Nach den Hamas-Morden an über 1.400 Israelis kam es auf deutschen Straßen zu Sympathiebekundungen oder gar Jubel. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt. Doch ab wann wird die Grenze zur Strafbarkeit wirklich überschritten, Herr Fischer?
Die Antwort auf diese Frage muss leider einmal mehr lauten: Es kommt darauf an. Denn was "Jubel" ist, ist ebenso konkretisierungsbedürftig wie der Begriff des "Terrors". Und ob etwas strafbar ist, ist – zum Glück – hierzulande stets "eine Frage des Einzelfalls", also der so genannten Tatumstände.
Grundlage
Der einschlägige Tatbestand lautet:
§ 140 Belohnung und Billigung von Straftaten
Wer eine der in § 138 Absatz 1 Nummer 2 bis 4 und 5 letzte Alternative oder in § 126 Absatz 1 genannten rechtswidrigen Taten (…)
1) belohnt, nachdem sie begangen oder in strafbarer Weise versucht worden ist oder
2) in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) billigt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Aus den Verweisungen vor Ziffer 1) sind hier von Belang: Mord (§ 211 Strafgesetzbuch (StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Taten nach §§ 6 bis 13 des Völkerstrafgesetzbuchs (Völkerstrafgesetzbuch (VStGB)). Auf Einzelheiten dieser Tatbestände soll hier nicht eingegangen werden. Denn dass die im Rahmen des Überfalls der Hamas (= "Bewegung des Islamischen Widerstands") vom 7. Oktober 2023 begangenen Taten die oben genannten Voraussetzungen erfüllen, kann nicht ernsthaft in Zweifel stehen.
Sofern von Tatbeteiligten oder Kommentatoren ein "Recht" der Täter reklamiert wird, diese Taten zu begehen, liegt das in einem Bereich politischer Propaganda und Legitimitäts-Behauptung, welche für die rechtliche Beurteilung weitgehend belanglos ist. Denn selbst wenn der Überfall der Hamas auf Israel nach den Regeln des Kriegsvölkerrechts zu beurteilen wäre, wäre er zweifellos rechtswidrig und verbrecherisch.
Kurz gesagt: Es liegen mit den Handlungen der Tötung, Körperverletzung, Geiselnahme, Vergewaltigung von Menschen durch Kämpfer der "Hamas" ohne Zweifel "rechtswidrige Taten" im Sinne von § 140 StGB vor. Anders als die in § 130 Abs. 1 StGB geregelte Volksverhetzung setzt § 140 StGB nicht einen konkreten Bezug zu Teilen oder konkretisierten Gruppen der Bevölkerung oder zu einzelnen Personen wegen ihrer Zugehörigkeit dazu voraus. Daher sind von § 140 StGB auch Straftaten im Ausland erfasst.
Tatbestand des Billigens
Um die Variante "Belohnen" des § 140 Nr. 1 geht es hier nicht; es kommt vielmehr allein darauf an, ob und wann "Jubel" das Merkmal des "Billigens" (Nr. 2) erfüllt. Das ist zunächst einfach: "Jubel" über eine Straftat im Sinne von § 140 ist selbstverständlich stets "Billigen". Allerdings fangen hier die Anwendungsschwierigkeiten erst an. "Solidarität" mit einem inhaltlichen, politischen, strategischen Anliegen ist auch dann kein Billigen von Verbrechen, wenn das Anliegen selbst als abwegig, sachlich falsch oder irrational anzusehen ist.
Anders gesagt: Es ist nicht bei Strafdrohung verboten, "Freiheit für Palästina", "Gerechtigkeit" für wen auch immer, "Kampf gegen" irgendwelche Unterdrücker, Besatzer, Usurpatoren, Volksfeinde oder was immer zu fordern. § 140 StGB verbietet nicht, Donald Trump oder Wladimir Putin für Retter einer "wahren" Demokratie zu halten und dies auch öffentlich zu sagen. Die Vorschrift verbietet allerdings, mögliche nach deutschem Recht strafbare Verbrechen (§ 12 StGB) von Personen öffentlich als vorbildhaft oder begrüßenswert (aus welchen Gründen auch immer) darzustellen.
An dieser Stelle darf zur Illustration auf zwei – für die Selbstbeschreibung der Bundesrepublik bedeutende – historische Ereignisse hingewiesen werden:
1. Auf den berühmten Göttinger "Mescalero"-Beitrag eines anonymen RAF-Kritikers, der – damals noch ohne eine Ahnung von der Existenz einer Internet-Realität – nach der Ermordung des Generalbundesanwalts Buback zu bedenken gab, er empfinde zwar eine "klammheimliche Freude" über diese Tat gegen das ehemalige NSDAP-Mitglied, halte sie aber gleichwohl für moralisch verwerflich und falsch.
2. Auf die ebenso berühmte öffentliche Äußerung der früheren Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, sie "freue (sich), dass es gelungen ist, Osama bin Laden zu töten".
Beides war vor dem Hintergrund des § 140 StGB grenzwertig, Merkels Aussage in Ziffer 2) allerdings rechtlich deutlich mehr als die bemerkenswert harmlose Selbstbespiegelung des "Mescalero"-Autors in Ziffer 1), die gleichwohl über Jahre zu aufgeregtesten Rhabarbern über das so genannte "Sympathisieren" sowie dessen strafrechtlich, verwaltungsrechtlich, disziplinarrechtlich und presserechtlich erstrebenswerten Folgen geführt hat.
Eine rechtsdogmatisch-aufklärende Diskussion über die zweitgenannte Äußerung oder über die amtlichen Stellungnahmen zur BRD-gestützten Drohnentötung von Kombattanten und Kollateralloteuren im "Krieg gegen den Terror" ist mir jedenfalls nicht aufgefallen. "Sich freuen" über eine völkerrechtswidrige Tötung ist wenig auslegungsfähig; die Äußerung gewissensgeplagt "klammheimlicher Freude" wohl eher ein Vorgang mit psychotherapeutischer Intention.
Auslegung
§ 140 StGB ist ein Äußerungsdelikt, stellt also auf eine nach außen gerichtete kommunikative Äußerung ab. Diese kann das Merkmal des "Billigens" sowohl ausdrücklich (explizit) als auch schlüssig (konkludent) enthalten. "Billigen" bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch das Befürworten, Für-rechtens- oder Für-begrüßenswert-Halten.
Wer nach einer Mordtat auf die Straße oder ins Internet zieht und dort öffentlich – d.h. hier: mit beabsichtigter Wirkung auf die Wahrnehmung und Meinung der Allgemeinheit – Freudenkundgebungen über das Gelingen der Tat abhält, verwirklicht das Merkmal des "Billigens". Es kommt hierbei nicht darauf an, ob der Täter diese Äußerung mit "Einschränkungen" der Art flankiert, es tue ihm "eigentlich" um die Opfer der Tat leid, aber sie seien halt selbst schuld, oder der weltgeschichtlich notwendige Preis für den Sieg des Guten, oder man habe sie vielleicht nicht rechtswidrig töten "müssen", wenn sie oder ihre Regierung sich anders verhalten hätten. All das ändert am Billigen der Straftat selbst nichts.
Fluss, Meer, Land
Speziell bezogen auf die Parole "From the River to the Sea – Palestine will be free" gilt nichts anderes: Es handelt sich, wie bei jeder anderen Propaganda-Parole, um eine auslegungsbedürftige und auslegungsfähige kommunikative Äußerung.
"From River to Sea" bedeutet, konkret und offenkundig: Vom Jordan bis zum Mittelmeer. In diesem geografischen Raum siedelt die genannte Ich-wünsch-mir-was-Parole das Phänomen "Palästina" an, wobei wortlautmäßig offenbleibt, ob damit ein Staat, eine Nation, ein Volk oder ein Raum gemeint sind. Im zur Auslegung heranzuziehenden Begriffsumfeld freilich ist völlig klar: "Zwischen Fluss und Meer" hat kein Staat Israel Platz, denn dieser würde wie auch immer, aber jedenfalls nicht "Palestine" heißen. Gemeint ist also: Israel weg, Groß-Palästina her.
Diese Bedeutung ist jedermann, der die Parole hört, liest oder skandiert, offenbar; es gibt daran nichts ernsthaft zu deuten. Dass es irgendwelche rabulistischen Möglichkeiten einer abweichenden Deutung geben mag, ist belanglos; für § 140 StGB kommt es auf das Auslegungsergebnis aus Sicht eines objektiv-neutralen, vernünftigen Rezipienten unter den konkreten Umständen an. Nun darf ein Mensch, der unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) ("Jeder"!) und ggf. auch noch unter dem der Art. 8 Abs. 1 (Versammlungsfreiheit) i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG (Allgemeine Handlungsfreiheit) steht, gewiss "meinen", der Staat Israel habe keine Existenzberechtigung. Dies hat aber eine nur lockere Verbindung zur Frage, ob ein konkretes Verbrechen gebilligt (§ 140 StGB) oder zu weiteren Verbrechen aufgefordert (§ 111 StGB) oder gar das Volk verhetzt (§ 130 StGB) wird.
Insoweit ist die Prüfung der beiden erstgenannten Tatbestände ist im vorliegenden Fall nicht schwierig: Die genannte Parole ist als solche – also als abstrakte Forderung – nicht strafbar. Anders ist es aber, wenn sie, wie hier, in einem unmittelbaren, kommentierenden Zusammenhang mit Straftaten im Sinn von § 140 StGB geäußert wird. Die Forderung, der Staat Israel solle verschwinden oder ausgelöscht werden, bezog sich jedenfalls bei den spontanen Versammlungen am Wochenende des 7./8. Oktober unmissverständlich auf die kurz zuvor von Mitgliedern der Hamas verübten Taten. Nach objektiver Auslegung unbefangener Betrachter und Leser oder Zuhörer konnte sie nur als Billigung dieser Taten verstanden werden.
Eine Strafbarkeit nach § 111 StGB ist dagegen nicht gegeben, denn der Parole lässt sich keine hinreichend konkrete Aufforderung zu Straftaten entnehmen. Eine Strafbarkeit besteht auch nicht für das Zeigen der palästinensischen Flagge als solcher, denn sie ist kein Kennzeichen (der Hamas) im Sinne von § 86a StGB.
Öffentlicher Friede
Aber was ist mit dem Tatbestandsmerkmal der "Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens", das außer in § 140 auch in den §§ 126, 130 und 166 StGB Verwendung findet? Über dieses Merkmal ist schon viel geschrieben worden. Die Rechtspraxis (= Rechtsprechung) hat sich lange Zeit auf intuitive Pseudo-Rechtssätze und vermeintliche Erfahrungssätze gestützt: "Öffentlicher Friede" sei ein tatsächlicher Umstand, eine empirisch messbare Stimmung oder eine quasi-psychologische Diagnose des Gefühlszustands der deutschen Bevölkerung.
Das Bundesverfassungsgericht hat dagegen in seiner Entscheidung vom 4. November 2009 (in fast wörtlicher Zitierung des vom Autor seit jeher Vertretenen) entschieden, "öffentlicher Friede" sei nicht ein äußeres oder inneres Faktum, "nicht ein strafbegründendes Tatbestandsmerkmal, sondern eine Wertungsklausel zur Ausscheidung nicht strafwürdig erscheinender Fälle" (BVerfG 1 BvR 2150/08 = NJW 2010, 47; Wunsiedel-Entscheidung). Wäre es anders, so müsste das Merkmal einer empirischen Feststellung – und daher auch entsprechenden Beweisanträgen in der Hauptverhandlung – zugänglich sein. Der wichtige Grundsatz der Entscheidung ist in Rechtsprechung und Literatur kaum angemessen zu Kenntnis genommen worden, da er dem eingeübten Evidenz-Schema widerspricht.
Öffentlicher Friede ist somit nicht ein empirisch zu messender Besorgnis- oder Erregungs-Level der Bevölkerung Deutschlands, sondern eine normativ zu bewertende, "wünschenswerte" Gestimmtheit derselben, beurteilt nach dem Maßstab und aus Perspektive einer "objektiv-neutralen" Person, also des erkennenden Gerichts. Kein Gericht hat jemals bei Taten der Gefährdung oder Störung des öffentlichen Friedens eine sachverständige Untersuchung der öffentlichen Stimmungslage angeordnet. Dass – außer in § 130 Abs. 4 – stets nur eine "Eignung" zu Friedensstörung vorausgesetzt ist, bedeutet, dass es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt (mit konkreter Einschränkungsmöglichkeit) handelt; die "Störung" muss nicht tatsächlich eintreten.
Vor diesem Hintergrund ist die genannte Parole auf ihre Eignung zur Friedensstörung (in Deutschland) zu prüfen. Sie richtet sich nicht nur abstrakt an den deutschen Staat, sondern an alle in Deutschland lebenden Menschen, insbesondere auch an die hier lebenden Juden. Zugleich fordert sie andere Bevölkerungsgruppen auf, sich der Forderung nach Vernichtung des Staates Israel anzuschließen. Sie ist schon aus diesem Grund in hohem Maß geeignet (und bestimmt), Aggression, Unsicherheit und Angst zu verursachen und in Deutschland lebende Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufzuhetzen. Hinzu kommt eine Bedrohung der Gesamtbevölkerung mit der hierdurch geschaffenen Lage der Gefährdung und Furcht.
An der Eignung zur Friedensstörung besteht daher im hier gegebenen konkreten Zusammenhang kein Zweifel. Das sieht, soweit inzwischen wohl auch die Berliner Polizei und/oder die Staatsanwaltschaft so, wie LTO berichtet.
Volksverhetzung?
Schließlich kann man noch über den Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB) nachdenken. Der "öffentliche Friede" ist hier derselbe wie in § 140. Allerdings muss sich die Tat auf eine durch bestimmte Merkmale (z. B. religiöse, ethnische, nationale) charakterisierte Gruppe oder auf Teile der Bevölkerung beziehen. Damit ist, entgegen gelegentlicher Annahme, nur die in Deutschland lebende, also die inländische Bevölkerung gemeint. Hetze gegen Bevölkerungsgruppen im Ausland reicht daher grundsätzlich nicht aus, wenn nicht zugleich eine inländische Bevölkerungsgruppe einbezogen ist. Im Übrigen muss die Gruppe oder der Teil der inländischen Bevölkerung hinreichend konkretisiert sein. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung hinsichtlich der Gruppe "in Deutschland lebende Juden" der Fall.
Der Tatbestand des § 130 Abs. 1 ist aber aus einem anderen Grund wohl nicht gegeben: Die Parole, Palästina solle vom Jordan bis zum Mittelmeer" reichen, richtet sich ausdrücklich gegen den Staat Israel, nicht aber mit einer hinreichenden Konkretheit gegen den jüdischen Bevölkerungsteil Deutschlands.
Antworten, im Ergebnis
1. Das Bejubeln von konkreten bzw. von hinreichend konkretisierbaren Tötungsdelikten der "Hamas"-Miliz in Israel ist nach § 140 Nr. 2 StGB strafbar.
2. Die öffentliche Verbreitung der Parole "from the river to the sea / Palestine will be free" ist im konkreten Bedeutungszusammenhang nach § 140 Nr. 2 StGB strafbar. Eine Strafbarkeit nach § 130 Abs. 1 StGB besteht dagegen nicht.
3. Allgemeine "Solidaritäts"-Bekundungen mit den politischen, humanitären oder rechtlichen Anliegen "der Palästinenser" oder einzelner Gruppen von ihnen sind nicht strafbar, sondern unterfallen Art. 5 Abs. 1 GG. Entsprechende öffentliche Demonstrationen sind über Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art 2 Abs. 1 GG auch dann gerechtfertigt, wenn die dort vertretenen politischen Positionen einer Mehrheit der (deutschen) Bevölkerung abwegig erscheinen. Die palästinensische Flagge ist kein Kennzeichen der Organisation Hamas und daher nicht nach § 86a StGB strafbar.
Eine Frage an Thomas Fischer: . In: Legal Tribune Online, 16.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52929 (abgerufen am: 18.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag