Staatsanwaltschaft weitet Ermittlungen aus: Drei Fest­nahmen im Fall Wire­card

von Dr. Anja Hall

22.07.2020

Der Betrugsskandal um den Dax-Konzern Wirecard weitet sich aus. Am Mittwoch wurden zwei Ex-Manager des Unternehmens festgenommen und auch Ex-Vorstandschef Markus Braun ist wieder inhaftiert.

Wie die Staatsanwaltschaft München I mitteilt, sind am Mittwoch der ehemalige Finanzvorstand und der frühere Head of Accounting von Wirecard in München festgenommen worden. Gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden des Zahlungsdiensteabwicklers, Dr. Markus Braun, sei ein neuer, "erheblich erweiterter Haftbefehl" erlassen worden, so die Ermittler. Braun sei ebenfalls am Mittwoch festgenommen worden. Alle drei Beschuldigten seien bereits der Haftrichterin vorgeführt worden, die Haftfortdauer angeordnet habe.

Die Vorwürfe wiegen schwer: Die Ermittler werfen den Führungskräften in zum Teil verschiedenem Umfang gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Untreue, unrichtige Darstellung und Marktmanipulation in mehreren Fällen vor.

Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft sind die drei Manager gemeinsam mit dem Geschäftsführer eines Unternehmens mit Sitz in Dubai und unter Beteiligung von Mittätern im Jahr 2015 übereingekommen, die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen von Wirecard aufzublähen, indem sie Einnahmen aus Geschäften mit sogenannten Third-Party-Acquirern vortäuschten. Auf diese Weise hätten die Manager das Unternehmen für Kunden wie auch Investoren finanzkräftiger dargestellt als es tatsächlich war. In Wirklichkeit sei den Beschuldigten spätestens seit Ende 2015 klargewesen, dass der Wirecard-Konzern insgesamt Verluste erzielte, so die Münchener Staatsanwaltschaft.

"Korpsgeist und Treueschwüre"

Die Ermittlungen werfen auch ein Licht auf das Innenleben von Wirecard, das den groß angelegten Betrug offenbar begünstigt hat: In Vernehmungen sei von einem streng hierarchischen System, "geprägt von Korpsgeist und Treueschwüren gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden als Führungsperson" berichtet worden, heißt es in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft.

Der Fall Wirecard ist einer der größten Wirtschaftsskandale der jüngsten Vergangenheit in Deutschland. Das Unternehmen musste mehrfach die Vorlage seiner Jahresbilanz für 2019 verschieben, weil die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY (Ernst & Young) kein Testat für die Bilanz ausstellte.

Den Prüfern fehlten Belege dafür, dass es 1,9 Milliarden Euro, die das Unternehmen auf Treuhänderkonten bei zwei philippinischen Banken verbucht hatte, tatsächlich gab. Später hat Wirecard eingeräumt, dass die Milliarden "sehr wahrscheinlich nicht existieren". Der Zahlungsdiensteabwickler prüft nun die nachträgliche Korrektur seiner Bilanzen der vergangenen Jahre und meldete Insolvenz an.

Was wusste die Regierung?

Der Skandal um Wirecard hat mittlerweile jedoch nicht nur rechtliche, sondern auch politische Implikationen: Am Mittwoch wurde bekannt, dass das Kanzleramt mehrmals Kontakt mit Wirecard-Managern und Beratern des Unternehmens hatte. Neben den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die Ex-Manager des Dax-Konzerns richtet sich der Blick daher auch auf die Frage: Was hat die Regierung wann gewusst - und was hat sie unternommen oder unterlassen? Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags rückt näher. Innerhalb der Koalition ist ein Streit über Verantwortlichkeiten ausgebrochen.

Auch Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat Lobbyarbeit für Wirecard gemacht, er hatte im Zusammenhang mit einer China-Reise von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Kontakt zum Kanzleramt. Merkel setzte sich auf der Reise für Wirecard ein, hatte damals aber "keine Kenntnis von möglichen schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten bei Wirecard", so ein Regierungssprecher.

In der Kritik steht auch das Finanzministerium, dem die Finanzaufsicht Bafin unterstellt ist. Minister Olaf Scholz hatte angekündigt, Versäumnisse aufzuklären, außerdem will er Reformen. Der Zeit sagte er, die Bafin solle mehr in Richtung der amerikanischen Finanzaufsicht SEC gehen, die umfassendere Befugnisse habe. Außerdem sollen Wirtschaftsprüfer bei Unternehmen häufiger wechseln.

Die SPD wirft Wirtschaftsminister Altmaier vor, zu wenig zur Aufklärung beizutragen - beim Wirtschaftsministerium aber sei die Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer angesiedelt. Dort wiederum kontert man, dass die Regelungen für die Wirtschaftsprüfer und die Anforderungen an die Prüfungen in die Zuständigkeit des Justizministeriums fielen.

Mit Material von dpa

Zitiervorschlag

Staatsanwaltschaft weitet Ermittlungen aus: . In: Legal Tribune Online, 22.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42279 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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