Sein Unternehmen hat gerade Wagniskapital erhalten - dabei wird der BGH erst klären, ob das Geschäftsmodell überhaupt zulässig ist. Daniel Halmer über die Pläne des BMJV und darüber, was der Legal-Tech-Markt wirklich bräuchte.
LTO: Herr Halmer, Sie sind Geschäftsführer und Mitgründer von Lexfox. Das Legal-Tech-Unternehmen hat vor wenigen Wochen Wagniskapital in "mittlerer siebenstelliger Höhe" erhalten. Für die deutsche Legal-Tech-Szene, in die eher zögerlich investiert wird, ist das schon ein höherer Betrag. Führen Sie das darauf zurück, dass Sie eine Anwaltszulassung haben – also notfalls den gesamten Betrieb auf eine Anwaltskanzlei umstellen könnten, falls er auf der Grundlage einer Inkassolizenz nicht mehr betrieben werden darf?
Dr. Daniel Halmer: Das Investment hat wohl weniger damit zu tun als mit der Qualität des Unternehmens. Aber natürlich haben wir einen Plan B, also konkret die Gründung einer Kanzlei mit angedockter Techfirma, wie es so manches deutsche Legal-Tech-Unternehmen ja schon aktuell macht. Für den Kunden sind diese Formalien kaum sichtbar, würden ihn aberm Zweifel eher verwirren, ohne in der Sache allzu viel zu ändern.
Diesen Plan B könnten Sie brauchen, falls der Bundesgerichtshof Ihr aktuelles Geschäftsmodell auf der Plattform wenigermiete.de für rechtswidrig erklärt. Die Frage, über welche die Karlsruher Richter auf Betreiben der Berliner Anwaltskammer entscheiden könnten: Darf eine als Inkassounternehmen agierende Gesellschaft sich von Mietern Ansprüche aus dem Mietverhältnis abtreten lassen und diese dann gegenüber dem Vermieter geltend machen? Wagen Sie eine Prognose zu dem Verfahren?
Es gibt, noch vor der mündlichen Verhandlung im Oktober, keinen Hinweis dazu, ob der Senat das für eine unerlaubte Rechtsdienstleistung, also einen Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz hält. Wir hoffen, dass der BGH sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen wird, grundsätzlich zur rechtlichen Stellung von Legal-Tech-Unternehmen in Deutschland Position zu beziehen.
Schließlich sind diese längst wesentlicher Bestandteil des Rechtssystems – zum Beispiel haben wir mit der Plattform Wenigermiete.de für viele tausende Haushalte die Miete gesenkt. Und an den Amtsgerichten werden zehntausende Fälle von Flugverspätungen verhandelt, die über Legal-Tech-Plattformen geltend gemacht wurden. Einen rechtlichen Rahmen aber gibt es für Legal Tech noch nicht. Das sollte sich schnell ändern. Denn aktuell werden zwar immer mehr Verbraucherrechte erfunden, aber niemand setzt sie um.
"Im Rechtsstaat gibt es keine Bagatellgrenze"
Ist die Geschichte von der Großkanzlei für den kleinen Mann nicht langsam auserzählt? Legal-Tech-Unternehmen, die endlich Gerechtigkeit für Verbraucher schaffen, indem sie gegen Großunternehmen vorgehen, die viel zu lange damit kalkulierten, dass die Kunden ihre Fluggastentschädigung oder ihre zu viel gezahlte Miete nicht geltend machen? Mit Verlaub: Sie haben gerade eine Finanzierung in siebenstelliger Höhe erhalten und angekündigt, Ihr Geschäftsmodell international ausrollen zu wollen. Nach Robin Hood klingt das nicht gerade …
Richtig, Robin Hood war ein Räuber um der Gerechtigkeit willen. Bei uns geht es gewissermaßen auch um Gerechtigkeit - allerdings nicht dadurch, dass wir das Gesetz brechen, sondern im Gegenteil, indem wir das Gesetz umsetzen. Darüber hinaus sind wir bewusst nicht als Non-Profit-Organisation angetreten, weil wir glauben, dass ein marktwirtschaftlich agierendes Unternehmen am effizientesten und erfolgreichsten Rechtsdienstleistungen anbieten kann.
Zudem ist auch jede Kanzlei ein profit- und marktwirtschaftlich orientiertes Unternehmen. Ganz allgemein verfehlt die Diskussion, worum es eigentlich geht: nicht um ein paar geldgierige Anwälte und auch weniger um Gerechtigkeit als solche. Es geht vielmehr darum, einer schleichenden Erosion unseres Rechtsstaats Einhalt zu gebieten. Verbraucherrechte sind in Deutschland noch ein junges Phänomen, es gibt sie erst seit wenigen Jahrzehnten. Und derzeit funktionieren sie einfach nicht.
Neben der hehren Theorie gibt es aber auch noch die weniger schöne Praxis. Was entgegnen Sie denen, die fragen, wie Deutschlands ohnehin überlastetes Justizsystem mit weiteren zehntausenden algorithmusbasierten Klagen umgehen soll - überspitzt ausgedrückt: womöglich auf Zahlung von 20 Euro?
Um das festzuhalten: Auch wir wollen ja so wenig Fälle wie möglich vor Gericht bringen. Wir tun das nur, wenn sich die Gegenseite nicht vergleicht.
Unabhängig davon gibt es im Rechtsstaat aber keine Bagatellgrenze. In Verfahrensordnungen anderer Länder existieren spezielle Verfahren für sog. Small claims, in Deutschland nicht. Wenn der Gesetzgeber aber Rechte auslobt und schafft, dann muss er auch die Voraussetzungen für ihre Durchsetzung sicherstellen.
"Die anwaltliche Unabhängigkeit hat sich verändert"
Könnten dabei die aktuellen Pläne aus dem Bundesjustizministerium helfen? Das BMJV will im Rahmen der geplanten Reform des anwaltlichen Berufsrechts prüfen, ob Anwaltskanzleien, die normalerweise nicht mit Fremdkapital finanziert werden dürfen, Wagniskapital für die Entwicklung von Legal-Tech-Anwendungen bekommen dürfen. Das könnte doch helfen, den Markt standardisierter Rechtsdienstleistungen zu vergrößern.
Ja, und wir begrüßen, dass das BMJV-Papier das sog. Fremdbesitzverbot für Anwaltskanzleien insoweit infrage stellt. Ich halte das Verbot ohnehin für verfassungswidrig. Der pauschale Hinweis auf die anwaltliche Unabhängigkeit berücksichtigt längst veränderte Realitäten des Anwaltsberufs nicht - wie die Anerkennung der weisungsgebunden arbeitenden Syndikusanwälte, die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Mehrheitserfordernissen in Kanzleien und zur Möglichkeit, mit Apothekern in Sozietät zu arbeiten oder auch ganz schlicht die gelebte Praxis, in der sich viele Anwälte in Abhängigkeiten von Mandanten oder Banken begeben. Das BMJV-Papier enthält allerdings auch etwas besorgniserregende Andeutungen.
Weil der Entwurf nur von Anfangsinvestitionen in Software ausgeht? Oder halten Sie es für falsch, Anwälten die Möglichkeit zu geben, selbst Legal-Tech-Anwendungen zu entwickeln?
Ersteres. Ob nun Anwälte oder auch andere Gesellschaftsformen Legal-Tech Software bauen dürfen, ist aus meiner Sicht erstmal zweitrangig. Viel wesentlicher ist die Frage, ob, werdieSoftware entwickelt, und dafür Wagniskapital von extern aufnimmt, auch veräußert werden darf. Denn nur eine Gesellschaft, die eine realistische Exit-Möglichkeit hat, wird überhaupt Wagniskapitalgeber finden.
Nach den aktuellen Vorschlägen sollen Anwälte zwar Wagniskapital aufnehmen dürfen, um Legal-Tech-Software zu entwickeln. Es soll ihnen aber womöglich nicht gestattet sein, ihre Gesellschaft an Nicht-Anwälte zu verkaufen. Unter diesen Umständen sehe ich nicht, wie Anwälte größere Kapitalgeber finden könnten. Die bräuchten sie aber, um die investitionsintensiven Technologien zu bauen.
"Markt für die Durchsetzung kleiner Ansprüche zulassen und fördern"
Dabei sollen doch, wenn es nach den Justizministern geht, Rechtsdienstleistungen ausschließlich in den Händen von Anwälten bleiben.
Selbst wenn die Inkassolizenz, auf deren Grundlage derzeit viele Legal-Tech-Unternehmen arbeiten, nun für unzulässig erklärt würde, wäre damit doch nicht das softwaregetriebene, standardisierte Business tot. Dann würden Kanzleien sich mit einem Softwaredienstleister zusammentun – und die Fragen würden sich bloß verlagern, nämlich in den Vertrag, den die Kanzlei mit dem Softwareanbieter abschließt.
Nicht zu vergessen ist außerdem, dass es eine europäische Dienstleistungsfreiheit gibt. Gut möglich, dass auch hier, ähnlich wie im Fintech– oder Gesundheitsbereich, in Zukunft europäische Standards geschaffen werden. Immerhin ist auf der Ebene der Verbrauchergesetzgebung schon sehr viel europäisiert.
Die wirtschaftliche Implikation hängt nicht nur davon ab, wer Legal Tech entwickelt und anbietet, ob das also Legal-Tech-Unternehmen sind oder andere. Sondern auch, ob wir einen Markt für Rechtsdurchsetzung kleiner Ansprüche überhaupt zulassen und fördern wollen. Der – bewusst polarisierende– Begriff des "Legal Fracking" stellt das gut dar: Legal Tech will Verbraucheransprüche wie Rohstoffe, die bisher vergraben waren, ökonomisch förderbar machen.
"Sonst werden ausländische Akteure das Feld übernehmen"
Wenn aber nicht die Anwälte die Angebote machen können, weil sie daran durch berufsrechtliche Vorgaben und mangelnde Kapitalbeschaffungsmöglichkeiten gehindert sind, und nicht andere Rechtsdiensleister, weil sie keine Anwälte sind: Wird es dann in Deutschland mittelfristig keine Legal-Tech-Angebote mehr geben?
Schwierige rechtliche Rahmenbedingungen, wie sie für Legal Techs in Deutschland herrschen, hindern meines Erachtens nicht unbedingt die Neugründung von Startups; aber sie hindern Wachstum und Investment.
Das heißt aber nicht, dass es keine Legal-Tech-Anwendungen mehr geben wird. Legal Tech geht nicht mehr weg. Dann werden ausländische Akteure das Feld übernehmen. So wie es in der Geschichte des Internet schon oft passiert ist und sich aktuell auch im Gesundheitsbereich abzeichnet: Während die Krankenkassen seit Jahren versuchen, eine digitale Krankenakte einzuführen, sammeln Samsung and Apple bereits fleißig Gesundheitsdaten von deutschen Bürgern ein. Wir sind hierzulande sehr stark auf Risiken und Regulierung fokussiert statt auf die Chancen von Zukunftstechnologien.
Der Wirtschaftsstandort Deutschland kann es sich nicht erlauben, die Fehler aus der Digitalisierung der Finanzwelt zu wiederholen. Wir sind in Sachen Legal Tech aktuell weltweit vorne mit dabei. Nun müssen wir aufpassen, dass wir dieses Pflänzchen nicht gleich wieder abwürgen. Wir müssen aus den Fehlern, die wir bei den FinTechs gemacht haben, lernen, damit wir wirkliche "global champions made in Germany" bekommen. Sonst überrollt uns am Ende einfach die chinesische oder US-amerikanische Realität.
Herr Dr. Halmer, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Dr. Daniel Halmer ist Rechtsanwalt, Geschäftsführer und Mitgründer von Lexfox, ehemals Mietright GmbH. Zuvor war er Anwalt bei Hengeler Mueller in München und bei Wachtell Lipton in New York und danach General Counsel & Head of Business Development beim Berliner Fin Tech Raisin.
Unternehmer über den Legal-Tech-Markt: . In: Legal Tribune Online, 13.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37621 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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