Weil der Staatsanwaltschaft Ermittler fehlen, drohen einige in NRW anhängige Cum-Ex-Fälle zu verjähren. Die zuständige Landesregierung sieht das anders. Am Mittwoch befasst sich der Rechtsausschuss des Landtags mit dem Problem.
Wundersame Geldvermehrung: Einmal Steuern zahlen, aber zweimal die Steuern zurückerstattet bekommen. Was absurd klingt, war jahrelange Praxis bei bestimmten Aktiendeals, den sogenannten Cum-Ex-Geschäften. Dabei schoben Investoren rund um den Dividendenstichtag Aktien mit (cum) und ohne (ex) Ausschüttungsanspruch zwischen Beteiligten hin und her, bis dem Fiskus nicht mehr klar war, wem sie überhaupt gehörten. Finanzämter erstatteten Kapitalertragsteuern mehrfach, obwohl die Steuer nur einmal gezahlt wurde. Ob das illegal war, ist noch nicht höchstrichterlich geklärt.
Sicher ist allerdings, dass dem Fiskus durch diese Praxis, an der Banken, Investoren und nicht zuletzt auch Rechtsanwälte beteiligt waren, Steuern in Milliardenhöhe entgangen sind. Und sie werden womöglich auch nicht vollständig eingetrieben werden können. Denn laut Recherchen von WDR und Süddeutscher Zeitung (SZ) sind zu wenig Ermittler mit den Fällen befasst. Deshalb seien die Berge an Cum-Ex-Fällen auch nach Jahren noch nicht abgearbeitet worden. Cum-Ex-Deals gab es verstärkt ab 2005, mit Beteiligung ausländischer Banken insbesondere zwischen 2008 und 2011. Im Jahr 2012 wurde die Gesetzeslücke schließlich geschlossen, die diese Steuertricks ermöglichte.
Mindestens 30 Steuerfahnder fehlen
Die Recherchen von WDR und SZ beschäftigen nun vor allem die nordrhein-westfälische Politik, denn das Bundesland spielt in Sachen Cum-Ex eine Schlüsselrolle: In Bonn sitzt das Bundeszentralamt, das den ausländischen Beteiligten die Steuern erstattete. Am Landgericht Bonn wird eine eigene Kammer, die zwölfte Strafkammer, mit den Verfahren befasst sein - so sie denn kommen. Die Kölner Staatsanwaltschaft ist die federführende Strafverfolgungsbehörde.
Den Berichten von WDR und SZ zufolge arbeiten in einer Ermittlungsgruppe namens "Stopp" allerdings nur 15 Steuerfahnder zusammen. Beim Landeskriminalamt arbeite eine "Handvoll Beamte" in der Einheit "Tax", heißt es weiter. Beteiligte würden seit Jahren mehr Personal fordern.
Laut dem Bund deutscher Kriminalbeamter (BdK) fehlen damit mindestens 30 bis 40 spezialisierte Steuerfahnder, um den Berg an Verfahren zu bewältigen. "Einige Verfahren konnten noch gar nicht angepackt werden", sagte BdK-Chef Sebastian Fiedler. Hier könne es Verjährungsprobleme geben. "Cum-Ex muss absolute Priorität haben - das hat die Landesregierung bislang vermissen lassen", monierte Fiedler.
Landesregierung sieht kein Problem
Diese bleibt indes gelassen. Das Finanzministerium betonte, die Bekämpfung von Steuerhinterziehung habe "einen hohen Stellenwert innerhalb des Aufgabenkatalogs der Landesregierung". Der Personaleinsatz spezialisierter Mitarbeiter sei in diesen hoch komplexen Fällen immer angemessen gewesen - es sei "hervorragende Arbeit geleistet" worden.
Ein Verjährungsproblem sieht man bei der Landesregierung auch nicht: Es seien keine Hinweise auf eine drohende Verjährung einzelner Sachverhalte bekannt. Die zehnjährige Verjährungsfrist bei Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall könnte durch eine Unterbrechung - etwa eine Durchsuchung - auf bis zu 20 Jahre verlängert werden.
Die Medienberichte haben gleichwohl die Opposition im NRW-Landtag auf den Plan gerufen. So hat die Grünen-Fraktion das Thema Cum-Ex unter anderem auf die Tagesordnung im Rechtsausschuss gehoben, die am Mittwoch stattfindet. Sie fordert von der Landesregierung Fakten und fragt an, wie viele Fachkräfte der Justiz tatsächlich mit der Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals befasst sind, ob Aufstockungen geplant sind und ob es Unterstützung durch den Bund gebe. Zudem wollen die Grünen Auskunft darüber, wie viele Fälle aus dem Cum-Ex-Komplex in NRW anhängig sind und wann diese zu verjähren drohen.
Einige Fälle könnten schon verjährt sein
Denn die Frage der Verjährung scheint nicht so unbedeutend zu sein, wie die NRW-Landesregierung behauptet. Tatsächlich könnten einige Fälle bereits jetzt verjährt sein, und auch bei vielen anderen düfte die Verjährung tatsächlich drohen. Sören Schomburg von der auf Wirtschafts- und Steuerstrafrecht spezialisierten Kanzlei Ufer Knauer weist gegenüber LTO darauf hin, dass die Verjährung grundsätzlich nur unterbrochen wird, wenn der Täter bekannt ist. Denn damit die Unterbrechungstatbestände des § 78c StGB greifen, muss ein konkreter Beschuldigter benannt sein; zudem gelten sie nur bezüglich der bezeichneten Person.
"Wenn die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt noch nicht kennt und keine Grundlage dafür hat, Beschuldigte einzutragen, kann sie die Verjährung nicht unterbrechen", so Schomburg. Bei Cum-Ex-Transaktionen, die beispielsweise im Jahr 2005 abgewickelt wurden, hätte die Staatsanwaltschaft die Verjährung deshalb selbst durch eine Durchsuchung im Jahr 2016 nicht unterbrechen können, wenn im Durchsuchungsbeschluss keine konkreten Personen bezeichnet sind, gibt Schomburg zu Bedenken.
"Die Staatsanwaltschaft muss ihre Ermittlungen im nicht-verjährten Zeitraum also zumindest soweit vorantreiben, dass sie eine Grundlage dafür hat, eine Person als Beschuldigten einzutragen", sagt er. Das bedeute, dass die Tat so weit individualisiert sei, dass sie von denkbaren anderen oder gleichartigen Sachverhalten unterscheidbar sei. "Das ist aber erst dann der Fall, wenn zumindest individuell bestimmbare Merkmale vorliegen", so Schomburg. "Es reicht daher also nicht aus, wenn sich eine Durchsuchungsanordnung nur pauschal 'gegen die Verantwortlichen' eines Unternehmens richtet."
Dass dem Fiskus durch die Cum-Ex-Deals hohe Steuerzahlungen entgehen, war den Behörden seit den 1990er Jahren bekannt. 2007 unternahm die Bundesregierung einen ersten Versuch, die Steuertricks zu stoppen. Dabei unterlief ihr aber ein Fehler: Wurde der Aktienhandel über das Ausland abgewickelt, waren die Cum-Ex-Deals weiterhin möglich. In diesen Fällen erstattete das in Bonn ansässige Bundeszentralamt für Steuern den Auslandsbanken die Kapitalertragsteuern; sie fallen daher in den Zuständigkeitsbereich der NRW-Justiz. Für die drohen die Fälle nun, zu einer Blamage zu werden.
Mit Material von dpa
Staatsanwaltschaft fehlen offenbar Ermittler: . In: Legal Tribune Online, 27.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34601 (abgerufen am: 13.11.2024 )
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