem Artikel ebenfalls vom 17.07.2023 unter der Überschrift "Neue Vorwürfe gegen Rammstein". Hintergrund für die gleichgelagerten Artikel ist eine Recherchekooperation zwischen NDR und SZ.
Die im Artikel Sybille Herder genannte Frau wird dahingehend zitiert, dass sie nach einem Konzert in Gera mit dem Rammstein-Keyborder 'Flake' ins Gespräch gekommen sei und später an einer Party im Hotel-Schwimmbad teilgenommen habe. Mehrere Frauen und Bandmitglieder, darunter auch Lindemann, seien später auf ein Hotelzimmer gegangen, wobei dann ihre Erinnerung ausgesetzt habe. Als nächstes erinnere sie sich daran, morgens nackt auf dem Boden gelegen zu haben, wobei sich ihr Unterleib angefühlt habe, "als wäre er zerfetzt", so die Frau in dem Bericht.
Dabei sei ihr klar gewesen, dass auch einvernehmlicher Sex Spuren hinterlassen kann, jedoch habe sie solche Schmerzen vorher und nachher nie mehr gehabt. In dem Bericht gesteht die Frau, dass sie zum Unsinn neige, wenn sie – wie an diesem Abend – getrunken habe, sich allerdings stets an alles erinnern könne. Daher müsse "etwas passiert" sein, so die Frau. Ausgehend von Lindemanns Gedicht "Wenn du schläfst" (2020), in dem das lyrische Ich die Vergewaltigung einer betäubten Frau beschreibt, habe die Frau nach nunmehr 25 Jahren das Bedürfnis verspürt, von der Nacht 1996 zu erzählen.
Der Bericht der Süddeutsche resümiert insoweit, von der Nacht seien nur Bruchstücke geblieben: "drei Rammstein-Musiker, ein paar andere Menschen, ein nicht erklärbarer Filmriss, die Schmerzen danach". Im Tagesschau-Artikel ist davon die Rede, dass die Frau nicht wisse, wer für ihre Schmerzen verantwortlich sei und es "theoretisch jeder gewesen sein" könnte.
LG: Erinnerungslücke allein ist kein Beleg für Vergewaltigung
Aus Sicht der Kammer erweckt die Berichterstattung der SZ und der Tagesschau den Verdacht, eine der anwesenden Rammstein-Bandmitglieder hätten die Frau vergewaltigt, sexuelle Handlungen an ihr ohne ihre Einwilligung bzw. an ihr einen sexuellen Übergriff vorgenommen. Daran ändere auch nichts, dass die Berichterstattung ausdrücklich offen lasse, was in dem erinnerungslosen Zeitraum geschah und dass keine einzelne Person als möglicher Täter benannt werde, so die Kammer. Es sei der Verdachtsberichterstattung "gerade wesenseigen", dass ein Geschehen nicht als feststehend geschildert wird.
Die Kammer sieht ein "fraglos erhebliches Berichterstattungsinteresse", welches aber im Rahmen der Abwägung hinter dem Persönlichkeitsrecht von Lindemann zurücktrete. Es fehle bereits am Mindestbestand an Beweistatsachen. Der fehlenden Erinnerung der Frau kann nach Auffassung des LG allein nicht als Beleg für Sex ohne Zustimmung gewertet werden. Weitere Beweistatsachen lägen nicht vor.
Aktuellere Erzählungen von Frauen
In dem weiteren teilweise untersagten Tagesschau-Bericht vom 02.06.2023 ("Neue Vorwürfe gegen Till Lindemann") geht es um Erzählungen zweier Frauen. Eine Frau wird insoweit zitiert, dass sie ihre Schmerzen beim Sex mit Lindemann nicht habe äußern wollen, "weil es eben Till Lindemann" war. Sie habe sich gleichwohl "extrem unwohl" gefühlt und Lindemann hätte dies auch auffallen müssen, meint die Frau.
In dem anderen Fall wird eine Frau zitiert, die nach einer Aftershowparty von Lindemann besinnungslos auf einem Hotelbett gelegen habe. Als sie wieder zu sich gekommen sei, habe Lindemann auf ihr gelegen und sie gefragt, ob er aufhören solle, wird die Frau bei tagesschau.de zitiert. Dabei habe sie nicht einmal gewusst, womit er aufhören wolle, so der Bericht weiter. Am nächsten Morgen sei sie dann in einem anderen Zimmer aufgewacht und habe mit Lindemann sprechen wollen, weil sie nicht sicher sei, dass er ein Kondom verwendet habe.
Im Teaser des Artikels heißt es einleitend, die Frauen würden von sexuellen Handlungen mit Till Lindemann berichten, "denen sie nicht zugestimmt hätten". Schon wegen dieser einleitenden Passage erweckt die Berichterstattung nach Überzeugung der 24. Zivilkammer (Pressekammer) des Landgerichts den Verdacht, Lindemann hätte mit zwei Frauen sexuelle Handlungen vorgenommen, denen diese nicht zugestimmt hätten.
Kein Mindestbestand an Beweistatsachen für Vergewaltigung
Für diese Berichterstattung fehle es an einem "hinreichenden Mindestbestand an Beweistatsachen", heißt es in dem Beschluss. Das gelte für den erstgenannten Sachverhalt schon deshalb, weil die Frau in einer eidesstattlichen Versicherung ausdrücklich erklärt hat, dass sie dem Sex zugestimmt habe. Aus Sicht der Kammer dürfe problematisiert werden, wie diese Zustimmung der Frau zustande kam, ihre Aussage könne aber eine Berichterstattung "nicht tragen", in der behauptet wird, sie habe "nicht zugestimmt".
Für den zweiten Sachverhalt sieht das LG Hamburg ebenfalls keine ausreichenden Belege. Dies begründet die Pressekammer damit, dass die Berichterstattung insoweit allein auf der Schilderung nur einer Zeugin beruht, welche zudem im Rahmen einer eidesstattlichen Versicherung erklärt, dass ihre Erinnerungen "lückenhaft" und ab einem bestimmten Zeitpunkt "ziemlich weg" seien. Damit könne der schwerwiegende Vorwurf einer sexuellen Handlung ohne Zustimmung (§ 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB) nicht hinreichend getragen werden. Das gelte umso mehr, als die Berichterstattung das Vorliegen der Erinnerungslücken gar nicht erwähne, "so dass Leserinnen und Leser sich kein zutreffendes Bild über das Gewicht des Verdachts machen können."
Einordnung des Autors:
Die neuen Verbotsentscheidungen des LG gehen deutlich weiter als zuvor im Spiegel-Beschluss. Dort hatte das Landgericht klar verboten, den Verdacht zu verbreiten, dass Lindemann Drogen einsetzte, um sexuelle Kontakte mit Frauen zu haben. Jedoch wurden alleinstehende Schilderungen von Frauen von Erinnerungslücken beim Sex mit Lindemann nicht untersagt, weil mehrere gleichgelagerte Behauptungen vorlägen. Mit den neuen Beschlüssen verbietet das LG nun auch solche Schilderungen von Frauen, wenn sich aus ihnen der Verdacht der Vergewaltigung oder sonstiger sexueller Handlungen ohne Zustimmung ergibt. Hierfür gäbe es keine hinreichenden Indizien.
Allerdings wurde dieser Verdacht auch in der Spiegel-Berichterstattung verbreitet. So kam dort einer der Frauen mit der Aussage zu Wort, sie wisse nicht, ob die Nacht mit Lindemann einvernehmlich war. Konsequenterweise hätte das Landgericht daher auch schon im Spiegel-Beschluss den Verdachtserweckung verbieten müssen oder umgekehrt die weitere Berichterstattung erlauben. Dass es unterschiedlich entschieden hat, begründet das LG im Tagesschau-Beschluss vom 10.08.23 damit, dass es im Spiegel-Verfahren an einem entsprechenden Antrag gefehlt habe. Dies überzeugt wenig, da das Landgericht auch im Spiegel-Beschluss umfassend eine Verdachtsberichterstattung geprüft und für zulässig befunden hat, allerdings nur unter dem selbst gewählten Blickwinkel, ob Lindemann Sex mit Frauen hatte, die nicht "Herrin(en) ihrer Sinne" waren.
Vorwurf des Sex ohne Zustimmung besonders gravierend
Die vom Landgericht vorgenommene Unterscheidung zwischen "Sexuelle Handlung ohne Zustimmung" und "Sexuelle Handlungen mit Erinnerungslücken" ist im Prinzip überzeugend. Denn sexuelle Handlungen ohne Zustimmung haben stets eine strafrechtliche Relevanz, bedeuten nämlich etwa im Falle von Geschlechtsverkehr Vergewaltigung (§ 177 StGB). Sexuelle Handlungen, an die sich eine Person nicht mehr erinnert, können hingegen auch bedeuten, dass diese zuvor – noch im Zustand der Zurechnungsfähigkeit – dem Sex zugestimmt hat und damit keine Strafbarkeit vorliegt. Insofern ist der Vorwurf anders gelagert.
Das Problem dieser Unterscheidung ist allerdings ihr formalistischer Ansatz, da die vom Landgericht erlaubte Schilderung reiner Erinnerungslücken bei vielen Lesern ohnehin die Frage und damit auch den Verdacht aufkommen lässt, ob eine Zustimmung zum sexuellen Kontakt vorgelegen hat. Insofern ist es für Medien nun auch nicht leicht, die Grenze zwischen zulässiger und unzulässiger Berichterstattung zu finden.
Welche Berichterstattung ist noch zulässig?
Entscheidend ist insoweit, ob sich aus den Gesamtumständen von Berichten der Verdacht von nicht einvernehmlichem Sex ergibt. Insoweit fällt auf, dass es in allen Fällen der vom LG Hamburg untersagten Berichterstattung Signalwörter gibt, die über die Behauptung von Erinnerungslücken hinausgehend, diesen Vorwurf beinhalten:
So heißt es im Tagesschau-Bericht schon im Teaser, dass Frauen den Vorwurf erheben, es sei zu Sex "ohne Zustimmung" gekommen. In den Landhaus-Berichten wird Sex ohne Einvernehmen deutlich impliziert, wenn die befragte Frau schildert, ihr sei bewusst, dass auch einvernehmlicher Sex zu Schmerzen führen könne, "aber" solche Schmerzen hatte sie noch nie gehabt oder durch die Überschrift "mutmaßliche sexuelle Übergriffe".
Mündliche Verhandlungen kommen
Solche Signalwörter und Formulierungen erwecken nach Ansicht des LG Hamburg den Verdacht der Vergewaltigung oder sonstiger sexueller Handlungen ohne Zustimmung der Frauen. Für diesen Vorwurf fehlten Belege. Unterbleiben solche Formulierungen und beschränkt sich die Berichterstattung tatsächlich allein auf von Frauen geschilderte Erinnerungslücken beim Sex, müsste die Berichterstattung nach der bisherigen Logik des LG hingegen zulässig sein. Abermals betonte das Landgericht im Tagesschau-Beschluss vom 10.08.2023, dass sich Lindemann insoweit nicht auf seine Intimsphäre berufen könne, da er sein Sexualleben in die Öffentlichkeit trage.
Nach den Beschlüssen des Landgerichts haben NDR und SZ jetzt die Möglichkeit Widerspruch einzulegen. In diesem Fall kommt es vor dem LG Hamburg zu einer mündlichen Verhandlung. Diesen Weg hat der Spiegel bereits bestritten. Nächsten Freitag wird die Verhandlung stattfinden. Anschließend wird das LG ein in der Regel ausführlicheres Urteil verfassen, gegen das die unterlegene Partei dann Berufung zum OLG Hamburg einlegen kann.
Till Lindemann siegt vor LG Hamburg gegen SZ und Tagesschau: . In: Legal Tribune Online, 16.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52488 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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