Der Bund will die globalen Wertschöpfungsketten fairer gestalten und hat dazu das Lieferkettengesetz auf den Weg gebracht. Auf was sich deutsche Unternehmen einstellen müssen, analysieren Claus Thiery und Sandra Renschke.
Nach langem Ringen haben sich die zuständigen Bundesministerien, nämlich das Wirtschafts-, Arbeits- und das Entwicklungsministerium, nun auf menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in der Lieferkette geeinigt. Der Referentenentwurf für das sogenannte Lieferkettengesetzt in der Fassung vom 15. Februar 2021 verpflichtet deutsche Großunternehmen dazu, Sorgfaltspflichten hinsichtlich international anerkannter Menschenrechte entlang der Lieferkette einzuhalten. Auch Aspekte des Umweltschutzes sind erfasst, soweit Menschenrechte bei deren Verletzung unmittelbar betroffen sind.
Ab dem geplanten Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 2023 sollen zunächst nur Unternehmen mit 3.000 Mitarbeitern erfasst sein; ab 2024 auch Unternehmen mit mehr als 1.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Insbesondere Firmen, die auf globale Lieferketten angewiesen sind, also die Automobil-, Textil-, Chemie- und Nahrungsmittelbranche, dürften besonders betroffen sein.
Corporate Social Responsibility: kein neuer Begriff
Die Festlegung und Anerkennung menschrechtlicher Sorgfaltspflichten und die Zuschreibung einer diesbezüglichen unternehmerischen Verantwortung ist dabei keineswegs neu: Für Unternehmen ist nachhaltiges Wirtschaften und soziale Verantwortung schon seit langem insbesondere unter dem Begriff "Corporate Social Responsibility" relevant.
Nachhaltiges Wirtschaften gilt als das Thema der Gegenwart und Zukunft, und Nachhaltigkeit ist nicht mehr nur Ausdruck einer sozialen und moralischen Verantwortung. Vielmehr haben Unternehmen, die sich das Thema auf die Fahne schreiben, immer häufiger auch einen Vorteil im Wettbewerb im Kampf um Kunden, Anlegerinnen und Investoren.
Alle bereits existierenden Leitlinien und Standards in diesem Zusammenhang basieren ausschließlich auf dem Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung. Die Verfasser des Referentenentwurfs halten dieses Prinzip jedoch für nicht effizient genug: Ein deutsches Monitoring im Jahr 2020 ergab, dass nicht einmal 20 Prozent der Unternehmen mit über 500 Mitarbeitenden die im "Nationalen Aktionsplan Menschenrechte" festgelegten Sorgfaltspflichten erfüllen. Unternehmen hätten mehr "green washing" betrieben, als dass sie ihre diesbezügliche Verantwortung wirklich ernst genommen hätten.
Das Kernelement: eine umfassende Risikoanalyse
Mit dem Lieferkettengesetz wird die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten in Lieferketten verpflichtend. Zentraler Inhalt ist dabei die Durchführung einer Risikoanalyse. Zu analysieren ist das Risiko eines Verstoßes gegen Menschenrechte oder umweltbezogene Pflichten. Das Lieferkettengesetz listet hierzu abschließend die erfassten Menschenrechte und umweltbezogenen Pflichten auf, es umfasst zum Beispiel gerechte und günstige Arbeitsbedingungen, die Einhaltung angemessener Lebensstandards, Freiheit von Kinder- und Zwangsarbeit und der Schutz vor Folter.
An die Risikoanalyse werden bestimmte Bedingungen gestellt: Sie muss zunächst umfassend sein. Es müssen alle Standorte eines Unternehmens, alle Geschäftsprozesse der Lieferkette von der Rohstoffgewinnung bis hin zum Endprodukt und kontextabhängige Faktoren, etwa politische Rahmenbedingungen, berücksichtigt werden.
Zudem muss die Risikoanalyse sowohl den eigenen Geschäftsbereich als auch den Geschäftsbereich von Vertragspartnern, sogenannten unmittelbaren Zulieferern, abdecken. Sie erstreckt sich grundsätzlich nicht auf mittelbare Zulieferer, also Zulieferer, die keine Vertragspartner des Unternehmens sind. Dabei bleibt es solange, bis das Unternehmen Kenntnis darüber erlangt, dass es bei einem mittelbaren Zulieferer zu Menschenrechtsverstößen kommt oder kommen könnte.
Auf Grundlage der Risikoanalyse sind in einem zweiten Schritt angemessene Präventionsmaßnahmen zu treffen bzw. - wenn sich das Risiko verwirklicht hat - Abhilfemaßnahmen. Das Lieferkettengesetz legt den Unternehmen aber keine Erfolgspflicht auf. Die Pflicht, Präventions- und Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, beinhaltet daher nicht, dass die Maßnahmen tatsächlich dazu führen, dass Menschenrechtsverstöße verhindert oder beseitigt werden. Erforderlich ist nur, dass das Unternehmen angemessene Maßnahmen ergreift. Was angemessen ist, bemisst sich unter anderem nach Art und Umfang der Geschäftstätigkeit und dem Einflussvermögen des Unternehmens.
Bei Verstößen drohen hohe Bußgelder
Für die Überwachung des Lieferkettengesetzes wird das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zuständig sein. Verstöße stellen eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit Bußgeldern geahndet werden kann. Aktuell ist die Rede von Bußgeldern bis zu zehn Prozent des Gesamtumsatzes eines Unternehmens. Denkbar ist auch, dass ein Unternehmen für bis zu drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen wird.
Fraglich ist, ob Unternehmen darüber hinaus zivilrechtlich für im Ausland eingetretene Schädigungen haftbar gemacht werden könnten. Die Folge wären ggf. hohe Schadensersatzzahlungen einschließlich Schmerzensgeld. Der Referentenentwurf regelt bis dato lediglich, wer aufgrund von Verstößen gegen das Gesetz gegen ein deutsches Unternehmen klagen kann (Prozessführungsbefugnis). Es bestimmt insoweit, dass dies neben dem Betroffenen selbst auch eine Gewerkschaft oder eine Nichtregierungsorganisation in Prozessstandschaft für den Betroffenen sein kann.
Nicht geklärt ist damit die Frage, ob eine solche Klage vor einem deutschen Gericht auch nach deutschem Recht zu beurteilen wäre. Nur dann könnte eine Klage auf eine Verletzung der im Lieferkettengesetz festgelegten Sorgfaltspflichten gestützt werden. Bei Auslandssachverhalten ist diese Frage jedoch regelmäßig zu verneinen. Nach dem internationalen Privatrecht ist vielmehr grundsätzlich das Recht am Ort des Schadenseintritts maßgeblich (Art. 4 Abs. 1 Rom-II-VO).
Ist deutsches Recht für im Ausland eingetretene Schädigungen anwendbar?
Wird es dabei auch unter der Geltung des Lieferkettengesetzes bleiben? Nicht unbedingt. Zukünftig könnte auch Art. 16 der Rom-II-VO eine Rolle spielen. Danach sind nationale Rechtsvorschriften dann anzuwenden, wenn ihnen in der innerstaatlichen Rechtsordnung eine überragend wichtige Bedeutung zukommt (vgl. EuGH, Urteil vom 31.01.2019, Rs. C-149/18, Rn. 31). Ist das bei den Vorschriften des Lieferkettengesetzes der Fall? Dafür spräche jedenfalls an einer Stelle der ausdrückliche Wortlaut des Lieferkettengesetzes: Im Rahmen der Regelung zur Prozessstandschaft ist explizit die Rede von "überragend wichtigen Rechtspositionen" in Bezug auf die erfassten Menschenrechte.
Sofern deutsches materielles Recht zur Anwendung käme, wäre eine zivilrechtliche Haftung deutscher Unternehmen denkbar. Die Schwierigkeit dürfte dann im Prozessualen liegen. Denn der Betroffene müsste nachweisen, dass das Unternehmen seiner menschenrechtlichen Sorgfalt schuldhaft nicht nachgekommen ist. Die Hürden hierfür sind hoch, insbesondere weil die Sorgfaltspflichten als bloße "Bemühenspflichten" ausgestaltet sind.
Es ist derzeit fraglich, ob das Lieferkettengesetz tatsächlich in der Form des Referentenentwurfs vom 15. Februar dieses Jahres Gesetz wird. Nur wenige Tage nach Veröffentlichung des Entwurfs hat das Wirtschaftsministerium seine diesbezügliche Zustimmung zurückgezogen. Der Entwurf stimmte in zwei Punkten nicht mit der erzielten Einigung überein. Wie der neuerliche Konflikt politisch beigelegt wird und das Gesetzgebungsverfahren verlaufen wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls soll nach Angaben der Koalitionsparteien das Lieferkettengesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden.
Die Autoren: Claus Thiery ist als Partner und Sandra Renschke als Senior Associate im Bereiche Dispute Resolution bei CMS Deutschland tätig.
Referentenentwurf zum Lieferkettengesetz: . In: Legal Tribune Online, 24.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44347 (abgerufen am: 06.11.2024 )
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