In Kanzleien wird oft ineffizient gearbeitet, doch ein Frankfurter Anwaltsteam will es besser machen: Es organisiert sich nach der Kanban-Methode. Doch lassen sich komplexe Mandate wirklich mit bunten Klebezetteln organisieren?
Ein kleines Anwaltsbüro hoch oben im Frankfurter Messeturm, morgens um viertel nach neun: Ein Team von fünf Menschen in gedeckter Business-Kleidung versammelt sich vor zwei weißen Wandtafeln, die über und über mit bunten Post-its beklebt sind.
Kurz, knapp und konzentriert besprechen sie – der Partner, zwei Associates, der Wissenschaftliche Mitarbeiter und die Sekretärin - die wichtigsten Aufgaben für jedes Mandat, das sie aktuell betreuen: Was steht an? Muss das heute erledigt werden? Wer ist zuständig? Derjenige Mitarbeiter, der den Job übernimmt, schreibt seine Aufgabe auf einen grünen, gelben oder blauen Notizzettel und klebt ihn in eine der Spalten auf der Wandtafel. 20 Minuten dauert das Ganze, dann kehren alle zurück an ihre Schreibtische.
Kanban: alte Methode, neu entdeckt
Es war ein Kanban-Meeting, das die Anwälte der Kanzlei Simmons & Simmons abgehalten haben. Die Associate Sabrina Schwiebert hat diese Form des Projektmanagements in dem Frankfurter Team um Financial-Markets-Partner Dr. Benedikt Weiser eingeführt.
Kanban – das klingt modern und geheimnisvoll, doch wirklich neu ist die Methode nicht: Sie wurde schon in den 1940er Jahren von Toyota entwickelt. Der Autobauer wollte damals seine Fertigungsprozesse in einen gleichmäßigeren Rhythmus bringen und Lagerbestände reduzieren.
Später haben Software-Entwickler die Methoden adaptiert: An einem sogenannten Kanban-Board werden die unterschiedlichen Stationen eines Projekts in Spalten visualisiert. Die einzelnen Aufgaben werden als "Tickets" auf Klebezetteln oder Karteikarten festgehalten und durchwandern mit der Zeit das Board von links nach rechts. Der Vorteil liegt auf der Hand: Indem das Projekt und seine einzelnen Schritte übersichtlich visualisiert werden, wird auf einen Blick klar, wie schnell die Tickets die einzelnen Stationen durchlaufen und wo sie sich möglicherweise stauen.
Anwälte sind noch skeptisch
Seit einiger Zeit rücken Kanban, Scrum und andere Methoden des Projektmanagements unter dem Schlagwort "Agiles Arbeiten" in weitere Dienstleistungsberufe vor – und allmählich natürlich auch in die Anwaltschaft. Wobei die Juristen dem Ganzen noch eher skeptisch gegenüberstehen.
"Viele Grundsätze des Projektmanagements sind Common Sense", meint Tamay Schimang, Rechtsanwalt, Mitgründer von Streamlaw und Berater von Kanzleien und Rechtsabteilungen bei Digitalisierung und Projektmanagement. "Aber die Kultur in den Kanzleien, vor allem wenn es um Struktur und Kommunikation geht, ist nicht unbedingt darauf ausgelegt", sagt er. "Effizienz ist nicht zwingend gewollt." Schimang weiß aus eigener, langjähriger Kanzlei-Erfahrung, wie ineffizient dort manchmal gearbeitet wird. Er gibt inzwischen Workshops für anwaltliches Projektmanagement.
Soll Projektmanagement gelingen, muss intensiv kommuniziert werden, Informationen müssen ungehindert fließen. "In den Abteilungen herrscht aber oft 'Datensparsamkeit': Informationen werden nur weitergegeben, wenn das unbedingt nötig ist", sagt Schimang. Das komme in der Zusammenarbeit zwischen Kanzlei und Mandant oft vor, aber häufig auch in den Kanzleien selbst – insbesondere da, wo das Prinzip "Eat-what-you-kill" herrsche.
Komplexität reduzieren
Auch Schwiebert hat Kanban in einem Workshop über Projektmanagement kennengelernt. Es hatte sie gestört, dass es in ihrem Team keinen regelmäßigen Mechanismus gab, wie die laufenden Mandate und die täglichen Prioritäten besprochen wurden. Als sie von Kanban hörte, war sie Feuer und Flamme. "Es ist bunt und es funktioniert", sagt sie und lacht. Die Anwältin bestellte umgehend zwei große weiße Wandtafeln und hängte sie in ihrem Büro auf, hinzu kamen Blöcke mit bunten Klebezetteln und dicke schwarze Filzstifte. Einen Tag nach dem Workshop berief sie das erste Kanban-Meeting ein.
Im Gegensatz zu Schwiebert war es bei ihren Kollegen allerdings nicht Liebe auf den ersten Blick. Im Gegenteil, sie waren zunächst skeptisch. Zugegeben wirkt ein Kanban-Board mit den vielen Notizzetteln etwas trivial. Dass man komplexe Transaktionen oder große Rechtsstreitigkeiten mit einer Handvoll bunten Post-its organisieren kann, scheint schwer vorstellbar. "Agiles Projektmanagement stammt vor allem aus der IT, und IT-Projekte sind auch nicht gerade unkomplex", wendet Schimang ein. "Komplexität kann in kleine Häppchen runtergebrochen werden."
Schwiebert war sich trotzdem zuerst nicht ganz sicher, ob Kanban wirklich zu ihrem Team und den Mandaten passt, die es bearbeitet. Sie einigte sich mit ihren Kollegen deshalb auf eine Testphase von zwei Monaten. Aber schon nach zwei Wochen waren alle überzeugt: Man hatte sich an die kurzen, knackigen Meetings vor dem Kanban-Board gewöhnt und wollte sie nicht mehr missen. Mit der Zeit passten Schwiebert und ihre Kollegen die Methode noch etwas an: Sie legten auf den Boards neue Spalten für Pitches und "Pending Matters" an, also für Mandate, die zwar laufen, mit denen das Team aber gerade nichts zu tun hat. Auch Aufgaben, die neben der Mandatsarbeit leicht in den Hintergrund rücken - etwa Abrechnung und Business Development -, stehen mittlerweile auf dem Board und geraten so nicht in Vergessenheit.
Gedanken verschriftlichen und sortieren
"Ich bin froh, dass ich es ausprobieren durfte", sagt Schwiebert rückblickend. Für das Team hat sich einiges geändert: Der Arbeitstag beginnt nun gemeinsam, nämlich mit dem Kanban-Meeting um Viertel nach neun. "Früher haben wir eine To-Do-Liste besprochen, aber am Ende war oft nicht ganz klar, was genau nun am dringendsten getan werden muss", erinnert sie sich. Heute vergegenwärtige sich das Team gemeinsam, was an dem Tag anstehe, und jeder wisse Bescheid, wer woran arbeite. "Es ist auch wichtig, sich kurz die Zeit zu nehmen und bei jeder Aufgabe zu entscheiden: Muss das heute erledigt werden? Oder hat es noch Zeit?", sagt Schwiebert.
Schimang sagt, genau das sei das Schöne am Kanban - die Gedanken zu einem Projekt lassen sich verschriftlichen und jederzeit neu anordnen: "Die Zettel sind beweglich, man kann sie umhängen und danach sortieren, was gemacht werden muss und mit welcher Priorität." Allerdings: Man kann auch auf den ersten Blick sehen, woran es gerade hängt: Fehlt ein Feedback des Partners? Eine Info des Mandanten? Ist jemand aus dem Team erkrankt und fehlt deshalb sein Input?
Unerwünschte Transparenz?
Solch eine Transparenz wünschen sich manche Teams möglicherweise gar nicht. Denn das Kanban-Board kann auch wie ein Pranger wirken: Es ist schnell offensichtlich, wenn einer mit seinen Aufgaben bummelt; Minderleister lassen sich auf den ersten Blick identifizieren. Keiner - auch nicht der Partner - kann sich verstecken. Jeder sieht, was die anderen zu tun haben und ob sie ihre Aufgaben auch tatsächlich innerhalb der Frist erledigen. "Das erfordert eine souveräne Führungskraft", sagt Schimang.
Schwiebert sagt, sie sei die einzige Workshop-Teilnehmerin, die Kanban in ihrem Team ausprobiert hat. Kollegen, die darüber nachdenken, es einzuführen, würden sich gelegentlich nach ihren Erfahrungen erkundigen. Ansonsten sei Projektmanagement wohl noch nicht sehr weit verbreitet in den Kanzleien, glaubt sie.
Eine Beobachtung, die auch Schimang bestätigt. Er kennt nur einige wenige Teams, die sich mit Methoden des agilen Projektmanagements organisieren – die jedoch seien begeistert. Zudem weiß er von Anwälten, die ein Kanban-Board nutzen, um ihre eigene Arbeit damit zu strukturieren - auch wenn das restliche Team nicht mit der Methode arbeitet. "Ansonsten ist ja meist das Outlook-Postfach die To-Do-Liste der Anwälte", sagt Schimang und lacht.
Anja Hall, Anwaltliches Projektmanagement: . In: Legal Tribune Online, 12.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28007 (abgerufen am: 14.11.2024 )
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