Angela Merkel soll per SMS regiert haben. Doch wie genau, weiß keiner. Entgegen dem Informationsfreiheitsgesetz löschen Behörden oft Nachrichten von Amtsträgern, Gerichte nehmen das einfach hin. Das muss sich ändern, meint FragDenStaat.
Was stand in den SMS, die Minister zum Bundeswehrabzug aus Afghanistan getippt haben? Was schreibt der Kanzler für dienstliche Kurznachrichten an seine Mitarbeiter? Welche Geheimnisse bergen die immer noch nicht digitalisierten Aktenberge von ehemaligen Bundeskanzler:innen. Nach dem Informationsfreiheitgesetz (IFG) hätte jede Person dem Grunde nach einen Anspruch auf Zugang auch zu solchen Informationen. Zumindest in der Theorie.
In der Praxis laufen diese Ansprüche häufig ins Leere: Spitzenpolitiker löschen einfach die SMS-Nachrichten, Beamte setzen Handys trotz IFG-Antrag auf Werkeinstellungen zurück, verakten digitale Kommunikation gar nicht erst oder sortieren die Aktenschränke so schlecht, dass man auf Anfrage nichts wiederfindet.
Jeder kann mit einem IFG-Antrag im Grundsatz alle möglichen "amtlichen Informationen" herausverlangen, wenn keine Ausnahmegründe, etwa Sicherheitsinteressen greifen. Dabei gilt: Amtliche Informationen sind alle amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnungen, unabhängig von der Art ihrer Speicherung (§ 2 IFG). Lediglich Entwürfe und Notizen, die nicht Bestandteil eines Vorgangs werden sollen, gehören nicht dazu.
Die Definition im IFG ist also denkbar weit, SMS-Nachrichten können eindeutig dazugehören. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können sogar Twitter-Direktnachrichten amtliche Informationen darstellen. Dabei können sich Behörden nicht damit herausreden, dass der Inhalt einer SMS- oder Twitter-Nachricht nicht ausgedruckt und zu einer Akte genommen wurde. Denn ein Informationsanspruch besteht für alle Inhalte, die veraktet hätten werden müssen.
Merkel regierte Deutschland per SMS – Wie genau bleibt ein Geheimnis
Was "aktenwürdig" ist, scheint allerdings nicht immer klar. Es gibt diverse Beispiele von nicht in Akten auftauchender Kommunikation, die kaum als Bagatelle abgetan werden können, gleichwohl ein Geheimnis bleiben. Angela Merkel wurde etwa nachgesagt, sie habe als "SMS-Kanzlerin" das Land gelenkt. Nach Ende ihrer Kanzlerschaft berichtete das SZ-Magazin über die "Handy-Jahre einer Kanzlerin".
Andreas Scheuer hat im Zusammenhang mit der (geplatzten) PKW-Maut amtliche Kommunikation offensichtlich per Handy geführt, wobei die Handydaten, bevor sie Gegenstand eines Untersuchungsausschusses werden konnten, praktischerweise von seinem Handy gelöscht wurden. Über Ursula von der Leyen ist ebenfalls bekannt, dass sie in dienstlichen Angelegenheiten häufig per Textnachricht kommuniziert und es gelegentlich zu unverhofften Löschungen dieser Nachrichten kommt.
All diese Erfahrungen führen jedoch zu keiner Änderung der Behördenpraxis. Erst kürzlich wurde bekannt, dass auch die SMS von Angela Merkel, die dem Untersuchungsausschuss zu den gescheiterten Evakuierungen aus Afghanistan vorgelegt werden sollten, nie ordentlich veraktet und dann nach dem Ausscheiden der Kanzlerin direkt gelöscht wurden.
Das behördliche Löschen geht weiter
Die Ministerien und Behörden reden sich bisher so raus: Was nicht veraktet wurde, ist auch keine amtliche Information und kann daher auch gelöscht werden. Zwar stimmt es, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur amtliche Information ist, was auch aktenrelevant ist. Die Behörden berufen sich zur Bestimmung der Aktenrelevanz dann aber auf ihre internen Richtlinien, die oft denkbar weit und lückenhaft sind und für digitale Kommunikation meist gar keine Regelungen vorsehen.
Dabei ergibt sich die Pflicht zur ordnungsgemäßen Aktenführung bereits aus dem Grundgesetz, namentlich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG. Im Einzelnen handelt es sich um die Pflicht, überhaupt Akten zu führen (Gebot der Aktenmäßigkeit), und die Pflicht, dies vollständig, nachvollziehbar und wahrheitsgetreu zu tun (Gebot der Aktenvollständigkeit und Gebot der Aktenwahrheit). Diese Art von Dokumentation der Arbeits- und Entscheidungsprozesse ist einerseits eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit und dürfte andererseits essentiell sein, um trotz wechselnder personeller Zuständigkeiten eine sachgemäße Bearbeitung sicherzustellen und Wissen zu erhalten.
Klare gesetzliche Regelung fehlt
Ein Gesetz, das die grundgesetzlich vorgegebene Pflicht zur ordnungsgemäßen Aktenführung konkretisiert, gibt es bisher nicht. Lediglich in einer internen Dienstanweisung, der sogenannten Registraturrichtlinie, die im Rahmen von § 12 Abs. 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien erlassen wurde, finden sich nähere Erläuterungen. Ergänzend haben verschiedene Ministerien eigene Schriftgutanordnungen erlassen.
Die Registraturrichtlinie ist ordentlich in die Jahre gekommen und stammt vom 1. Juli 2001. Sie bezieht sich zwar nicht nur auf Papier-, sondern auch auf elektronische Dokumente. Vorgaben dazu, wie mit amtlicher Kommunikation via Twitter, Diensthandys und Messengerdiensten umzugehen ist, enthält sie jedoch nicht ausdrücklich, was aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters wenig verwunderlich ist. Auch im Übrigen bleibt die Richtlinie sehr vage und enthält wenige handfeste Vorgaben. Nach einer Definition von Aktenrelevanz sucht man vergebens. Auch die Rechtsprechung lieferte bisher keine Definition.
Trotz der dargestellten Regelungsdefizite ergibt sich letztlich aus den verfassungsrechtlich hergeleiteten Grundsätzen der ordnungsgemäßen Aktenführung selbst, dass sich jedenfalls alles, was laufende Projekte oder Arbeitsprozesse betrifft oder aus denen sich neue Projekte oder Arbeitsprozesse ergeben, in den Akten wiederfinden muss. Dies umfasst selbstverständlich auch solche Kommunikation, die von politischen Entscheidungsträgern mittels SMS, WhatsApp oder Signal geführt wird, sofern sie für amtliche Vorgänge relevant ist.
Soweit die Theorie. Die Praxis sieht anders aus. Es ist bisher kein einziger Fall bekannt, in dem die auf IFG-Anträge übersandten Informationen Inhalte aus Textnachrichten, die in Akten überführt worden sind, enthalten hätten.
Das Bundeskanzleramt räumt nicht auf, das Bundesaußenministerium löscht SMS des Ministers
Auch im Übrigen ist es kein Geheimnis, dass die Aktenführung in deutschen Behörden mit Ordnung häufig wenig zu tun hat. Die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Aktenführung scheint Behördenmitarbeiter:innen nicht flächendeckend bekannt zu sein, beziehungsweise bewusst ignoriert zu werden. Sämtliche Unterlagen aus Helmut Kohls' Kanzlerschaft, auf deren teilweise Herausgabe eine Historikerin vergebens geklagt hatte, sind im Kanzleramt so unsortiert, dass nach Themengebieten oder Schlagwörtern schlicht nicht gesucht werden konnte. Gleichzeitig weigert sich das Bundeskanzleramt den Nachlass der Altkanzler wie für die historische Forschung notwendig zu digitalisieren oder wie gesetzlich vorgesehen an das Bundesarchiv abzugeben.
Oft wird bei IFG-Verfahren auch damit gedroht, in Zukunft Dinge eben gar nicht mehr zu protokollieren und zu den Akten zu nehmen, wenn man sie nun herausgeben müsse – besonders beliebt bei der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen.
In dem kürzlich abgeschlossenen Verfahren, in dem es um die SMS des ehemaligen Außenministers Heiko Maas zum Truppenabzug aus Afghanistan ging, erklärte das Auswärtige Amt, dass derartige SMS und Messenger-Kommunikation selbst nicht veraktet werden. Zu den Akten genommen würde – auf Anweisung des Nutzers des Handys – allenfalls der Inhalt, und zwar etwa in Form von Vermerken, die aber gewöhnlich den Ursprung der Information nicht wiedergäben. Ob Heiko Maas dazu jemals befragt wurde, wusste leider keiner mehr und konnte in der mündlichen Verhandlung nicht mehr geklärt werden.
Auch sonst fehlt es in dem Ministerium an einer Systematik, um zu überprüfen, ob amtliche Informationen, die auf Handys gespeichert sind, tatsächlich ordnungsgemäß weitergeleitet werden. Nach dem Ausscheiden des Außenministers wurden dann alle auf dem Handy befindlichen Daten gelöscht, ohne jemals einen Blick in die dort gespeicherten Daten geworfen zu haben.
Mutlose Gerichte lassen Behörden fast alles durchgehen
Die Gerichte sanktionieren ein solches Verhalten bisher nicht. Hingegen wird stets betont: Das IFG vermittele keinen subjektiven Anspruch auf eine ordentliche Aktenführung der Behörden, sondern setze diese vielmehr voraus. Sowohl Behörden als auch Gerichte nehmen bisher nicht zur Kenntnis, dass diese Voraussetzung vielfach nicht erfüllt wird. Die behördliche Argumentation folgt stets dem Muster, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Wenn Informationen mit Aktenrelevanz in Textnachrichten vorhanden gewesen wären, wären diese selbstverständlich irgendwie veraktet worden.
Nur dazu wie dies geschieht, fehlen bisher konkrete Aussagen. Auch Presseberichte, die das Vorliegen solcher Kommunikation belegen, führen nicht dazu, dass die IFG-Referate ihre Minister:innen einfach mal konkret nach solcher Kommunikation fragen. Die Gerichte neigen bisher ebenfalls dazu, sich dem Rückschluss der Behörden vom Soll- auf den Ist-Zustand anzuschließen – obwohl in einer Vielzahl von Fällen nachgewiesen werden konnte, dass trotz gegenteiliger Vorgaben fleißig über Signal und Co. kommuniziert wurde.
Lediglich in einem Fall vernahm das Verwaltungsgericht Berlin eine Mitarbeitende des Verkehrsministeriums als Zeugin, da die Akteneinsicht eine Äußerung von ihr offenbarte, die die Existenz der beantragten Informationen nahelegte. Es bleibt abzuwarten, ob in der Zukunft ein Gericht den Mut haben wird, einen Minister als Zeugen zu laden.
Behörden in die Pflicht nehmen
Unabhängig davon ist es höchste Zeit, sich von der jahrzehntealten Registraturrichtlinie zu verabschieden und ein neues Regelwerk zu schaffen, das klare Vorgaben enthält und sich spezifisch mit "neuartigen Kommunikationsmitteln" befasst. Darüber hinaus müssen Verstöße sanktioniert werden. Momentan schafft die Rechtsprechung eher das Gegenteil: Wenn Unterlagen über IFG-Anträge nicht der Öffentlichkeit preisgegeben werden sollen, ist es für Behörden ratsam, diese kurzerhand zu löschen oder einfach nicht ordentlich abzuheften. Sanktionen: Keine.
Die Gesetzgebung ist daher dringend gefragt, einzuschreiten und die grundgesetzliche Pflicht durch konkrete Gesetze umzusetzen. Denn ohne den Zwang zur sorgsamen Aktenführung läuft die Informationsfreiheitsrecht der Bürger ins Leere.
Hier schreiben Dr. Vivian Kube, Hannah Vos und Arne Semsrott von FragDenStaat monatlich die Gastkolumne "Akteneinsicht" rund um das Thema Informationsfreiheit und Transparenz.
FragDenStaat ist ein Portal zur Förderung der Informationsfreiheit in Trägerschaft der Open Knowledge Foundation Deutschland. Dr. Vivian Kube und Hannah Vos sind Rechtsanwältinnen und Juristinnen, Arne Semsrott ist Projektleiter.
Wenn Behörden Informationsrechte untergraben: . In: Legal Tribune Online, 13.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53148 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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