Bei Auskünften von Nachrichtendiensten kann ein besonderes Offenbarungsinteresse den postmortalen Quellenschutz überwiegen. Das hat der Große Senat des BVerwG zur Spiegel-Affäre von 1962 entschieden.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat entschieden, dass bei Auskunftsinteressen eine umfassende Einzelfallprüfung erfolgen muss, wenn eine Kollision mit staatlichen Geheimhaltungsinteressen besteht (Beschl. v. 13.04.2021, Az. 30 GS 1.20).
Hintergrund der Entscheidung ist ein Verfahren, welches das Nachrichtenmagazin Der Spiegel betreibt. Der Spiegel hatte 2014 aufgrund eines archivrechtlichen Antrags mitgeteilt bekommen, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) während der sogenanten Spiegel-Affäre Kontakt zu zwei Personen aus der Redaktion gehabt hatte. Bei der Spiegel-Affäre im Jahr 1962 wurde aufgrund eines kritischen Artikels gegen Spiegel-Mitarbeiter wegen Landesverrats ermittelt, die Sache löste einen der ersten großen politischen Skandale der Nachkriegsgeschichte aus.
Der BND wollte die Kontakte jedoch nicht namentlich benennen, denn der Benennung stünden vorrangige Belange des Staatswohls entgegen. Der Spiegel erhob daraufhin Klage und begehrt derzeit nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Bundesarchivgesetz (BArchG) entsprechende Auskunft. Der 6. Senat des BVerwG gab dem BND daraufhin auf, Unterlagen vollständig und ungeschwärzt vorzulegen. Dem kam der BND aber nur teilweise nach und berief sich dabei auf eine Sperrerklärung des Bundeskanzleramtes sowie seiner Zusicherung gegenüber Informanten, ihre Namen auch nach deren Tod geheim zu halten. Das wurde auch zunächst vom nach § 189 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zuständigen Fachsenat des BVerwG gebilligt, schließlich gehe es um die Erhaltung der Funktionsfähigkeit und Effektivität der Sicherheitsbehörden im Sinne von § 99 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 VwGO (Beschl. v. 20.09.2019, Az. 20 F 12.17).
Daraufhin hatte der 6. Senat die Sache dem Großen Senat vorgelegt, um eine einheitliche Rechtsprechung zu gewährleisten. Dabei sollte geklärt werden, ob und wie weit das Staatswohl den postmortalen Identitätsschutz nachrichtendienstlicher Informanten rechtfertigen kann, wenn die Vorgänge schon Jahrzehnte zurückliegen.
Keine starre 30-jährige Frist
Der Große Senat hat jetzt entschieden, dass dies in einer strukturierten Einzelfallprüfung zu bewerten ist. Ein Zeitablauf von 30 Jahren ist dabei gewichtig, aber nicht allein entscheidend, so das BVerwG. Ein besonderes Offenbarungsinteresse könne eine frühere Offenlegung rechtfertigen, ein besonderes Geheimhaltungsinteresse eine längere Geheimhaltung gebieten. Aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hatte der Fachsenat seine Rechtsprechung entsprechend geändert. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch, dass potenzielle Informaten ein gewisses Maß an Vertrauen in den BND hegen können.
Ein besonderes Offenlegungsinteresse wird nach Auffassung des Großen Senats umso eher eine Verkürzung der 30-Jahres-Frist rechtfertigen, desto länger die Aktivität des Informanten zurückliegt und umso weniger Anlass zur Annahme besteht, dass sich die Bekanntgabe persönlicher Daten des Informanten auf die Anwerbung anderer Informanten und damit auf die Arbeitsfähigkeit der Geheimdienste auszuwirken vermag.
Welche Auswirkungen die Entscheidung auf das Verfahren um die Spiegel-Affäre hat, bleibt nun abzuwarten.
jb/LTO-Redaktion
Großer Senat des BVerwG: . In: Legal Tribune Online, 06.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45394 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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