Die Länder haben sich auf eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geeinigt, aber die Finanzierungsfrage nicht geklärt. Es kommen Einschnitte mit ungewissem Ausgang und ein neues Rundfunkurteil naht am Horizont, meint Wolfgang Schulz.
Die Ministerpräsidentenkonferenz hat sich in Leipzig auf einen Reformstaatsvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verständigt. Davor hat die Rundfunkkommission der Länder das Anliegen selbst ganz gut auf den Punkt gebracht: Ziel der Reform ist es, einen zeitgemäßen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu ermöglichen, der mit seinen Angeboten die gesamte Gesellschaft erreicht.
Hierfür soll der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks qualitativ gestärkt und quantitativ begrenzt werden. Teil der Reform sind daher Zusammenlegungen von Spartenkanälen und eine starke Reduzierung von Hörfunkprogrammen. So soll etwa von den vier Sendern Phoenix, tagesschau24, ARD-alpha und ZDF-Info nur zwei übrigbleiben. 3sat soll es nicht mehr geben, sondern Arte zu einer europäischen Kulturplattform ausgebaut werden. Dagegen ist rechtlich grundsätzlich wenig zu sagen, auch wenn es vor allem die Flächen für Kultur und auch Wissenschaft betrifft.
Entwicklungsgarantie gefährdet
Allerdings gibt es beim Dauerbrenner “Presseähnlichkeit” auch qualitative Begrenzungen im Reformpaket, wenn sie so wie im Entwurf vorgesehen tatsächlich beschlossen worden sind. Danach sollen nur noch "sendebegleitende Texte" zulässig sein. Zu Ende gedacht hieße dies etwa, dass auf tagesschau.de erst dann online per Text über ein Weltereignis berichten werden dürfte, wenn vorher ein Beitrag hierzu im Fernsehen lief.
Hier haben die Verlage durch eine Beihilfebeschwerde bei der EU Druck aufgebaut. Das Anliegen, der Presse bei ihrer digitalen Transformation Raum zu geben, ist zwar verständlich – der gewählte Regelungsansatz ist aber völlig untauglich. Online-Journalismus hat seine eigenen Formen herausgebildet. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf bestimmte Formen einzuschränken und textorientierte Telemedien nur mit engem Bezug zum linearen Programm zuzulassen, gefährdet seine Entwicklung. Das ist verfassungsrechtlich bedenklich. So hat das Bundesverfassungsgericht festgehalten, dass sich die Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch auf neue Dienste mittels neuer Techniken erstreckt.
Kooperationspflichten begrüßenswert
Hilfreich sind sicher die in der Reform vorgesehenen Kooperationsverpflichtungen der Anstalten, da sie wenig Anreiz zur Zusammenarbeit haben, wenn es dafür keinen gesetzlichen Rahmen gibt.
Die Länder erhoffen sich von den Reformen Einsparungen. Grundsätzlich eine berechtigte Hoffnung. Allerdings wird das eine Weile brauchen. Und in der Zwischenzeit? Offenbar war es bei der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) nicht durchsetzbar, diese Finanzierungsfrage zu besprechen. Der Vorschlag der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) zur Beitragserhöhung harrt der Umsetzung durch die Länder. Vor allem Sachsen-Anhalt und Bayern sperrten sich dem Vernehmen nach vehement dagegen, diesen Aspekt auf der MPK zu entscheiden. Er wurde in den Dezember verschoben.
Es spricht allerdings wenig dafür, dass sich die Positionen bis dahin geändert haben. Wenn man ganz verwegen optimistisch wäre, könnte sich hier aber auch ein Türchen öffnen, die Finanzierungsmechanik grundlegend zu ändern und einer Vollindexierung näher zu treten. Dann würde der Rundfunkbeitrag weitgehend an die Inflationsrate gekoppelt und die politischen Diskussionen über die Zustimmung zu Beitragserhöhungen würden endlich enden. Dann verdiente die Reform den Namen wirklich.
Politik darf über Höhe des Beitrags nicht entscheiden
Für einen Verfassungsrechtler ist es schwer zu begreifen, dass die Politik immer wieder ignoriert, dass die Höhe des Beitrags keine politische Entscheidung ist. Die Sender haben aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Anspruch auf funktionsgerechte Finanzierung. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (KEF) ermittelt, was dafür nötig ist. Das ist eine fachliche Berechnung, kein politischer Verhandlungsprozess. Sparen kann man, indem man den Auftrag reduziert. Das ist Rolle der Politik. Aber das – siehe oben – wirkt natürlich nicht sofort. Verweigern die Länder dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine notwendige Beitragsanpassung für einen Zeitraum, in dem die Sparmaßnahmen noch nicht greifen, wird der Rundfunk damit unterfinanziert. Das geht verfassungsrechtlich nicht.
Das Verfahren zur Ermittlung des Finanzbedarfs schließt Abweichungen von der Bedarfsfeststellung der KEF zwar nicht aus. Programmliche und medienpolitische Zwecke kommen aber in diesem Zusammenhang nicht in Frage. Als Abweichungsgrund kommt etwa die angemessene Belastung der Rundfunkteilnehmer in Betracht. Das Bundesverfassungsgericht fordert für solche Abweichungen allerdings nachprüfbare Gründe. Die wurden bislang in der Diskussion nicht genannt.
Umknicken vor populistischem Druck?
Möglicherweise können sich die Länder etwas Zeit “kaufen”, indem Rücklagen genutzt werden, um keinen verfassungswidrigen Zustand entstehen zu lassen. Diese Rücklagen sind allerdings auch verplant, so dass die spätere Beitragserhöhung dann um so größer ausfallen müsste, aber das könnte noch ein Rettungsanker sein, wenn man sich auch im Dezember nicht einigen kann. Besser wäre sicher, sich an das Verfahren zu halten und nicht zu riskieren, dass die Anstalten erneut den Weg nach Karlsruhe beschreiten.
Das ist auf der einen Seite eine durchaus beeindruckende Reformleistung des heterogenen Länderkreises, das ganze atmet aber schon auch ein gutes Stück Reaktion auf populistischen Druck und wenig Vorstellung davon, wohin sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten entwickeln sollten, damit wir auch künftig ein funktionierendes Kommunikationssystem zu haben.
Man fühlt sich als Beobachter der MPK ein wenig an den ironisch-verzweifelten Songtext von Felix Kummer erinnert: „Das System ist defekt, die Gesellschaft versagt. Aber alles wird gut. Fühlt sich nicht danach an, aber alles wird gut.“
Prof. Dr. Wolfgang Schulz ist Inhaber des Lehrstuhls für Medienrecht, Öffentliches Recht und Rechtstheorie an der Universität Hamburg, Direktor des Leibniz-Instituts für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut, Direktor des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft sowie Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für die Freiheit der Kommunikation und Information.
Reformvertrag für ARD, ZDF und DLF: . In: Legal Tribune Online, 25.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55716 (abgerufen am: 30.10.2024 )
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