Eine Frage an Thomas Fischer: Sollten wir das Mit­sich­führen von Mes­sern ver­bieten?

von Prof. Dr. Thomas Fischer

11.06.2024

Nach der Mannheimer Messerattacke ist die politische Debatte in vollem Gange: Müssen wir das Mitsichführen von Messern verbieten? Ein allgemeines Verbot wäre gar nicht schlecht, meint Thomas Fischer – doch gleichzeitig völlig unrealistisch.

In der Folge des tödlichen Angriffs mit einem Messer auf einen Polizeibeamten in Mannheim ist allenthalben wieder die Forderung lautgeworden, das Führen von Messern insgesamt zu verbieten oder die Zulässigkeit wenigstens stark einzuschränken.  

Die letzten Initiativen dieses Inhalts liegen erst ein Jahr zurück: "Wir sollten über Messerverbote in öffentlichen Verkehrsmitteln nachdenken", erklärte die Bundesinnenministerin im April 2023, nachdem ein Staatenloser in einem Regionalzug bei Brokstedt zwei junge Menschen erstochen hatte. Dass das Führen von Messern nach dem kurz danach begangenen Kindermord von Freudenberg auch überall sonst verboten werden sollte, ist nicht erinnerlich. Niedersachsen brachte, nachdem die seit Januar 2023 vom Bundesinnenministerium angekündigte Novelle des Waffengesetzes (WaffG) mehr als ein Jahr lang in der Ressortabstimmung verbracht hatte, am 29. Mai 2024 im Bundesrat einen Entschließungsantrag "Messerkriminalität wirksam bekämpfen und Novelle des Waffenrechts zügig voranbringen" ein (BR-Drucksache 263/24). Vier Tage später geschah die Tat in Mannheim.  

Die aktuelle Rechtslage

Zunächst ein paar Hinweise zur geltenden Gesetzeslage. Dies erscheint erforderlich, weil diese im Bereich der Waffen, gefährlichen und sonstigen Werkzeuge, verbotenen Gegenstände usw. ausgesprochen unübersichtlich ist. Wer auf der Suche nach einem für die Bürger besonders schwer verständlichen Regelungswerk ist, hat bei dem deutschen WaffG vom 11. Oktober 2002 samt seinen Anlagen eine hohe Trefferwahrscheinlichkeit (das sieht das Land Niedersachsen in der genannten Drucksache anders: "verständlich und übersichtlich").

In § 1 WaffG heißt es:  

"(2) Waffen sind (...)  

2. Schusswaffen oder ihnen gleichgestellte Gegenstände und tragbare Gegenstände, die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen zu beseitigen oder herabzusetzen, insbesondere Hieb- und Stoßwaffen; die, ohne dazu bestimmt zu sein, insbesondere wegen ihrer Beschaffenheit, Handhabung oder Wirkungsweise geeignet sind, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen zu beseitigen oder herabzusetzen, und die in diesem Gesetz genannt sind. (…)"

§ 42 WaffG ordnet an:  

"(1) Wer an öffentlichen Vergnügungen, Volksfesten, Sportveranstaltungen, Messen, Ausstellungen, Märkten oder ähnlichen öffentlichen Veranstaltungen teilnimmt, darf keine Waffen im Sinne des § 1 Abs. 2 führen. (…) Dies gilt auch (…) für Theater-, Kino-, und Diskothekenbesuche und für Tanzveranstaltungen.

(5) Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung vorzusehen, dass das Führen von Waffen im Sinne des § 1 Abs. 2 auf bestimmten öffentlichen Straßen, Wegen oder Plätzen allgemein oder im Einzelfall verboten oder beschränkt werden kann (…)"

 § 42a WaffG lautet:  

"(1) Es ist verboten (…) 3. Anscheinswaffen, Hieb- und Stoßwaffen nach Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 Nr. 1.1 oder Messer mit einhändig feststellbarer Klinge (Einhandmesser) oder feststehende Messer mit einer Klingenlänge über 12 cm zu führen."

Nach Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Ziffer 2 sind tragbare Gegenstände im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe b WaffG unter anderem folgende Messer: Springmesser, Fallmesser, Faustmesser und Butterflymesser.

Die Krux mit der Gefahr eines Messers

Messer jeglicher Art sind ihrem Wesen nach gefährlich. Rechtlich ist aber zu unterscheiden: In die Gruppe 1 fallen Messer, die Waffen sowohl im Sinne des Waffenrechts als auch des Strafrechts sind, also sind Gegenstände, die bauartbedingt dazu bestimmt sind, Verletzungen von Menschen oder Tieren herbeizuführen (weitere Beispiele: Pistolen, Säbel, Würgehölzer). Zur Gruppe 2 gehören Messer als "gefährliche Werkzeuge" im Sinne von § 244 oder § 250 Strafgesetzbuch (StGB), also Gegenstände, die bauartbedingt nicht zum Verletzen bestimmt sind, aber dafür "missbraucht" werden können (weitere Beispiele: Macheten, Silvesterkracher, Baseballschläger). Außerdem gibt es im Strafrecht noch Messer als "sonstige Werkzeuge oder Mittel" (Gruppe 3), die im Konkreten zwar ebenfalls gefährlich eingesetzt werden können, aber keine "Waffenähnlichkeit" aufweisen, beispielsweise abgerundete Frühstücksmesser (weitere Beispiele: heißes Wasser, Klebeband, Sandalen).  

Ersichtlich besteht zwischen der Gruppe 2 und der Gruppe 3 eine unklare Grenze, weil selbstverständlich jeder beliebige Gegenstand – also auch jedes beliebige Messer – zur Verletzung von Menschen eingesetzt werden kann. Die BGH-Rechtsprechung hat in den 26 Jahren seit einer ersichtlich verfehlten Änderung des StGB zwar eine unüberschaubare Fülle von Einzelfallentscheidungen getroffen; von systematischer Klarheit kann aber weiter keine Rede sein, denn das Problem liegt nicht im Einzelfall, sondern in dem (unbestrittenen) Grundsatzfehler des Gesetzgebers von 1998:  

Eine Unterscheidung zwischen den Gruppen 2 und 3 ist überflüssig, wenn die jeweiligen Gegenstände tatsächlich zur Verletzung verwendet werden. Am Erfolg der Tat lässt sich dann erkennen, dass der Gegenstand offensichtlich "gefährlich" war, unabhängig davon, ob es sich um eine Maschinenpistole oder ein Streichholz handelt.  

Anders ist es aber, wenn es um das "Führen" (Mitsichführen) geht, das im WaffG verboten und in manchen Straftatbeständen des StGB mit Strafe bedroht ist. Denn jeder Mensch führt ständig irgendwelche Gegenstände mit sich, die theoretisch "gefährlich" eingesetzt werden können. 

Was genau wollen wir eigentlich verbieten? 

Ein allgemeines "Verbot von Messern" wäre albern. Mit irgendetwas muss man Brot und Käse schneiden; und die Rückkehr zum Faustkeil würde das Aggressionsproblem nicht lösen. Es kann also nur um eine Differenzierung der Art gehen, wie sie Anlage 1 zum WaffG vorsieht. Da stellt sich die Frage, welche weiteren Messerarten dem Verbot unterfallen sollen.  

Einst hieß es, ein deutscher Junge habe in seiner Tasche mitzuführen: Bindfaden, Zwille, Taschenmesser, Angelhaken. Das waren lauter potenzielle Werkzeuge zur Begehung von Gewaltstraftaten. Es sollen hier nicht Erich-Kästner-Helden mit hochgefährlichen Fanatikern oder betrunkenen "Ehren"-Kämpfern gleichgesetzt werden. Es geht nicht um die Personen, sondern um die Werkzeuge. Auch mit einem Küchenmesser kann man einen Menschen schwer verletzen oder töten, ebenso wie mit unendlich vielen anderen Alltagsgegenständen. Gewiss mehr als die Hälfte aller Tötungs- und Körperverletzungsdelikte, über die ich in 35 Jahren Strafrechtspraxis entschieden habe, wurden nicht mit Messern im Sinn von Anlage 1 zum WaffG begangen, sondern mit ganz gewöhnlichen Koch-, Brot-, Steak- oder Wurstschneidemessern.  

Das soll nicht heißen, es sei grundsätzlich gleichgültig, ob das Führen von Messern in der Öffentlichkeit erlaubt ist oder nicht. Es zeigt nur, dass die Wirksamkeit solcher Verbote in der Lebenspraxis stark relativiert werden muss. 

Messer als Zeichen permanent latenter Gewalt 

Wer sich jemals ein paar Minuten Zeit vor dem Schaufenster eines Waffengeschäfts genommen hat, weiß, dass das Produktangebot an "Survival"-, Kampf- und sonstigen Hardcore-Messern unüberschaubar ist. Selbstverständlich benötigt fast niemand ein am Gürtel zu tragendes Werkzeug zum Töten von Haien, Bären oder feindlichen Soldaten, zum Häuten von Rehwild oder zum Bau einer Blockhütte. 

99,9 Prozent dieser Gerätschaften werden vielmehr gekauft und mit sich getragen, um gewappnet zu sein für allfällige Notwehrlagen des deutschen Alltags. Diese Motivation unterscheidet sich nicht von derjenigen der oft zu zu Recht geschmähten "Waffennarren" in den USA, die im Garderobenschrank neben den Pantoffeln auch vollautomatische Sturmgewehre aufzubewahren und in Damenhandtaschen zierliche Pistolen mitzuführen pflegen. Bekanntlich ist die Frage, ob erst die private Hochrüstung und dann die Zunahme der Gefährdung kommt oder umgekehrt, ideologisch umstritten.  

Das ändert nichts daran, dass eine Standardausstattung von allzeit kampf- und "verteidigungs"-bereiten Männern mit griffbereiten Tötungswerkzeugen im bundesdeutschen Alltagsleben kein Akt der Sozialadäquanz, der gesellschaftlichen Integrativität oder friedfertigen des Interessenausgleichs ist, sondern ein unmissverständliches Zeichen permanent latenter Gewalt. Mag der Lausbub der frühen Jahre sein Taschenmesser zum Schnitzen geführt haben – der Fremdenbekämpfer, Gotterleuchtete oder Hassgetriebene tut es mitnichten.

Wie Messerverbote gedacht sind

Die Messerführungsverbote des WaffG sollen eine abstrakte Gefahr reduzieren, die von bestimmten technischen Ausführungsarten des Gegenstands "Messer" ausgeht. Die konkreten, zum Anlass der Diskussionen herangezogenen Taten werden aber meist nicht mit solchen Gegenständen begangen. Konkret: Welche Klingenlänge das vom Angreifer in Mannheim benutzte Messer hatte, wurde bislang nicht berichtet. Ob die Verletzungen der Opfer weniger schlimm gewesen wären, wenn die Klinge sechs statt zehn Zentimeter betragen hätte, ist unbekannt.  

Deshalb lässt sich zu dieser Frage derzeit leider keine gleichermaßen allgemeine wie konkrete Lösung formulieren. Ob der Angreifer von Mannheim ein Beil, ein Kochmesser, einen Schraubendreher oder ein "Survival-Tool" von zuhause holte, bevor er mindestens mit Verletzungsabsicht auf Menschen losging, ist letztlich gleichgültig. Sicher ist, dass jemand, der solch eine Tat plant, sein Tatwerkzeug nicht nach Maßgabe von Führungsverboten auswählt.  

Noch viel weniger weiß man, ob durch ein (allgemeines?) "Messerverbot" diese Tat oder andere Teten hätten verhindert werden können oder zukünftige Taten unwahrscheinlicher werden. Das hängt – ausschließlich – davon ab, wie man sich die praktische Durchsetzung vorstellen sollte. Durch ordnungsrechtliche Verbote kann allenfalls die Zahl der Spontantaten reduziert werden; vorplanende Angreifer lassen sich durch sie nicht abschrecken.

Lückenlose Kontrolle gibt es nicht

Effektiv wäre ein solches Verbot, wenn es (annähernd) lückenlos durchgesetzt werden könnte. Das ist natürlich unmöglich. Man kann im öffentlichen Raum nicht sämtliche Menschen permanent daraufhin überprüfen, ob sie vielleicht ein Messer in der Tasche haben. Überdies gäbe es zahlreiche Fälle, in denen dies im Einzelfall erlaubt werden müsste. Und solange nicht alle Haushaltswarengeschäfte und Kaufhäuser ihr Angebot an Haushaltsmessern hinter Panzerglas präsentieren, kann sich jedermann im Vorübergehen ein superscharfes "Heute kocht Papa"-Messer greifen und damit Straftaten begehen.  

Rein symbolische Bekräftigungsgesetze andererseits sind kriminologisch kaum wirksam. Wenn allgemein bekannt und in der Sache unvermeidlich ist, dass eine Kontrolle von Regeln und eine Verfolgung von Regelübertretungen eher Zufall, in der Praxis aber hoch unwahrscheinlich ist (weitere Beispiele: Bagatell-Steuerhinterziehung, Fahren in fahruntüchtigem Zustand, Unterschlagung von Material des Arbeitgebers), ist es fast gleichgültig, ob die Sanktionsandrohung "hart" ist.  

Wer sollte ein weitreichendes "Messerverbot" durchsetzen? Wie effektiv wurden die bisherigen Verbote durchgesetzt? Welche konkreten Änderungen des WaffG könnten die abstrakte Gefahr verringern? Gäbe es bei einer erlaubter Klingenläge von sechs Zentimetern weniger oder ungefährlichere Taten als bei Klingenlängen von acht, zehn oder zwölf Zentimetern? Sollte auch der Besitz bestimmter Messerarten (also das Aufbewahren zuhause) generell verboten oder erlaubnispflichtig werden? Und wie kreativ reagiert wohl die (Kampf-)Messer-Industrie darauf, wenn die erlaubte Klingenlänge reduziert wird?

Antworten, im Ergebnis

  1. Eine Differenzierung zwischen abstrakt gefährlichen und abstrakt ungefährlichen Messern ist kaum möglich.  

  2. Zwischen polizeirechtlichen, präventiven Regelungen des WaffG und Strafverfolgungsvorschriften des StGB ist formal und inhaltlich zu unterscheiden 

  3. Ein allgemeines Verbot des Führens von Messern jeglicher Art im öffentlichen Bereich wäre im Grundsatz nützlich, könnte aber nicht wirksam durchgesetzt werden.  

  4. Eine Ausweitung der bestehenden Verbotsbereiche auf alle potenziell gefährlichen Bereiche (Arbeit, Verkehrsflächen, Wohnungen) ist unrealistisch. Nur symbolisch wirkende Gesetzesänderungen sollten vermieden werden.  

Zitiervorschlag

Eine Frage an Thomas Fischer: Sollten wir das Mitsichführen von Messern verbieten? . In: Legal Tribune Online, 11.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54740/ (abgerufen am: 30.06.2024 )

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