Personalentscheidungen mit "unconscious bias": Trü­ge­ri­sches Bauch­ge­fühl

von Désirée Balthasar

21.07.2016

2/2: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht

Zum Beispiel dann, wenn die Teilzeit-Anwältin nicht in das Projektteam eingeladen wird, weil eine viertägige Dienstreise vorgesehen ist. "Unsere unbewussten Einschätzungen, die dieser Entscheidung vorausgehen, mögen uns daran hindern, eine solche Kollegin überhaupt zu fragen", sagt Diane Manz, Senior HR Manager bei Ashurst. "Das muss keine böse Absicht sein, sondern kann aus der Gewohnheit heraus entstehen." Ausgeschlossen bliebe die Teilzeit-Anwältin dennoch.

Kritisch wird das Bauchgefühl ebenfalls, wenn es um das Erklimmen der Karriereleiter geht. Wen fördert der Senior-Partner, wem spricht der Dezernatsleiter sein Vertrauen aus, wer bekommt eine Gehaltserhöhung? Hier ausschließlich nach Bauchgefühl zu entscheiden, führt nicht nur zu Intransparenz, sondern möglicherweise dazu, Potenzial zu verschenken.

"Sobald jemand über andere Menschen entscheidet, sollten die Kriterien hinterfragt werden und belegbar sein", sagt Manz. "Natürlich sollte die Sympathie zwischen Kollegen stimmen, aber das Bauchgefühl nicht allein entscheidend sein." Die Diplom-Psychologin und ihr Team haben Workshops initiiert, um Anwälte und Mitarbeiter bei Ashurst für unbewusste Denkmuster zu sensibilisieren. Denn wenngleich Manz ihre Kanzlei lobt, dass dort sehr offen mit Kollegen aus anderen Ländern umgegangen werde, so sieht sie an anderer Stelle Verbesserungsbedarf. "In unserer deutschen Partnerriege sind bei insgesamt 19 Partnern lediglich drei Frauen vertreten. Und daran möchten wir natürlich etwas ändern."

Erwartungen von allen Seiten

Mit der Situation steht Ashurst nicht allein da. Seit Jahren dümpelt die Quote der Vollpartnerinnen bei niedrigen zehn Prozent. Unbewusste Denkmuster können hier eine wichtige Rolle spielen. Ein klassisches Dilemma: Von Frauen wird erwartet, dass sie Mütter werden. Und wenn es soweit ist, dann werden sie als weniger leistungsstark eingeschätzt, weil die Karriere vermeintlich nicht mehr an erster Stelle steht.

Unbewusste Denkmuster wenden wir nicht nur bei Anderen an, sondern auch bei uns selbst. Hat die Teilzeit-Anwältin ihre Arbeitszeit reduziert, weil es von ihr als zweifache Mutter erwartet wird - oder weil sie es von sich aus möchte? "Das Stichwort lautet hier: Selbsterfüllende Prophezeiung", sagt Manz. "Wenn von mir erwartet wird, dass ich mich als Mutter um meine Kinder kümmere, anstatt mich weiterhin auf meine Karriere zu konzentrieren, dann habe ich vielleicht unbewusst ein schlechtes Gewissen und stecke weniger Energie in meine beruflichen Ambitionen."

Das alles wäre noch kein Problem, wenn es möglich wäre, mit reduzierter Arbeitszeit Vollpartnerin zu werden. Das jedoch kommt laut den Berichten von Anwältinnen aus der Praxis quasi nicht vor. In der Rechtsberatung auf hervorragend ausgebildete Juristinnen zu verzichten und sie in Teilzeit zu besseren Sachbearbeiterinnen zu degradieren, scheint angesichts des Nachwuchsmangels und der Recruiting-Engpässe regelrecht fahrlässig.

Zitiervorschlag

Désirée Balthasar, Personalentscheidungen mit "unconscious bias": . In: Legal Tribune Online, 21.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20005 (abgerufen am: 06.11.2024 )

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