Ob Flugverspätung oder zu viel gezahlte Miete: Über Plattformen sollen Verbraucher ohne Kostenrisiko an ihr Geld kommen. Was die einen als Zugang zum Recht feiern, ist für die anderen ein Verstoß gegen das RDG. Nun könnte der BGH entscheiden.
Der Legal-Tech-Hype kommt in der Realität an. Das zeigt sich nicht nur wirtschaftlich, wenn man betrachtet, wie schnell sich der deutsche Markt aktuell sortiert und bereinigt. Auch rechtlich werden die Plattformen angegangen – nicht nur von Seiten der Anwälte.
Ein Mietportal könnte nun der Präzedenzfall werden: Wenigermiete.de biete unzulässigerweise eine Rechtsdienstleistung an, meint neben der Berliner Anwaltskammer auch die 67. Zivilkammer des Landgerichts (LG) Berlin, die als eine von mehreren Kammern mit Verfahren gegen die Plattform mit Sitz in der Hauptstadt befasst ist. Die Abtretung von – mutmaßlichen – Zuvielzahlungen der Mieter an die Plattform, welche Voraussetzung des Geschäftsmodells der Plattform ist, halten sie für unwirksam.
Dagegen hat die Zivilkammer 66 des LG Berlin entschieden, dass die Abtretung nicht zu beanstanden sei. Wie am Dienstag bekannt wurde, geht diese Kammer – im Unterschied auch zur ersten Instanz – davon aus, dass das Portal sich wirksam Ansprüche aus dem Mietverhältnis abtreten lassen könne, um sie dann im eigenen Namen vorgerichtlich und – bei fehlender Einigung - auch gerichtlich geltend zu machen (LG Berlin, Urt. v. 13.08.2018, Az. 66 S 18/18). Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Kammer hat in dieser Frage die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen. Und andere Entscheidungen zu dieser Rechtsfrage stehen in Berlin noch aus.
Erlaubte Inkassotätigkeit oder verbotene Rechtsdienstleistung?
Gestritten wird um einen Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG). Das verbietet in Form eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalts grundsätzlich die Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen, wenn diese nicht ausdrücklich erlaubt wurden.
Die wohl häufigste Erlaubnis ist die für Inkassodienstleistungen, also den Einzug von Forderungen für Dritte. Über eine solche Inkassoerlaubnis verfügt auch die Mietright GmbH, welche die Plattform Wenigermiete.de betreibt. Alles sieht danach aus, als ob die Gründer dahinter, die Berliner Rechtsanwälte Dr. Frederik Gärtner und Dr. Daniel Halmer, nun diejenigen sein könnten, die ein Modell stellvertretend für ein ganzes Geschäftsfeld vor dem BGH verteidigen müssen.
Die Frage, über die die Karlsruher Richter entscheiden könnten: Darf eine im Rechtsdienstleistungsregister als Inkassounternehmen eingetragene geschäftsmäßig tätige Gesellschaft von Rechtsanwälten sich von einer Mietpartei Ansprüche aus dem Mietverhältnis abtreten lassen und diese dann gegenüber dem Vermieter geltend machen?
Exakt das bietet Wenigermiete.de an: Das Portal ermöglicht einen algorithmusgesteuerten Direktvergleich der eigenen Miete mit dem jeweiligen Mietspiegel. Wer demnach zu viel zahlt, tritt die vermutete Forderung gegenüber seinem Vermieter an die Plattformbetreiber ab. Die schreibt den Vermieter an und versucht, eine Einigung zu erzielen. Gelingt das nicht, macht die Plattform, dann vertreten durch Anwälte, die Ansprüche klageweise geltend. Ist das noch im Rahmen der erlaubten Inkassotätigkeit oder liegt eine unerlaubte Rechtsdienstleistung vor, die die Abtretung unwirksam machen würde?
Pro: Eine einfache Tätigkeit nahe der behördlich erlaubten
Die 66. Zivilkammer, die zweitinstanzlich mit der Frage befasst war, verurteilte am Montag einen Vermieter, an die Mietright GmbH überhöhte Miete sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten zu zahlen (Az. 66 S 18/18a). Mit der nicht rechtskräftigen Entscheidung, gegen die sie die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zuließ, stellte sich die 66. Kammer auf die Seite der Legal-Tech-Unternehmer: Mit dem RDG habe der Gesetzgeber nicht nur Rechtssuchende schützen, sondern auch den Rechtsdienstleistungsmarkt liberalisieren wollen.
Darauf zu achten, dass das Unternehmen seinen Pflichten hinreichend nachkomme und sich innerhalb des erlaubten Rahmens bewege, sei allein Aufgabe der Behörden. Die Verbraucher sollten schließlich darauf vertrauen können, dass das Rechtsdienstleistungsregister richtig, ihr Vertrag mit dem Dienstleister damit wirksam sei. Der habe schon für die Zulassung als Inkassodienstleister nachgewiesen, dass er fachlich und persönlich qualifiziert sei. Es würden den Gesetzeszweck konterkarieren, wenn darüber hinaus noch einzelne Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Inkassotätigkeit geprüft würden.
Am Zusammenhang mit der Inkassotätigkeit zeigte die Kammer keine Zweifel. Die Einziehung von Forderungen aufgrund erhöhter Mietanteile, die die Mietright GmbH übernimmt, hinge eng mit der ihnen erlaubten Forderungseinziehung für Dritte zusammen, sie dienten ihr. Auch rechtlich anspruchsvolle Teilleistungen dürfe ein Inkassounternehmen vornehmen; und die Rüge, die Voraussetzung einer Mietzinsrückzahlung unter Berufung auf die sog. Mietpreisbremse ist (§ 556 g Abs. 2 BGB), sei schließlich keine "nur mit ausgeprägten Rechtskenntnissen zu bewältigende Hürde".
Auch mehrere Abteilungen des Amtsgerichts Lichtenberg (u.a. im rechtskräftigen Urteil v. 4.01.2018 Az. 16 C 135/17) sowie die Zivilkammer 65 des LG Berlin im Berufungsurteil vom 20. Juni 2018 (S 70/18) erklärten mit einer ähnlichen Argumentation eine Abtretung an die Mietright GmbH für wirksam. Die von der GmbH erbrachten Tätigkeiten bewegten sich innerhalb des Rahmens, den die Inkassoerlaubnis setze, für die sie die besondere theoretische und praktische Sachkunde nachgewiesen habe. Soweit eine substanzielle Rechtsprüfung erforderlich sei, stehe dieser Umstand nicht entgegen, sondern sei der Grund dafür, dass die Inkassotätigkeit erst nach entsprechender Erlaubnis erfolgen dürfe.
Contra: Von wegen einfache Tätigkeit – sonst hätten die das ja besser gemacht
Mit dem Argument, dass es nur um einfache Rechtsfrage gehe, muss man der 67. Zivilkammer des LG Berlin offenbar nicht kommen. Die hat mit Beschluss vom 26. Juli 2018 (Az. 67 S 157/18) eine Berufung von Wenigermiete.de-Betreiber Gärtner und Halmer zurückgewiesen. Schon in der Prüfung der vom Mieter in den Mietpreisrechner eingegebenen Daten durch die computerbasierte standardisierte Fallanalyse liege eine Rechtsdienstleistung, so die Kammer. Ob dafür intensive und schwierige Rechtsfragen zu prüfen oder bloß die Daten mit dem Berliner Mietspiegel abzugleichen seien, darauf komme es nicht an.
Eine weitere unzulässige Rechtsberatung sehen die Richter auch in der Rüge nach § 556 g Abs. 2 BGB, welche die GmbH vorgerichtlich gegenüber dem Vermieter ausgesprochen hatte. Das sei keine bloße Nebentätigkeit, sondern eine Hauptleistung. Es folgt ein fomaljuristisch anmutendes, aber durchaus findiges Argument: Zum Zeitpunkt der Abtretung etwaiger Ansprüche bestehe zudem noch gar kein Rückzahlungsanspruch, da dieser die Rüge erfordere. Und schließlich ergebe sich erst durch die Auskunft der Vermieterseite, ob die zulässigen Grenzen der Miete überschritten seien oder nicht.
Überhaupt sei das Wohnraummietrecht so komplex, dass die Sachkunde, die ein Inkassounternehmen vor der Registrierung nachweisen müsse, dafür nicht ausreiche, so die Kammer. Anders seien auch die "besonders groben und schwerwiegenden" Fehler, die der Mietright GmbH unterlaufen seien, nicht erklärbar. Die hatte die Ehefrau des Mieters in das Verfahren einbezogen, obwohl diese gar nicht Mitmieterin war. Auch habe die Plattform schon mit der Rüge überhöhte Miete zurückgefordert; dabei habe sie zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wissen können, ob nicht doch Ausnahmetatbestände vorliegen könnten, die die Miethöhe hätten rechtfertigen können.
Auch die RAK Berlin klagt: Wettbewerbsnachteile für die Anwaltschaft?
Die weiteren Gründe, aus denen die 67. Kammer die Klage der GmbH auf Honorarzahlung abgewiesen – und daher nicht einmal eine mündliche Verhandlung für nötig gehalten hat – lassen auf eine veritable Abneigung schließen. Dem Geschäftsmodell der Plattformen, die einfache, skalierbare, bisher von Anwälten – oder eher: ihren Assistenten – wahrgenommene Tätigkeiten nun algorithmusbasiert durchzuführen, kann die Kammer offenbar nicht viel abgewinnen. Diese Überzeugung geht dann notfalls auch mal auf Kosten der Logik in der Argumentation.
Die Mieter, die das Portal Wenigermiete.de in Anspruch genommen hätten, hätten keinen Anspruch auf Zahlung eines Honorars für rechtliche Hilfe – es entfalle vollständig wegen Mitverschuldens. Eine wirtschaftlich vernünftig denkende Mieterpartei hätte nämlich die Rüge selbst verfasst und eine ausreichend lang bemessene Frist gesetzt, bevor sie rechtliche Hilfe in Anspruch genommen hätte, argumentiert die Kammer. Einen Widerspruch dazu, dass sie kurz zuvor das Wohnraummietrecht als zu komplex für einen Inkassounternehmer und die Rüge der Mietright GmbH als schwerwiegend fehlerhaft bezeichnet hat, sieht sie offenbar nicht. Da der Vermieter in dem Fall die Forderung teilweise anerkannt und die Mietpartei sich damit zufriedengegeben habe, wären die Rechtsverfolgungskosten gar nicht angefallen. Zudem sei ein Erfolgshonorar vereinbart gewesen, die GmbH habe jedoch gar nicht die volle ursprünglich geforderte Mietreduzierung durchgesetzt.
Dieser Beschluss der 67. Kammer ist unanfechtbar, die Kammer hat die Berufung im schriftlichen Verfahren zurückgewiesen. Ob der unterlegene Vermieter gegen das Urteil der 66. Zivilkammer die zugelassene Revision einlegen wird, bleibt abzuwarten.
Berechtigte Hoffnung auf die Klärung dieser Rechtsfrage darf man aber in weitere Rechtsstreitigkeiten setzen: Die Zivilkammer 63 des LG Berlin hat in einem Berufungsverfahren einen Verkündungstermin am 28. August 2018 anberaumt. Und ziemlich spannend dürfte es am 16. Oktober werden. Dann wird die Zivilkammer 15 des LG Berlin darüber verhandeln, ob die Tätigkeit von Wenigermiete.de zu Wettbewerbsnachteilen für die Anwaltschaft führt. Die Rechtsanwaltskammer Berlin (RAK) macht wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche geltend, weil die GmbH unzulässige Rechtsdienstleistungen erbringe, indem sie außergerichtlich in klassischer Weise rechtsberatend tätig sei. Man darf damit rechnen, dass weder die Betreiber der Plattform noch die Anwaltskammer sich mit einer erstinstanzlichen Entscheidung zufriedengeben werden. Es spricht deshalb viel dafür, dass Wenigermiete.de zum Präzedenzfall werden wird.
Legal Tech und das Rechtsdienstleistungsgesetz: . In: Legal Tribune Online, 14.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30333 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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