Tag des Grundgesetzes: Mehr ist nicht nötig

Kommentar von Annelie Kaufmann

23.05.2022

Das Grundgesetz wird 73. Es braucht keinen Feiertag und keine neuen Grundrechte, sondern weiterhin vor allem eins: klare Worte, findet LTO-Redakteurin Annelie Kaufmann.

Kein Feiertag, keine Eiscreme, kein Feuerwerk: Am 23. Mai wird geflaggt, der Bundesjustizminister schickt ein Foto und ein paar staatstragende Worte, gelegentlich gibt es eine offizielle Rede – das war's mit dem Grundgesetz-Geburtstag. 

Und das reicht auch. Es passt zum Grundgesetz, das nun wirklich nicht mit Pomp and Circumstance zur Welt kam. Es passt zu einem Verfassungstext, der von Anfang an mit ambivalenten Gefühlen gelesen wurde: Mit der Sorge, das neue Deutschland könne wieder zu einer Bedrohung Europas und der Welt werden. Mit Abneigung, weil damit die "gesamtdeutsche Lösung" in weite Ferne rückte. Und durchaus auch mit Demut angesichts der deutschen Verantwortung für die schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte und mit der Hoffnung einen neuen, demokratischen Staat zu schaffen. 

Möglich, dass sich die Mütter und Väter des Grundgesetzes angesichts dieser schwierigen historischen Situation auf das nötigste konzentrieren mussten – und gerade damit das Grundgesetz so erfolgreich gemacht haben. Mit dem Katalog der Grundrechte in den ersten zwanzig Artikeln, mit einer klaren Sprache und immer mal wieder mit dem Satz: "Das Nähere regelt ein Gesetz" in verschiedenen Abwandlungen.

Änderungen haben es nicht immer besser gemacht

Im Westen gilt es seit 73 Jahren, im Osten seit 32, insgesamt hat es mehr als sechzig Änderungsgesetze hinter sich – wobei viele den staatsorganisationsrechtlichen Teil und wenige die Grundrechte betreffen. Sie machen das Grundgesetz nicht immer besser. Mal wird es mit Erwartungen überfrachtet, mal werden längliche Eingriffsbefugnisse hineingeschrieben, die sich dann nur schwer wieder herausschreiben lassen.

Dennoch ist es richtig, dass das Grundgesetz veränderbar ist. Es wäre albern, es zu einer Art heiligen Schrift zu verklären. Das Ziel sollte aber weder ein immer ausdifferenzierteres Regelwerk sein, noch aufgehübschte Prosa, die sich nicht einklagen lässt.

Es gibt gute Gründe, den Begriff "Rasse" aus dem Grundgesetz zu streichen. Es gibt aber auch gute Gründe keine aufwendig formulierte Erklärung zu Kinderrechten aufzunehmen, die nicht zu einklagbaren Rechten führt. Nicht alle politischen und gesellschaftlichen Veränderungen müssen sich im Grundgesetz wiederfinden – und die meisten lassen sich in einfachen Gesetzen regeln, dazu braucht es keine Verfassungsänderung.

Das Gute am Grundgesetz ist, dass es sich kurz fasst. Man kann es lesen und immerhin ziemlich viel davon verstehen, auch ohne juristische Ausbildung und Kommentarliteratur. Das Entscheidende ist, dass es weitgehend gelingt, mit dem Grundgesetz eine demokratische rechtsstaatliche Gesellschaft zu sichern.

Dazu braucht es keinen Feiertag und auch keinen irgendwie gearteten Verfassungspatriotismus. Wichtiger: Eine klare Sprache und ruhig ein bisschen kritische Distanz zum Text. Und eine klare Haltung.

Zitiervorschlag

Tag des Grundgesetzes: . In: Legal Tribune Online, 23.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48540 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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