Die Abtretungen der Ansprüche von über 40.000 VW-Kunden an das Legal-Tech-Unternehmen Myright sind wohl wirksam. Die vorläufige Schlappe für VW ist für den Legal-Tech-Markt ein weiteres positives Signal.
Während im Musterfeststellungsverfahren vor dem Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig VW in Verhandlungen mit den Klägern einsteigt, dürfen sich über 30.000 andere VW-Kunden über einen Etappensieg freuen. Im Verfahren des Legal-Tech-Unternehmens Myright, das aus abgetretenem Recht mehr als 40.000 Einzelansprüche deutscher Autokäufer geltend macht, die nach dem Abgasskandal zivilrechtlich gegen VW vorgehen wollen, hat das zuständige Landgericht (LG) Braunschweig den Parteien mitgeteilt, dass es das Geschäftsmodell des Unternehmens für zulässig hält.
Die Wirksamkeit der Abtretung, auf der sämtliche Klagen beruhen, hatte VW angezweifelt mit dem Argument, das Geschäftsmodell von Myright sei wegen Verstoßes gegen gleich mehrere Vorschriften des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) rechtswidrig. Diese Auffassung teilt das LG Braunschweig offenbar nicht.
Unter Verweis auf das Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Plattformmodell wenigermiete.de des Legal-Tech-Unternehmens Lexfox aus dem Oktober erklärt die 3. Zivilkammer in einem Hinweisbeschluss, der LTO vorliegt, eine gesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit des Geschäftsmodells von Myright für "prozessökonomisch nicht sinnvoll". Dass die VW-Autokäufer ihre Ansprüche an Myright abtreten, ist nach der vorläufigen Einschätzung der Kammer nicht wegen Verstößen gegen das RDG nichtig (Beschl. v. 23.12.2019, Az. 3 O 5657/18). Damit erweist sich eine wichtige Verteidigungsstrategie von VW, die in dem Verfahren mit einer wahren Gutachtenschlacht gefahren wurde, wohl als nicht zielführend.
Grundsatzurteil: Der BGH hat ein Legal-Tech-Modell gebilligt
Myright tritt unter einer Inkassolizenz in der Rechtsform einer GmbH auf. Das Unternehmen lässt sich von Käufern von Dieselfahrzeugen potenzielle Schadensersatzansprüche gegen die Volkswagen AG treuhänderisch abtreten und verspricht deren gerichtliche Durchsetzung. Dafür schaltet die GmbH dann Anwälte ein. Die Kunden kostet das nur im Erfolgsfall eine Provision von 35 Prozent des erstrittenen Zahlungsbetrags.
VW hatte von Anfang an die Wirksamkeit der Abtretungen angezweifelt und beantragt, diese Rechtsfrage vom Gericht vorab gesondert klären zu lassen. Die Argumentation, die der Konzern durch gleich vier Gutachten untermauern ließ: Die erbrachte Rechtsdienstleistung könne nicht wirksam unter einer Inkassolizenz erbracht werden und verstoße gegen die §§ 3 und 4 des RDG.
Im Oktober aber fällte der BGH ein Urteil zur ebenfalls als Inkassounternehmen agierenden Legal-Tech-Plattform wenigermiete.de. Deren Geschäftsmodell erklärten die Bundesrichter für zulässig. Der Begriff der Inkassodienstleistung sei nämlich weit auszulegen, so die Karlsruher Richter in ihrem Grundsatzurteil für den Legal-Tech-Markt unter Berufung auf den Gesetzeszweck des RDG, die Entwicklung auch neuer Berufsbilder zu erlauben.
Vom deutschen Anwaltsmarkt wurde die Entscheidung mit eher gemischten Gefühlen aufgenommen. Für die Anwälte heißt das, dass die Legal-Tech-Unternehmen zulässigerweise ein Geschäftsmodell betreiben dürfen, mit dem sie in Konkurrenz zu Deutschlands Anwälten treten können, ohne dass die Anwälte selbst solche Geschäftsmodelle anbieten dürften. Ihr Berufsrecht verbietet ihnen Erfolgshonorare sowie die Übernahme von Prozesskosten – beides Faktoren, die für die Geschäftsmodelle der Legal-Tech-Unternehmen unerlässlich sind.
LG Braunschweig: Myright-Modell dann erst recht zulässig
Für Verbraucher, die über Legal-Tech-Plattformen praktisch ohne Kostenrisiko Ansprüche geltend machen können, die sie sonst womöglich nie eingeklagt hätten, wurde das Urteil des BGH dagegen als durchweg positiv beurteilt. Auch für die über 30.000 mutmaßlich durch den Abgasskandal Geschädigten, für die Myright nun vor dem LG Braunschweig klagt, ist es offenbar die Blaupause zum ersten Etappensieg.
Die 3. Zivilkammer in Braunschweig lehnt sich eng an die Entscheidung aus Karlsruhe an. Nach deren weiten Maßstäben halte sich auch das Geschäftsmodell von Myright im Rahmen der ihr erlaubten Rechtsdienstleistungstätigkeit als Inkassounternehmen, so das Braunschweiger Gericht, das im Vergleich zum rechtlich noch weitergehenden Modell von wenigermiete.de mit einem Erst-recht-Schluss argumentiert.
Auch sei das Erfolgshonorar, das Inkassounternehmen – anders als Anwälten – erlaubt ist, nicht im Sinne von § 4 RDG unvereinbar mit der Übernahme des Kostenrisikos eines eventuellen Prozesses, gibt die Kammer den von Myright beauftragten weiteren vier Gutachtern Recht. Eine Interessenkollision, wie sie u.a. der von VW beauftragte Gutachter Prof. Dr. Martin Henssler von der Universität Köln im LTO-Doppelinterivew erläuterte, sieht auch das LG nicht. Auch Myright habe vielmehr ein Interesse daran, die Ansprüche der VW-Kunden so erfolgreich wie möglich durchzusetzen, eine Kollision gebe es nicht.
Eine Nichtigkeit der Abtretung ergebe sich auch nicht wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch. Myright wälze nicht in einem sittenwidrigen Ausmaß das Prozesskostenrisiko auf VW ab, so die Kammer. Dass Myright im Fall des Unterliegens nicht in der Lage wäre, die entstehenden Prozesskosten – auch auf Seiten von VW – zu decken, reiche hierfür nicht aus. Für eine bewusste Risikoverlagerung im Sinne eines kollusiven Zusammenwirkens von Myright mit seinen Kunden sieht das LG Braunschweig keine Anhaltspunkte.
VW: Mit dem Geschäftsmodell von wenigermiete.de nicht vergleichbar
VW hält das Geschäftsmodell von Myright weiterhin für rechtswidrig. Ein Sprecher teilte gegenüber LTO auf Nachfrage mit, dieses unterscheide sich grundlegend von dem Geschäftsmodell von wenigermiete.de, über das der BGH entschieden hat. Zudem habe in dem Verfahren gegen wenigermiete.de eine für das VW-Verfahren bedeutende Frage keine Rolle gespielt, nämlich die nach der massenhaften Bündelung von Ansprüchen.
Während wenigermiete.de einzelne Ansprüche einzelner Mieter außergerichtlich geltend macht, bündelt die von der US-Kanzlei Hausfeld vertretene GmbH hinter Myright die ihr abgetretenen Ansprüche und macht diese gemeinsam geltend.
Myright-Gründer Jan-Eike Andresen freute sich gegenüber LTO über den Etappensieg: "Für Myright und 50.000 Kunden ist das ein wichtiger, mit viel Arbeit erkämpfter Zwischensieg im Abgasskandal. Wir müssen jetzt nur noch die Zeit runterspielen bis zur BGH-Verhandlung im Abgasskandal am fünften Mai." An diesem Tag wird der BGH erstmalig über ein sogenanntes VW-Verfahren verhandeln, bislang hatte es in Sachen Abgasskandal nur einen Hinweisbeschluss gegeben.
Abgasskandal-Prozess gegen VW: . In: Legal Tribune Online, 08.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39581 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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