BGH vor Entscheidung im Dieselskandal 2.0: Mil­li­arden für die Umwelt statt für Die­sel­kunden

Gastkommentar von Arndt Eversberg

15.06.2023

Bald entscheidet der BGH erneut über Schadensersatz bei Dieselkunden. Doch Schadensersatz sollte nicht an Dieselkunden fließen, die ihren Wagen problemlos verwenden können, sondern an die Umwelt, findet Arndt Eversberg.  

Am 26. Juni wird das Urteil des BGH erwartet, dass richtungsweisend die Vorgaben des EuGH aus seinem Urteil vom 21. März (Thermofenster) umsetzen soll. Nach der mündlichen Erörterung vom 8. Mai wird erwartet, dass der BGH neben dem bekannten "kleinen Schadensersatz" (Käufer behält Kaufsache, Minderwert wird vom Verkäufer ausgeglichen) und dem "großen Schadensersatz" (Rückabwicklung des Kaufvertrages, also Auto gegen Geld) einen mittleren Schadensersatz definiert.  

In einem Beitrag für LTO kommt Hans-Peter Schwintowski in einem Gedankenspiel zu einem Schadensersatz von 30% bis 35% des Neupreises, lässt dabei jedoch die Frage der Nutzungsentschädigung außen vor. Hier geht es auch darum, dass der Käufer sich nicht die (volle) Nutzung des Autos von seinem Anspruch abziehen lassen muss. Zurzeit ist es nämlich so, dass sich mit jedem gefahrenen Kilometer die Schadensumme für den Hersteller ermäßigt – bis auf null. Das führt dazu, dass VW & Co vielfach nicht entschädigen, sondern abwarten. Es wird also jeden Nutzungstag billiger für sie. 

Wie auch immer der BGH sich äußern wird, es wird dem eigentlichen Problem wohl kaum gerecht werden.  

Denn Tatsache ist doch, dass weder das Kraftfahrtbundesamt (KBA) noch eine andere Behörde irgendein Fahrzeug stillgelegt hat. Daher fahren hunderttausende umweltschädliche Autos weiterhin auf Deutschlands und der restlichen Welt Straßen und belasten die Umwelt und Gesundheit der Bevölkerung jeden Tag auf‘s Neue. 

Schaden hat also bisher allein unsere Umwelt und dies ist der eigentliche Skandal. Interessanterweise hat bisher weder die Industrie noch bereits entschädigte Autofahrer irgendetwas zum Ausgleich dieses Schadens getan – es wird noch nicht einmal diskutiert. 

Machen wir nichts vor: das KBA wird weder zukünftig hunderttausenden Fahrzeugen die Betriebserlaubnis entziehen, noch werden die Hersteller diese Fahrzeuge zurück nehmen. Beides ist politisch weder gewollt noch gesellschaftlich umsetzbar. Selbst eine großflächige Umrüstung der Motoren würde – wenn nicht gar unmöglich sein – aufgrund von fehlendem Material und Kapazitäten Jahre in Anspruch nehmen, währenddessen weiterhin emittiert würde. Zwar hat das VG Schleswig entschieden, dass Thermofenster illegal sind und entsprechende Fahrzeuge von der Straße müssen. Doch sowohl VW als auch das KBA haben Berufung eingelegt, hiernach folgt dann noch die Revision. Es werden also viele Jahre vergehen, bis es hier zu einer Entscheidung kommt. 

Milliarden für Umweltfonds und gleichzeitige Absolution für Automobilindustrie  

Was wäre daher eine praktikable, umsetzbare Lösung im Sinne des tatsächlich Geschädigten, unserer Umwelt? 

1. Nach Erlass eines entsprechenden Gesetzes erteilen die Zulassungsbehörden betroffenen Fahrzeugen eine einmalige Sondererlaubnis. Damit wäre ein drohender Wertverfall der betroffenen Fahrzeuge vom Tisch. 

Dies erfolgt jedoch nur, wenn 

2. Die Autoindustrie einen milliardenschweren Schadensersatz in einen Umweltfond einzahlt, aus dem 

a) konkrete Umweltmaßnahmen finanziert werden, die den bereits entstandenen und noch erwartbaren Schaden durch die manipulierten Motoren abmildert (z.B. durch Aufforstungen, Begrünungen der Innenstädte u.ä.) 

b) die Autobesitzer wahlweise eine attraktive Verschrottungsprämie für ihre „Dreckschleuder“ erhalten oder die Umrüstung des Motors in eine weniger umweltbelastende Variante bezahlt bekommen. 

Dieser "Schadensersatz" hätte neben konkreten Vorteilen für die Umwelt weitere positive Effekte: 

1. Rechtssicherheit für alle Beteiligten 

2. Entlastung der Gerichte von weiterhin zu erwartenden mannigfachen Gerichtsverfahren 

3. Ein vom Verursacher finanziertes Konjunkturprogramm für Umweltschutzmaßnahmen sowie für Hersteller und Werkstätten im Rahmen des Umrüstungsprogramms 

4. Über die selbst finanzierte Verschrottungsprämie einen Rückfluss des Großteils des Schadensersatzes durch Neukäufe in die Industrie und so die Sicherung dortiger Arbeitsplätze und (bei entsprechender Berücksichtigung) einer Förderung des Kaufes von E-Fahrzeugen 

5. Endlich einen Schlussstrich unter den größten Industrieskandal der Nachkriegsgeschichte. 

Dr. Arndt Eversberg ist Rechtsanwalt und Prozessfinanzierer in Köln.

Zitiervorschlag

BGH vor Entscheidung im Dieselskandal 2.0: . In: Legal Tribune Online, 15.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52002 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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