Das ZDF hat mit „Hab ich Recht? – Drei Richter für alle Fälle“ eine neue Serie zur Rechtsbelehrung des Publikums gestartet. Sie verspricht rechtlichen Beistand im Einzelfall, was Richtern allerdings verboten ist. Thomas Fischer rezensiert.
Das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) hat kürzlich eine Vorabendserie unter dem Titel "Drei Richter für alle Fälle" gestartet. Sie läuft in der Rubrik "Show", was nicht gelogen, sondern die reine Wahrheit ist. In der Werbung verspricht der Sender zum einen "echte Fälle", zum anderen, dass die drei Showmaster, allesamt berufsrichterliche Amtsträger, "den Betroffenen beistehen" und "handfeste juristische Tipps für alle geben". Ich habe mir zwei Folgen angesehen und berichte hier über meinen Eindruck.
Das Umfeld
Der Vorabend im Öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR), namentlich auch im ZDF, ist die große Stunde der Rheumacremes, Verjüngungsbooster und Treppenlifts sowie des Rechts auf Geborgenheit und Ein-bisschen-Spaß-darf-sein. Anders gesagt: Zur Erholung zwischen den Werbeblöcken für ältere Mitbürger wird, bevor das Abendmahl mit Graubrot plus Bierschinken, Schmelzkäseeck und einer halben Tomate folgt, deprimierend übersichtliche Filmkunst serviert. Zu gefühlt 90 Prozent geht es um das Aufspüren von zwar bösen, aber dummen Verbrechern durch quälend lustige (Herr Mohr von den "Rosenheim-Cops"), menschelnd prädemente (Herr Achtziger, ebenda) oder gnadenlos empathische (das Team von "Notruf Hafenkante") Mitbürger mit oder ohne Uniform.
All dies sind, wie fast jedermann weiß und daher nur geschätzt 25 Prozent der Zuschauer nicht, keine Dokumentationen der Wirklichkeit, sondern Fiktionen, genauer gesagt: Kasperle-Aufführungen mit Gretel, Krokodil und Schutzmann, gemacht für Menschen, die zu dieser Stunde Zerstreuung statt Horizonterweiterung suchen, von Menschen, die Geld damit verdienen, diesen Horizont zu imitieren. Man muss das keineswegs dämonisieren und Brechtsches Aufklärungsprogramm 24/7 fordern. Wenn aber die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit immer mehr verschwimmen, ist dies kein harmloser Spaß.
Die Richter
Daher freut man sich zunächst, wenn einmal die wirkliche Lebenswelt zum Thema des Vorabends wird. Das geschieht heutzutage selbstverständlich in Form von "Betroffenheit": Elisabeth, Eileen, Horst und Karola auf der Suche nach dem Recht, das sie ganz persönlich gern haben möchten. Die Genannten sind, wie zahlreiche andere Rechtssuchende der Serie, echte Menschen mit ihren lebensweltlichen Rechtsproblemen. Sie übertreffen die Darstellungskunst der verzweiflungswürdigen Darsteller in so genannten "Gerichtsshows" um Längen.
Dass die ratsuchenden Bürger auch bei "Drei Richter" umstandslos geduzt werden, fällt kaum noch auf. Das ist bei Horst Lichter oder Alexander Bommes seit vielen Jahren Standard – warum also nicht im Richterzimmer? Gewiss soll es eine Form vorsorglichen Daten- und Persönlichkeitsschutzes sein. In der medialen Wirklichkeit ist es allerdings die öffentliche Degradierung des Bürgers zum Wichtel.
Die drei Richter (zwei Frauen, ein Mann) werden selbstverständlich nicht geduzt. Obwohl sie ja, wie wir alle, auch nur Menschen sind: Eine gärtnert, einer spielt Blindentennis, eine performt im Juristenkabarett. Wir fragen uns kurz, was diese Personaldaten dem "betroffenen" Zuschauer signalisieren sollen, und kommen zu dem Ergebnis: Vermutlich wirklich nicht mehr, als dass Richter irgendwie auch Menschen sind, wenn auch nur nebenamtlich. Eigentlich, so verspricht es das ZDF, ist eine Richterin "Koryphäe" für Zivilrecht, Strafrecht und Mietrecht, also für eigentlich alles. Einer vertritt das ungewöhnliche Spezialgebiet "Erbschaften und Nachbarschaftsstreit". Die Dritte ist eine pensionierte Familienrichterin mit eigenem Garten. In der Werbung tragen sie Roben, suggerieren also amtliche Tätigkeit.
Alle drei empfangen jene Beistandsbedürftigen, die das Bewerbungsverfahren überstanden haben, in Räumlichkeiten, die dem nachempfunden sind, was sich der Vorabendgucker unter einem Richterzimmer vorstellt, einschließlich "Justitia-" und Paragrafenzeichenskulptur, armseligen Grünpflanzen und ordentlich imitiertem Aktenregal. Die Schreibtische sind sensationell aufgeräumt; eine Karaffe mit glasklarem Wasser steht bereit; zum Fenster grüßt der Dom herein.
Die Fälle
Nun also das Rechthaben und Rechtbekommen (oder auch nicht) in seiner vermeintlich authentischsten Form: Bürger vor ihren Richtern, und zugleich ganz "echt", vor dem Tribunal der Zweiten Deutschen Fernsehwelt. Hergestellt wird die Serie übrigens von der Firma "Brot und Butter Entertainment" aus Köln, nach eigener Angabe Spezialistin für "Produktion hochfrequenter Factual Entertainment-Serien, außergewöhnliche Doku-Soaps, TV Shows und Highend Dokumentationen mit Leuchtturmcharakter". Wenn man ein Rechtsproblem hat, kann man sich da bewerben.
Die "echten Fälle" dauern jeweils etwa sieben bis zehn Minuten. Der Ablauf ist immer gleich: Eine Person tritt ins Richterzimmer. Der oder die Richterin freut sich schon darauf, ihr beistehen zu können, und ist sehr gespannt auf den Fall. Daher fragt er/sie: Was ist überhaupt los? Die Person erzählt mehr oder (eher) weniger verständlich über eine (vielleicht wahre) negative Erfahrung, rechtliche Unsicherheit oder Notlage, also über einen Sachverhalt, der einerseits mit ihr selbst, andererseits mit dem Recht zu tun hat.
Die Sachverhalte, die geschildert, und die gestellten Fragen sind jeweils sehr übersichtlich: Muss ich ausziehen, wenn meine Wohnung gekündigt wird? Krieg ich mein Geld zurück, wenn der Reiseveranstalter insolvent ist? Muss ich eine österreichische Strafverfügung bezahlen, wenn ich dort versehentlich ohne gültige Vignette gefahren bin? Und so weiter. An dieser Stelle nun enthüllt sich, dass der jeweils beistandgebende Richter über den Fall in Wahrheit schon vollständig informiert ist, die Akte gelesen, Beweismittel angeschaut und sich Gedanken über die Rechtslage gemacht hat.
Wer annimmt, dass deshalb nun eine Aufklärung über die konkrete Rechtslage und ein Rat folgen, was zu tun sei, irrt: So ist es leider nicht: Die Rechtsberatung in Einzelfällen ist nämlich den rechtsberatenden Berufen sowie bestimmten Rechtsdienstleistern vorbehalten (siehe §§ 6 ff. Rechtsdienstleistungsgesetz). Richter gehören nicht dazu; und auch dienstrechtlich dürfen sie keine entgeltlichen Rechtsauskünfte erteilen (§ 41 Abs. 1 DRiG). Diese wichtige Aufklärung wird den Betroffenen und TV-Zuschauern jeweils zuteil. Wenn dabei das "Rechtsberatungsgesetz" erwähnt werden sollte, das seit 2008 außer Kraft ist, spielt das in der Sache keine Rolle.
Flucht ins Abstrakte
Der "echte Fall", der ja per definitionem stets ein konkreter ist, biegt daher an dieser Stelle unter dem Druck der Rechtslage und unter Hinweis auf die Unzulässigkeit einer Beratung jeweils abrupt ins Abstrakte ab: Was ist überhaupt eine Kündigung? Was ist Schadensersatz? Wann verjähren Forderungen? Die "echten Fälle" sind also zwar vorhanden, dienen aber nur der "Show"-Fiktion lebensnaher Authentizität und werden als Anlass dazu benutzt, einmal zwei Minuten lang ein paar allgemeine und möglicherweise einschlägige Regeln zu erklären.
Das klappt allerdings in zweierlei Hinsicht nur eingeschränkt: Zum einen überschreiten die Richter die Grenze zur Rechtsberatung im Einzelfall durchaus immer wieder ("Ziehen Sie nicht aus. Sie haben gute Chancen"). Zum anderen sind die Rechtssuchenden kaum in der Lage, in der Kürze der Zeit den Zusammenhang zwischen abstrakten Regelungen und "ihrem Recht" zu verstehen: Sie wollen wissen, wie sie an ihr Geld kommen oder was sie tun sollen. Was den Vorabend-Zuschauern im Gedächtnis bleibt, steht in den Sternen. Ein vertieftes Rechtsverständnis, das ihnen im Leben hilft, dürfte es bei den "Drei Richtern" so wenig sein wie bei "Barbara Salesch".
Das Versprechen des "Beistands", welches die Serie potenziell betroffenen, zur "Bewerbung" aufgeforderten Bürgern macht, liefe komplett ins Leere, wenn nicht am Ende irgendein richterlicher Rechts- und Lebensrat erfolgen würde. Dieser ist, soweit bisher erkennbar, mal mehr, mal weniger grenzüberschreitend, in erstaunlich vielen Fällen eher belanglos ("Versuchen Sie sich zu einigen") und im Einzelfall zweifelhaft. Ein paar Beispiele:
Fall Eins:
Eine Dame betreibt eine "Engel-Agentur", vermittelt Weihnachtsmann-Darsteller und verleiht an diese entsprechende Kostüme. Im Jahr 2019 brennt ein Weihnachtsmann samt Kostüm durch, nachdem er bei Kindern von Vertragspartnern (Eltern) ohne Kostüm aufgetaucht ist und ihnen verraten hat, ihn gebe es gar nicht. Fünf Jahre später, Im Jahr 2024, fragt die Engel-Agentur-Betreiberin bei den drei Rechtsengeln an, wie die Rechtslage sei.
Ergebnis: Schadensersatzforderungen verjährt. Herausgabeanspruch gegeben. Weihnachtsmann unbekannten Aufenthalts. Ratschlag: Die Frau soll versuchen, ihm eine E-Mail zu schreiben. Ein Trost immerhin: der Richter nimmt ein Weihnachtsmannkostüm (übliches Equipment) und fragt: "Das stellen Sie (Weihnachtsmann-Agentur) alles bereit?" Antwort: "Ja". Richter: "Das find’ ich enorm".
Fall Zwei:
Eine Rechtssuchende ist von zwei Jugendlichen angegriffen, geschlagen und im Gesicht verletzt worden. Nach ihrem Vorbringen verspürt sie weiterhin eine Narbe sowie Taubheit an der Unterlippe. Die Täter wurden ermittelt; die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren gegen sie (nach § 45 JGG) eingestellt.
Die Richterin erklärt, dass und wodurch Jugendstrafrecht sich von Erwachsenenstrafrecht unterscheidet und dass das Strafverfahren beendet sei. Die Betroffene bekundet unter Tränen, dass sie eine Bestrafung wünsche. Die Richterin gibt der Hoffnung Ausdruck, dass wahrscheinlich die Eltern der Täter Erziehungsmaßnahmen ergreifen werden. Die Betroffene ist anderer Ansicht: Wer solche Kinder habe, sei an Erziehung nicht interessiert. Nun erklärt die Richterin, die Betroffene könne zivilrechtlich Schadensersatz einklagen; allerdings hätten die Jugendlichen voraussichtlich kein Geld. Die Justiz ist an ihre Grenzen gelangt.
Fall Drei:
Ein Ehepaar hat eine Pauschalreise gebucht. Im Hotel erfahren die Betroffenen, der Reiseveranstalter sei insolvent, sie müssten Ihr Hotelzimmer vor Ort bezahlen. Die Reisebetreuerin teilt ihnen mit, der Reisesicherungsfonds werde das erstatten. Sie wollen nun in der ZDF-Show erfahren, ob sie ihr Geld zurückbekommen.
Der Richter erklärt, was in § 651r BGB steht. Er erwähnt das Vorhandensein eines Sicherungsscheins und einer Deckungszusage bei Pauschalreisen. Er erkundigt sich, ob das Ehepaar die Vor-Ort-Zahlung belegen kann: Jawohl, ist die Antwort, man habe eine Rechnung. Das reicht dem Rechtsgelehrten erstaunlicherweise als Beweis der Zahlung. Er klärt daher die Betroffenen darüber auf, dass der Reisesicherungsfonds die Auslage erstatten wird. Nun wollen die Betroffenen, die dies offenkundig bereits wissen: Wann? Der Richter hat freundlicherweise schon vorab beim Sicherungsfonds angerufen und kann melden: Bald! Karola und Peter ziehen hoffnungsfroh von dannen.
Was soll’s?
Das soll als (subjektive) Kostprobe reichen. Andere "echte Fälle" sind anders; das Schema ist gleich. Zu erwähnen ist, dass zwischen den Darbietungen der Beistandsgespräche die drei Richter sich jeweils an einem Stehtisch treffen und ein wenig "aus dem Nähkästchen" plaudern, wie es Richter angeblich so machen: Ich hatte da mal einen lustigen Fall… Da freut sich der vorabendlich Eingestimmte. Man könnte hier noch ein paar der vertrauten Juristenwitze einstreuen.
Gerade an dieser Stelle aber geraten wir wieder ins Zweifeln: Was möchten, sollen oder könnten die "Drei Richter" den "Betroffenen" und der Zweiten Deutschen Fernrechtsgemeinschaft sagen, beibringen oder versprechen? Klar ist: Der eine Fall ist so, der andere so. Man kann, um darauf vorbereitet zu sein, wahlweise die NJW abonnieren, einen Online-Kommentar "für Erbschaften" oder die BILD-Zeitung. Anders gesagt: Die Zielgruppe der Show kann, soweit ich sehe, mit deren Inhalt nicht beruhigt, befriedet oder erleichtert werden. Schon die Form der Präsentation überfordert das Aufmerksamkeits-, Abstraktions- und Differenzierungsvermögen. Das erwünschte "empathische" Hineindenken in eine einzige der "echten" Geschichten dauert für viele vermutlich länger als die ganze Folge.
Die präsentierten "Lösungen" sind meist banal und in der Sache, soweit es konkretisierte Rechtserkenntnis, Verständnis des normativen Systems und distanzierte Wahrnehmung von Gerechtigkeits-Anforderungen der "Vorabend"-Zielgruppe betrifft, vermutlich nicht hilfreich. Aus dem Hineinfühlen in hochspezifische Sachverhalte mit der Auskunft entlassen zu werden, die Betroffenen sollten sich einigen oder einen Rechtsanwalt aufsuchen, ist ein mäßiger Erfolg. Den Ratsuchenden selbst ist die Fernseh-Rolle als Betroffener vermutlich wertvoller als die Auskunft.
Insgesamt
Die drei Rechtsgelehrten für schlichtweg Alles mögen von der Banalität "aller Fälle" nicht überfordert sein. Sie sind aber für die ihnen in den Filmen präsentierten Fälle weder "als Richter" zuständig noch als Rechtsbeistände handlungsbefugt. Ob Eileen, Carmen oder Rüdiger mit der vagen Auskunft gedient ist, sie seien – ohne jegliche Anhörung der Argumente der Gegenseite – möglicherweise (!) im Recht, steht in den Sternen. Sie freuen sich jedenfalls, dass sie "im Fernsehen" waren.
Was beim Zuschauer hängenbleibt, sind nicht Rechtsverständnis, Distanz und Integration, sondern die (vage) Erinnerung an einen "echten" Fall und eine mit der vorgeblichen Autorität der Justiz verkündete Lösung, die keine echte ist. Es handelt sich bei "Drei Richter…", wie vom Sender nicht verschwiegen wird, um eine Show ("Faktual Entertainment"). Das ist im Grundsatz weder gut noch böse. Die auf Unterhaltung abzielende Vermischung von Realität ("echte Fälle"), geskripteter Fiktion ("Beratung") und staatlicher Autorität ("Richter") halte ich für problematisch, Die Serie ist weder Skandal noch Erleuchtung. Sie ist ein weiterer Versuch, mit vorgeblicher Authentizität Geld zu verdienen. Dass sie der Rechtskultur in Deutschland substanziell dienlich ist, darf bezweifelt werden.
Neue ZDF-Gerichtsshow "Hab ich Recht?": . In: Legal Tribune Online, 20.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55461 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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