Die Grünen wollen Airlines verpflichten, ihre Kunden automatisch über ihre Rechte bei Flugausfällen zu informieren und automatisch eine Entschädigung anzubieten. Das klingt nach einer guten Idee - außer für Plattformen wie Flightright & Co.?
Am Mittwoch fand ab 17 Uhr im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags eine Expertenanhörung statt. Die Oppositionsraktionen von AfD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wollen Fluggäste besser schützen. Nach mehreren prominenten Insolvenzfällen bei Fluggesellschaften sind sich alle drei Bundestagsfraktionen einig: Auch diejenigen Passagiere, die nur einen Flug gebucht haben, also nicht schon als Pauschalreisende eine Insolvenzsicherung genießen, sollen den Ticketpreis und eventuelle Folgekosten zurückbekommen, wenn die Fluggesellschaft Insolvenz anmeldet.
Die Grünen aber gehen in ihrem Antrag aber noch weiter. Sie wollen das Entschädigungsverfahren nach der EU-Fluggastrechte-Verordnung so weit wie möglich automatisieren. Die Fluggesellschaften sollen verpflichtet werden, bei Ausfällen, Verspätungen oder Annulierungen ihre Kunden von sich aus zum Beispiel per Mail darauf hinzuweisen, dass ihnen ein Anspruch auf Entschädigung zusteht und ihnen die nötigen Formulare zur Verfügung stellen, um diesen geltend zu machen.
Damit wollen sie verhindern, dass die Airlines selbst unstreitige Ansprüche häufig nicht begleichen, und stattdessen die Verbraucher vertrösten oder sich herausreden. Dieser Vorstoß könnte das Geschäftsmodell von Flightright u.a., die als Vorreiter und Paradebeispiel der Legal-Tech-Bewegung gelten, akut bedrohen. Und zwar auch wenn das ausdrücklich nicht das Ziel der Grünen ist.
Das Geschäftsmodell der Fluggastrechte-Plattformen
Ein Algorithmus ermittelt aus den über eine Plattform im Internet eingegebenen Daten Grund und Höhe des Anspruchs nach der Verordnung, mit deren Geltendmachung beauftragt der Verbraucher dann das Unternehmen. Das schaltet seinerseits Anwälte ein, wenn das Verfahren vor Gericht geht. Kann der Anspruch durchgesetzt werden, behält das Unternehmen eine Provision – gelingt das nicht, erheben die Legal-Tech-Plattformen keine Gebühren und stellen den Kunden von den Kosten der Rechtsverfolgung frei.
Es ist der Paradefall standardisierbarer Anspruchsgeltendmachung, für die Unternehmen ist das ein lukratives Geschäftsmodell – eines der wenigen in der noch jungen deutschen Legal-Tech-Branche, die sich mit Standardisierung weiterhin schwertut. Aber die Legal-Tech-Plattformen verstehen sich auch als "Großkanzlei für Verbraucher"; als Robin Hoods, die kleine Ansprüche bündeln, die der Einzelne kaum geltend machen würde, weil Aufwand und Risiko zum möglichen Ertrag in keinem Verhältnis stehen (sog. rationale Apathie). Dabei schaffen sie nach eigener Ansicht Know-How, das Verbraucher endlich in die Lage versetze, den Großunternehmen etwas entgegenzusetzen, was der Einzelne nicht vermag. Es gibt Fluggesellschaften, die ihre geschädigten Kunden seit Jahren hinhalten und auch auf eindeutige, unstrittige Forderungen schlicht nicht zahlen.
Grüne: Mehr Information, mehr Verbindlichkeit
Das ist laut dem Sprecher für Tourismuspolitik der Grünen, MarkusTressel, der Grund für ihren Vorstoß. Im Fall von Flugausfällen und Verspätungen seien Verbraucher durch die Fluggastrechteverordnung zwar schon gut geschützt, heißt es zur Begründung des Antrags der Grünen. Die Umsetzung der Ansprüche auf Entschädigungszahlungen aber erweise sich häufig als kompliziert und werde von den Fluggesellschaften unnötig erschwert.
"Laut den Fluggastrechte-Plattformen nutzen nur etwa 30 Prozent der betroffenen Passagiere überhaupt die Möglichkeit, ihre Ansprüche geltend zu machen", so der Sprecher gegenüber LTO. "Wir sehen den Grund dafür in einem eklatanten Informationsdefizit, das wir beheben wollen, indem wir die Airlines zu einer aktiven und niedrigschwelligen Informationspolitik gegenüber ihren Kunden verpflichten und so auch zur Auszahlung im Grunde unstrittiger Ansprüche bringen".
Aussehen könnte das laut Tressel so: Nach seiner verspäteten Ankunft am Zielflughafen erhält der Passagier eine Email oder SMS, in der sinngemäß steht: "Tut uns leid wegen der Verspätung. Die Verspätung ist durch Grund X entstanden, für den wir verantwortlich sind. Sie haben Anspruch auf eine Entschädigung, bitte klicken Sie hier, um diese zu erhalten." Oder, falls die Airline keine Verantwortung für die Verspätung anerkennt: "Tut uns leid wegen der Verspätung. Die Verspätung ist durch Grund X entstanden, für den wir nicht verantwortlich sind. Sie haben keinen Anspruch auf eine Entschädigung. Wenn Sie anderer Meinung sind, können Sie sich hier an die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr wenden."
Die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) gibt es zwar schon, aber viele Verbraucher wissen davon nichts und ihre Ergebnisse sind auch nicht verbindlich. Zudem sollte das Luftfahrt-Bundesamt nach dem Willen der Grünen die schon nach geltendem Recht bestehende Möglichkeit, Ordnungsgelder für Verstöße gegen die EU-Fluggastrechteverordnung zu verhängen, stärker nutzen und den Anreiz zur Einhaltung der EU-Fluggastrechte-Verordnung erhöhen, vor allem, indem es höhere Bußgelder verhängt.
Grüne: Legal-Tech-Plattformen sollen weiter machen, und das sogar rechtssicher
Die Legal-Tech-Plattformen will Tressel mit den grünen Ideen nicht bedrohen. Man gehe davon aus, dass es auch weiterhin Fälle geben werde, in denen die Ansprüche streitig sind. "In diesen Fällen sollen die Verbraucher auch weiterhin frei sein, ihre Ansprüche zum Beispiel an ein Fluggastrechte-Portal abzutreten", stellte der Sprecher für Tourismuspolitik gegenüber LTO klar. Man wolle den Kunden die Wahl lassen, ob sie den Weg über diese oder über die SÖP wählen.
Die Grünen wollen das Geschäftsmodell der Plattformen sogar auf eine sicherere Grundlage stellen. Aktuell versuchen mehrere Fluglinien, die gebündelte Geltendmachung von Ansprüchen durch Legal-Tech-Plattformen zu verhindern, indem sie ihren Kunden in ihren Allgemeine Geschäftsbedingungen untersagen, Entschädigungsansprüche an Dritte abzutreten. Ob das wirksam ist, ist noch nicht höchstrichterlich entschieden. Die Grünen sprechen sich für einen Gesetzentwurf aus, der das Recht der Verbraucher auf Abtretung der Ansprüche absichert.
Nichtsdestotrotz basiert das Geschäftsmodell der Legal-Tech-Plattformen gerade darauf, dass einerseits die Verbraucher unwissend oder rational apathisch sind und andererseits die Unternehmen genau darauf auch stets setzen. Und es liegt auf der Hand, dass ein Verbraucher, der nur noch klicken muss, um unmittelbar von der Fluggesellschaft seine Entschädigung zu erhalten, sich wohl kaum mehr an eine Legal-Tech-Plattform wenden würde.
Kein Grund zur Sorge für die Legal-Tech-Anbieter
So gibt es auch schon ein Kurzgutachten, das LTO vom Unternehmen Flightright zur Verfügung gestellt wurde. Darin vertritt Prof. Dr. Jörn Kämmerer von der Bucerius Law School in Hamburg die Rechtsaufassung, dass eine automatische Entschädigung für Fluggäste zumindest dann, wenn man darunter "eine Andienungspflicht der Fluggesellschaft – insbesondere in elektronischer Form" verstehe, gar nicht auf nationaler Ebene geregelt werden könne, sondern durch vorrangiges Europarecht gesperrt wäre.
Die Grünen sehen das anders, sie gehen davon aus, dass ihr Antrag lediglich eine Konkretisierung der Informationspflichten sei, die national regelbar ist. Auch Prof. Dr. Martin Schmidt-Kessel von der Universität Bayreuth sieht im Rahmen einer vorläufigen Ersteinschätzung eher keine komplette europarechtliche Sperre durch die Flugreiseverordnung. Eine finale Auffassung ist das, wie er im Gespräch mit LTO betonte, aber keineswegs. Schmidt-Kessel gehört zwar zu den Experten, die in der Anhörung des Rechtsauschusses gehört werden, er hat für die CDU aber nur ein Gutachten zu der Frage erstattet, ob und wie eine Insolvenzabsicherung für Verbraucher geschaffen werden sollte und könnte.
Bisher haben aber selbst von den Fraktionen, die sich mit einer Verbesserung der Fluggastrechte befassen, nur die Grünen einen Vorschlag unterbreitet, der eine bessere Umsetzung von Verspätungs- oder Annulierungsentschädigungen betrifft. Aus einer eher wenig konkreten Bundesrats-Entschließung auf Initiative des Saarlands, wo Tressel Grünen-Vorsitzender ist, ist bisher noch nichts weiter geworden. Im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien findet sich zu dem Thema kein Wort. Und Grünen-Sprecher Tressel fragt sich, ob Passagierrechte bei der Großen Koalition so weit oben auf der Agenda stehen. "Es wurde zwar viel angekündigt, aber bisher haben die konkretesten Vorschläge für Verbesserungen wir gemacht". Das klingt bislang nicht unbedingt, als müssten die Legal-Tech-Plattformen sich allzu große Sorgen machen, dass ein Gesetz ihrem Geschäftsmodell so schnell den Boden entzieht.
Grüne wollen Fluggastentschädigung automatisieren: . In: Legal Tribune Online, 13.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34367 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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