Leserbriefe an LTO: Zum beA und BGH-Anwälten, zur "unwür­digen" Asse­sorin und zum Kir­che­n­asyl

08.09.2018

Streit um Kirchenasyl: "Sabotage des Rechtsstaats"?

Im Kirchenasyl ist vieles strittig. Auch die Spielregeln scheinen den Beteiligten nicht ganz klar zu sein. Eine belastbare Rechtsgrundlage gibt es nicht. Marion Sendker über eine Tradition auf juristisch wackeligen Beinen. 

 

Von Heiko Habbe, Jurist, Rechtsberater

Im Artikel bemüht die Autorin Miriam Sendker sich um einen umfassenden Überblick zum intensiv diskutierten Thema Kirchenasyl. Schade ist, dass ihr offenbar einige Informationen nicht vorgelegen haben.

Sonst wäre sie vermutlich nicht zu der Annahme gekommen, dass Art. 16a GG die Grundlage für das Kirchenasyl sei. Kirchenasyl hat - seit entsprechende Artikel im Codex Iuris Canonici eingangs des 20. Jahrhunderts abgeschafft wurden - keine gesetzliche Grundlage. Insbesondere nicht das Grundgesetz, das Staat und weltliche Ordnung bindet, aber nicht Rechtsgrundlage kirchlichen Handelns ist.

Kirchenasyl ist schlicht kirchliche Tradition und beansprucht ja auch gar nicht, irgendeinen rechtlichen Status zu vermitteln. Vielmehr handelt es sich um eine Initiative der einzelnen Kirchengemeinde und der in ihr versammelten Christinnen und Christen, den staatlichen Behörden eine Überprüfung ihres eigenen Handelns zu ermöglichen und so dem Rechtsstaat zur Geltung zu verhelfen in Verfahren, die leider nicht selten von einer gewissen Oberflächlichkeit geprägt sind. Es sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass z. B. in Verfahren, die Überstellungen nach Bulgarien betreffen, in rund 2/3 der Fälle Gerichte den Eilrechtsschutzbegehren der Klägerinnen und Kläger entsprechen.

Mich überrascht auch, dass das "Verwaltungsgericht Koblenz", so der Artikel, "der Ausländerbehörde des Kreises einen Durchsuchungsbeschluss für kirchliche Räume" gegeben haben soll. Hier mag ich mich täuschen, weil ich auf diesem Rechtsgebiet nicht tätig bin. Aber m. W. ist der Durchsuchungsbeschluss Domäne der ordentlichen Gerichtsbarkeit, und ermächtigt wird die Polizei.

Dass bei einer formalen Betrachtung der Aufenthalt eines durch die Asylablehnung vollziehbar ausreisepflichtig gewordenen Ausländers im Kirchenasyl ein unerlaubter Aufenthalt ist, ist schlecht von der Hand zu weisen. Das OLG München hat allerdings, worauf die Autorin zutreffend hinweist, festgestellt, dass aus seiner Sicht jedenfalls während einer erneuten Überprüfung durch das BAMF die Abschiebung als ausgesetzt anzusehen sei und der Aufenthalt folglich nicht als strafbar anzusehen sei. Die strittigen Rechtsfragen jenseits eines solchen Zeitraums und jedenfalls hinsichtlich der Frage etwaiger akzessorischer Delikte reißt die Autorin im Grundsatz zutreffend an.

Eine "Verpflichtung" zum Verlassen des Kirchenasyls anzunehmen, wenn das BAMF einem Ersuchen um nochmalige Prüfung nicht entspricht, halte ich für ein Missverständnis des Kirchenasyls. Dieses ist ja, s. o., gerade kein behördliches Verfahren auf prozessual geregelter Grundlage. Der kirchlichen Tradition, solche Zufluchtsorte in Fällen zu gewähren, wo große individuelle Not wahrgenommen wird und eine christlich fundierte humanitäre Überzeugung dies gebietet, verbunden mit dem Ersuchen an die staatlichen Behörden um nochmalige Befassung, entspricht vielmehr - zumindest bislang - ein Respekt staatlicher Stellen vor sakralen Räumen, die nicht zwangsweise betreten werden. In diesem gegenseitigen Respektsverhältnis ist der eigentlich Betroffene Gast, nicht Subjekt eines Verfahrens.

Auch die Darstellung der Vereinbarung zwischen Kirchenleitungen und BAMF von 2015 entspricht nicht dem mir bekannten Stand. Die Vereinbarung, dem BAMF im Zusammenhang mit Kirchenasylfällen Dossiers zuzuleiten, ist freiwilliges Angebot der Kirchen und reagiert darauf, dass durch das BAMF pauschal bezweifelt wurde, dass überhaupt eine inhaltliche Prüfung der individuellen Notlage durch die jeweilige Gemeinde erfolge. In der Folgezeit wurde auf eine Vielzahl von Dossiers hin auch tatsächlich der Selbsteintritt durch das BAMF erklärt.

Dass dies sich umkehrte und die Ablehnungsquote stieg, ist nicht, wie die Autorin schreibt, den "denkbar hohen Hürden" zuzuschreiben, sondern korreliert deutlich mit einem Zuständigkeitswechsel innerhalb des BAMF. Auf Veranlassung der Beratungsfirma McKinsey wurde Mitte 2016 die Zuständigkeit für die Prüfung von Kirchenasyl-Dossiers aus dem Referat Qualitätssicherung in das Dublin-Referat verlagert. Es haben also dieselben Beschäftigten, die die Dublin-Entscheidungen veranlassen, über deren Revision zu entscheiden. Dass hier in der Tendenz eher geringe Bereitschaft zu einer nochmaligen intensiven Prüfung besteht, kann wenig überraschen (s. dazu Gastkommentar von Dieter Müller SJ in der "Tagespost": "Kirchenasyl - wie geht es weiter?").

Im Übrigen liegt die Ablehnungsquote von Dossiers nach mir vorliegenden Daten des BAMF nicht im Bereich von 80 %, sondern im Bereich von 40 % (2017: 239 von 600 eingereichten Dossiers), mit anderen Worten: auch das BAMF erkennt in einem erheblichen Anteil der Fälle das humanitäre Anliegen der Kirchengemeinden an.

Zitiervorschlag

Leserbriefe an LTO: . In: Legal Tribune Online, 08.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30825 (abgerufen am: 07.11.2024 )

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