LG Schweinfurt zur Verdachtsberichterstattung: Nicht jeder Blog ist Presse

01.08.2023

Gelten für politische Aktivisten und Whistleblower dieselben presserechtlichen Anforderungen wie für Journalisten? Damit hat sich das LG Schweinfurt befasst.

Bei Verdachtsberichterstattung müssen politische Aktivisten und Whistleblower keine Stellungnahmen einholen, soweit sie kein journalistisch-redaktionelles Angebot darbieten. Das hat das Landgericht (LG) Schweinfurt entschieden (Urt. v. 27.07.2023, Az. 11 O 458/22).

Geklagt hatte die ehemalige Compliance-Beauftragte einer Stadt. Auf der Internetseite "buergerplattform-schweinfurt.de" war ein Eintrag veröffentlicht worden, in dem unter anderem über Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen sie wegen versuchter Strafvereitelung berichtet wurde. Sie begehrte die Unterlassung dieser Verdachtsberichterstattung von dem medienrechtlich Verantwortlichen der Internetseite.

Konkret ging es um einen ehemaligen Theaterleiter der Stadt Schweinfurt, gegen den das Amtsgericht Schweinfurt mittlerweile einen Strafbefehl über zehn Monate Haft auf Bewährung sowie eine vierstellige Geldstrafe wegen Untreue (§ 266 StGB) erlassen hat. Die Schweinfurter Stadtverwaltung habe hier trotz Hinweisen noch monatelang abgewartet und zwischenzeitlich noch Prämien an den ehemaligen Amtsleiter ausgezahlt, so der Eintrag mit dem Titel "Die Aufarbeitung beginnt erst jetzt" auf der Website.

Vor Veröffentlichung des Beitrages war die Compliance-Beauftragte nicht angehört worden. Ob dies erforderlich gewesen ist, war jetzt die wesentliche Streitfrage.

Nach Ansicht des LG Schweinfurt habe der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Rechtsprechung deutlich gemacht, dass nur Presse und Medien bei der Verbreitung von Vorwürfen eine Stellungnahme einholen müssen. So habe der BGH ausgeführt, dass sich die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt nach den Aufklärungsmöglichkeiten richten und die Pflichten für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute seien. 

Mithin war aus Sicht des LG entscheidend, ob presserechtliche Grundsätze bzw. § 19 Abs. 1, 4 Medienstaatsvertrag (MStV) auf die Website der Beklagten anwendbar sind.

Schutz von politischen Mitwirkungsrechten

Das LG Schweinfurt verneint diese Frage unter Bezug auf neuere BGH-Rechtsprechung im Wege einer Gesamtwürdigung. Die Kriterien des § 19 Abs. 1 S. 1, 2 MStV für Telemedien mit journalistisch-redaktionellen Inhalten, wie u.a. ein hoher Grad an Professionalisierung, sieht die Kammer hier nicht als erfüllt an.

Die Subsumtion unter den formellen Pressebegriff scheitert nach Auffassung der Kammer daran, dass auf der Website hauptsächlich Informationen zur Durchsetzung lokalpolitischer Ziele bereitgestellt werden. Insoweit können hier zum Schutz der Ausübung von politischer Mitwirkungsrechte durch Herstellung von Öffentlichkeit nicht die mit der Subsumtion unter den formellen Pressebegriff einhergehenden strengeren Anforderungen gelten, führt die Kammer im LTO vorliegenden Urteil aus.

Auch betont die Kammer, dass für Personen, die zum Gegenstand von Verdachtsberichterstattung gemacht werden, ein unterschiedliches Maß an Beeinträchtigung gilt: Bei Berichterstattung durch die Presse würden Leser in einem deutlich höheren Maße von Recherche und Abwägung ausgehen, als bei einer Bürgerinitiative.

Zwar war ein Teil der Website mit "Blog" überschrieben, indes kommt nach Überzeugung der Kammer nicht jedem Blog automatisch Pressecharakter zu, vielmehr bedürfe es der Beurteilung im Einzelfall. Soweit hier die Kommunikation der eigenen Tätigkeit bzw. von politischen Auffassungen der Bürgerplattform im Vordergrund stand, verneinte die Kammer die pressrechtliche Einordnung auch auf diese Weise.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

jb/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

LG Schweinfurt zur Verdachtsberichterstattung: . In: Legal Tribune Online, 01.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52390 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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