Die Novelle des Personenbeförderungsrechts mit zugehöriger Verordnung fordert mehr Bereitstellung von Daten. In dieser Hinsicht sei das Gesetz teilweise verfassungswidrig, meint Clemens Antweiler.
Das neue Personenbeförderungsgesetz (PBefG) tritt am 1. August 2021 in Kraft. Das Gesetz, in dem die entgeltliche Beförderung von Personen auf allerlei Arten geregelt ist, schreibt künftig auch vor, dass vorhandene Daten über diese Beförderung zu sammeln sind: Konkret normiert § 3a die Pflicht, statische und dynamische Mobilitätsdaten über einen Nationalen Zugangspunkt bereitzustellen. Dieser ist bei der Bundesanstalt für Straßenwesen angesiedelt.
Liefern müssen diese Daten zum einen Unternehmer iSd Personenbeförderungsrechts, also natürliche oder juristische Personen, die entgeltlich oder geschäftsmäßig Personenbeförderungsleistungen mit Straßenbahnen, Obussen oder Kraftfahrzeugen erbringen. Zum anderen gilt die Pflicht auch für Vermittler von Personenbeförderungsdiensten. Darunter fallen Betreiber von Mobilitätsplattformen, deren Hauptgeschäftszweck auf den Abschluss eines Vertrages über eine genehmigungspflichtige Personenbeförderung gerichtet ist, z.B. Anbieter von Apps, über die sich Ridesharing-Services abrufen lassen.
Bereitzustellen sind zum einen statische Daten, das sind z.B. Fahrpläne und Tarife, zum anderen dynamische Daten. Dazu zählen u.a. Störungen und Verspätungen, voraussichtliche Abfahrts- und Ankunftszeiten sowie prognostizierte Auslastungen. Während statische Daten bereits ab dem 1. Januar 2022 bereitzustellen sind, gilt das für dynamische Daten erst ab dem 1. Juni 2022.
Ermächtigungsnorm ist verfassungswidrig
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) darf gem. § 57 Abs. 1 Nr. 12 PBefG durch Rechtsverordnung nähere Einzelheiten zu dieser Datensammlung bestimmen. Dabei muss es allerdings einiges beachten: Aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) folgt, dass der Gesetzgeber selbst darüber entscheiden muss, welche Grenzen für den Verordnungsgeber gelten, dies also nicht dem BMVI überlassen darf. Erforderlich ist, dass sich anhand des ermächtigenden Gesetzes bestimmen lässt, welches gesetzliche Programm die Rechtsverordnung umsetzen soll. Außerdem müssen die Adressaten der Verordnung schon aus der gesetzlichen Ermächtigung erkennen können, welchen möglichen Inhalt eine darauf gestützte Verordnung haben kann.
Zulässige Regelungsgegenstände für eine Verordnung sind nach dem Gesetz u.a. Art und Inhalt der bereitzustellenden Daten, technische Anforderungen sowie "Zulassung von Dritten" zu den beim Nationalem Zugangspunkt bereitgestellten Daten. Wer diese Dritten sein könnten – z.B. Behörden, Reisende, Datenbankbetreiber, Verkehrsplaner oder andere Mobilitätsunternehmen – sagt die Verordnungsermächtigung allerdings nicht. Somit ist § 57 Abs. 1 Nr. 12 d) PBefG verfassungswidrig. Denn danach darf der Verordnungsgeber pauschal die "Zulassung von Dritten" zur Nutzung der Daten des Zugangspunktes erlauben, ohne dass dieser Kreis und der Zweck der Zulassung im Gesetz auch nur ansatzweise umrissen sind.
Alle Daten für alle abrufbar?
Schon Ende März hat das BMVI gleichwohl einen Entwurf einer Mobilitätsdatenverordnung vorgelegt. Seit Mitte Mai ist die Verbändeanhörung hierzu beendet. Der Entwurf nimmt ausdrücklich auf die europäische Delegierte Verordnung 2017/1926 Bezug. Unternehmer und Vermittler sollten verpflichtet sein, die Daten regelmäßig zu aktualisieren, soweit sich in ihrem Geschäftsbetrieb Änderungen ergeben. Dynamische Daten sind "in Echtzeit" zu aktualisieren.
Sämtliche Behörden können die Mobilitätsdaten beim Nationalen Zugangspunkt in Zukunft ohne Weiteres elektronisch abrufen. Besonders brisant: Der Verordnungsentwurf definiert die zugangsberechtigten "Dritten" weit: Erfasst sind ausdrücklich alle "Anbieter von Mobilitäts- und Reiseinformationsdiensten". Folglich können sich diese Dienstleister diejenigen Mobilitätsdaten verschaffen, die ihre Konkurrenten bereitgestellt haben. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind damit in Gefahr.
Kontrolle der Beförderungsunternehmen
Einerseits haben die Fraktionen der CDU/CSU und SPD in ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des PBefG (BT-Drs. 19/26175) betont, die neuen Vorschriften leisteten einen "Beitrag für einen effizienteren und klimafreundlicheren Verkehr". Andererseits heißt es in demselben Gesetzentwurf, die Bereitstellungspflicht, werde "zu Aufsichts- und Kontrollzwecken eingeführt".
In dieser Kontrollmöglichkeit liegt offenbar der Hauptzweck. Bezeichnend dafür ist, was das BMVI in einem Schreiben vom 27. April 2021 im Rahmen der Verbändeanhörung ausgeführt hat: Die Mobilitätsdatenverordnung diene "der Kontrolle der Einhaltung von Pflichten aus dem PBefG (etwa Rückkehrpflicht)". Da die Rückkehrpflicht von vornherein nur im Mietwagenverkehr gilt, nicht aber im Taxen- und Linienverkehr, ist klar, worum es geht: Bestehende Besitzstände des Taxengewerbes sollen geschützt werden; innovative Beförderungsformen sind nur gewünscht, wenn sie sich darauf nicht nachteilig auswirken.
Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht erfasst
Im Entwurf der Mobilitätsdatenverordnung gibt es eine ganze Reihe systematischer Widersprüche. Das gilt sowohl in inhaltlicher als auch in rechtlicher Hinsicht.
Inhaltlich knüpft der Verordnungsentwurf einseitig an das PBefG an. Daher trifft die Pflicht, Mobilitätsdaten bereitzustellen, nur Unternehmer und Vermittler iSd PBefG. Die dem Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG) unterliegenden Eisenbahnverkehrsunternehmen sind dagegen nicht erfasst.
Allerdings haben Eisbahnverkehrsunternehmen mit dem Schienenpersonennahverkehr einen wichtigen Anteil am gesamten Öffentlichen Personennahverkehr. Deshalb sind ihre Daten von besonderer Relevanz. Weshalb diese Daten dem Nationalen Zugangspunkt nicht übermittelt werden müssen, leuchtet nicht ein. Mangels eines verkehrsträgerübergreifenden Konzepts kann der Verordnungsentwurf das Ziel, zu einem effizienteren Verkehr beizutragen, jedenfalls nicht umfassend erreichen.
Datenschutz, Ziele, Geheimnisse
Rechtlich gibt es Widersprüche auf mehreren Ebenen. Erstens sind datenschutzrechtliche Fragen nicht abschließend geklärt: Wann und unter welchen Voraussetzungen müssen Dritte die über den Nationalen Zugangspunkt abgerufenen Daten löschen? Auf welche Weise wird Datensicherheit gewährleistet?
Zweitens: Hintergrund für die Pflicht zur Bereitstellung von Mobilitätsdaten ist die Delegierte Verordnung (EU) 2017/1926. Sie dient der grenzüberschreitenden Versorgung Reisender mit multimodalen Reiseinformationen vor und während einer Reise. Das BMVI will dagegen nach eigenen Angaben die Einhaltung personenbeförderungsrechtlicher Pflichten kontrollieren. Damit verfolgt es nicht informative, sondern repressive Ziele. Dies widerspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.
Drittens betonen sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) immer wieder, dass auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse eines Unternehmens von dem durch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) garantierten Recht auf Achtung des Privatlebens umfasst und damit geschützt sind. Diesem Grundrecht trägt der Verordnungsentwurf nicht Rechnung.
Zuständig ist Berlin
Hinzu kommt: Personenbeförderungsrecht ist Gewerberecht; es gilt der Grundsatz der Gewebefreiheit. Die Genehmigungspflicht soll sicherstellen, dass ausschließlich zuverlässige und leistungsfähige Unternehmer Personenbeförderungsleistungen erbringen – mehr nicht. Wer als Busunternehmer eigenwirtschaftliche Personenbeförderungsleistungen anbieten will, gibt im Genehmigungsantrag an, welche Fahrzeuge er einsetzen möchte und welche Fahrpläne gelten sollen.
In den Grundzügen vergleichbar ist die Situation beim Mietwagenunternehmer. Sofern die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt sind, ist die Genehmigung zu erteilen. Sie genießt den Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Daten, die beim Genehmigungsinhaber im Zusammenhang mit der Ausübung der genehmigten Tätigkeit anfallen, müssen daher nicht gegenüber Dritten offengelegt werden, soweit sie Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse enthalten. Nach dem nun vorliegenden Verordnungsentwurf aber wäre es öffentlichen Verkehrsunternehmen möglich, über den Nationalen Zugangspunkt gezielt die Informationen zu verschaffen, die sie benötigen, um selbst entsprechende Leistungen anzubieten.
Sollte das BMVI die Mobilitätsdatenverordnung trotz dieser Mängel veröffentlichen, könnten betroffene Unternehmen dagegen Klage erheben. Zuständig wäre das Verwaltungsgericht Berlin.
Der Autor Dr. Clemens Antweiler ist Partner in der Kanzlei AntweilerLiebschwagerNieberding in Düsseldorf. Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht und für Vergaberecht berät regelmäßig im Verkehrssektor.
Novelle des PBefG samt Mobilitätsdatenverordnung: . In: Legal Tribune Online, 01.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45089 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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