Der Entwurf der EU-Kommission für eine Richtlinie zur unternehmerischen Nachhaltigkeit liegt vor. Was auf die Adressaten zukommt und an welchen Stellen noch Nachbesserungsbedarf besteht, erklärt Thomas Voland.
Ende Februar dieses Jahres hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag für eine Richtlinie zur unternehmerischen Nachhaltigkeit veröffentlicht (Directive on Corporate Sustainability Due Diligence). Insbesondere große Unternehmen sollen zukünftig verpflichtet werden, menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltspflichten innerhalb ihrer gesamten Wertschöpfungskette einzuhalten.
Die Europäische Union ist damit die erste grenzüberschreitende Region weltweit, die eine solche Sorgfaltspflicht in Lieferketten rechtlich verbindlich vorschreibt. Sie könnte damit einen globalen Standard setzen, der auch von Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU zu beachten wäre.
Anwendungsbereich
Der Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst sowohl Unternehmen mit Sitz in der EU als auch Unternehmen aus Drittstaaten. EU-Unternehmen unterfallen der Richtlinie, wenn sie mehr als 500 Arbeitnehmende beschäftigen und im vorangegangenen Geschäftsjahr einen weltweiten Nettoumsatz von über 150 Mio. Euro erzielt haben. Darüber hinaus fallen EU-Unternehmen mit mehr als 250 Arbeitnehmenden und über 40 Millionen Euro Jahresumsatz unter die Richtlinie, wenn mindestens die Hälfte dieses Umsatzes in einem sogenannten Hochrisikosektor generiert wurde.
Zu den Hochrisikosektoren gehören unter anderen die Herstellung und der Verkauf von Bekleidung, Land- und Forstwirtschaft, die Herstellung von Lebensmitteln, die Gewinnung und der Vertrieb von Bodenschätzen oder die Herstellung von (metallhaltigen) Ausgangsprodukten. Für diese "kleineren" Unternehmen in Hochrisikosektoren gelten die Sorgfaltspflichten nur in Bezug auf die Tätigkeit in dem betreffenden Sektor.
Für Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU kommt es nicht auf die Anzahl der Beschäftigten an. Sie unterfallen dem Anwendungsbereich, wenn sie die oben genannten Umsätze, d.h. mehr als 150 bzw. 40 Mio. Euro (bei mindestens der Hälfte davon in einem Hochrisikosektor), in der EU erzielen. Die Kommission nimmt an, dass die Richtlinie in dieser Form für ca. 13.000 europäische und 4.000 außereuropäische Unternehmen Anwendung findet.
Sorgfaltspflichten
Die betroffenen Unternehmen müssen die Sorgfaltspflichten in ihrem eigenen Betrieb, dem Betrieb ihrer kontrollierten Tochtergesellschaften und in Bezug auf die "Partner" in ihrer Wertschöpfungskette beachten, sofern sie zu diesen eine gefestigte Geschäftsbeziehung unterhalten. Eine Geschäftsbeziehung gilt als gefestigt, wenn sie im Hinblick auf ihre Dauer oder Intensität beständig ist. Die Wertschöpfungskette ist weiter zu verstehen als der im deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verwendete Begriff der Lieferkette. Sie umfasst insbesondere nicht nur unmittelbare und mittelbare Zulieferer, also "upstream"-Aktivitäten, sondern auch die Nutzung und ggf. Entsorgung eines Produkts oder einer Dienstleistung, mithin auch "downstream"-Aktivitäten.
Die Erfassung der "downstream"-Aktivitäten führt zu einer Vielzahl von Herausforderungen. Insbesondere dürfte es noch schwieriger sein, ein Produkt nach dessen Inverkehrbringen im Blick zu halten als die Beschaffung der Rohstoffe und Komponenten nachzuverfolgen. Das gilt nicht zuletzt deshalb, weil die Lebensdauer in aller Regel weit länger ist als die Produktionsdauer. Somit sind Unternehmen angehalten, langfristige Monitoringmechanismen zu etablieren. Obwohl der Begriff der gefestigten Geschäftsbeziehung für die gesamte Richtlinie von zentraler Bedeutung ist, bleibt seine Definition unklar und insbesondere die "Erläuterung" in den Erwägungsgründen scheint eine beinahe uferlos weite Auslegung nahezulegen.
Im Rahmen ihrer Sorgfaltspflicht müssen Unternehmen zunächst tatsächliche und potenziell nachteilige Auswirkungen auf Menschenrechte oder bestimmte Umweltbelange identifizieren. Dabei erklärt die Richtlinie im Ergebnis alle international anerkannten Menschenrechte für einschlägig, also insbesondere nicht nur arbeitsbezogene Menschenrechte sondern z.B. auch weitreichende Kinderrechte (etwa die Rechte auf eine volle Entfaltung ihres vollen Potentials oder auf Berücksichtigung ihrer Interessen in relevanten Entscheidungsprozessen).
Umweltrisiken sind dann relevant, wenn sie zu Menschenrechtsverletzungen führen können oder sofern bestimmte internationale Abkommen betroffen sind. Sofern Risiken bestehen, muss das betreffende Unternehmen nachteilige Auswirkungen vermeiden oder diese, falls solche Auswirkungen bereits eingetreten sind, beenden oder zumindest minimieren.
Darüber hinaus sollen Sorgfaltspflichten auch integraler Bestandteil der Unternehmenspolitik und Richtlinien zu ihrer Einhaltung erlassen werden. Ferner sind die Unternehmen verpflichtet, ein Beschwerdeverfahren für Betroffene, Gewerkschaften und Organisationen der Zivilgesellschaft einzurichten, sodass berechtigte Sorgen hinsichtlich tatsächlicher oder potenzieller negativer Auswirkungen auf Menschenrechte oder die Umwelt durch die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens entlang der Wertschöpfungskette adressiert werden können.
Schließlich sind die Unternehmen angehalten, die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen regelmäßig zu überwachen und jährlich darüber berichten, wie sie ihre Sorgfaltspflichten erfüllen, welche (potenziellen) nachteiligen Auswirkungen sie identifiziert haben und wie sie mit diesen umgegangen sind.
Durchsetzung
Im Falle der Nichteinhaltung von Sorgfaltspflichten kommen zum einen staatliche Sanktionen in Betracht, welche von den Mitgliedstaaten selbst konkretisiert werden müssen. So können nationale Behörden (umsatzbasierte) Bußgelder vorsehen oder, für den Fall, dass solche Bußgelder oder andere Sanktionen gegen Unternehmen bereits verhängt wurden, den Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge oder von Beihilfen anordnen.
Zum anderen sieht die Richtlinie eine zivilrechtliche Haftung vor, wenn eine nachteilige Auswirkung auf Umwelt oder Menschenrechte durch Nichteinhaltung der Sorgfaltspflichten im Bereich der Präventions- oder Abhilfemaßnahmen eingetreten ist und zu Schäden führt. In Bezug auf indirekte Geschäftsbeziehungen soll keine zivilrechtliche Haftung bestehen, wenn zwar der Geschäftspartner einen Schaden verursacht hat, das Unternehmen aber seine Sorgfaltspflichten erfüllt hat – es sei denn, dass die betreffenden Maßnahmen erwartbar nicht geeignet waren, die durch den Geschäftspartner herbeigeführten Schäden zu verhindern, zu mildern, zu beenden oder zu minimieren.
Eine Beweislastumkehr oder -erleichterung, die im Vorfeld oft diskutiert wurden, ist derzeit nicht vorgesehen. Geschädigte müssen jedoch auch dann eine Schadensersatzklage erheben und Entschädigung verlangen können, wenn das anwendbare Recht nicht mitgliedsstaatliches Recht ist, was nach Internationalem Privatrecht insbesondere bei deliktischen Ansprüchen der Fall sein kann. Denn Art. 4 Abs. 1 Rom II Verordnung sieht vor, dass bei unerlaubten Handlungen das Recht des Staates anzuwenden ist, in dem der Schaden eintritt.
Bekämpfung des Klimawandels
Zur Bekämpfung des Klimawandels werden großen europäischen und außereuropäischen Unternehmen weitere Verpflichtungen auferlegt, die jedoch nicht Teil der oben dargestellten Sorgfaltspflichten sind. So müssen sie einen "Klimaplan" erstellen, durch den sichergestellt wird, dass das Geschäftsmodell und die Geschäftsstrategie mit dem Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius nach dem Pariser Klimaabkommen im Einklang steht. Dabei muss das Unternehmen auch identifizieren inwiefern der Klimawandel ein Risiko für seine Geschäftstätigkeit darstellt oder sich auf diese auswirkt.
Der Entwurf sieht darüber hinaus für die Geschäftsleitung europäischer Unternehmen vor, dass sie bei der Erfüllung ihrer Pflicht, im besten Interesse des Unternehmens zu handeln, die kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf Menschenrechte, den Klimawandel und die Umwelt beachten müssen. Zudem sind sie dafür verantwortlich, dass die Sorgfaltspflichten eingehalten werden und überwachen die Verfahrensumsetzung. Dabei sind die Interessen von Stakeholdern zu berücksichtigen. Die Unternehmensstrategie ist so anzupassen, dass negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt Berücksichtigung finden.
Einordnung
Der Entwurf der Kommission kann in mehrfacher Hinsicht als Paradigmenwechsel angesehen werden. Er schafft weitreichende Sorgfaltspflichten für Unternehmen in ihren globalen Wirtschaftsbeziehungen und rückt damit die (nichtfinanziellen) Belange Dritter stärker in den Fokus unternehmerischen Handelns. "Due Diligence"-Prüfungen dürfen nicht mehr nur die Risiken für das Unternehmen selbst berücksichtigen, sondern müssen auch die Interessen einer Vielzahl (potentieller) Stakeholder in den Blick nehmen.
Darüber hinaus möchte die Kommission explizit festhalten, dass die Geschäftsleitung selbst verpflichtet ist, bei all ihren Entscheidungen stets deren Auswirkungen auf Menschenrechte, Umwelt und Klima zu berücksichtigen. Somit ist klargestellt, dass das Unternehmensinteresse über Prosperität und "shareholder value" hinausgeht. Auch die Verpflichtung von Unternehmen auf das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaübereinkommens ist ein deutliches Signal, dass wirtschaftliches Handeln dem gesamtgesellschaftlichen Interesse dienen muss.
Der Vorschlag wird nun dem Europäischen Parlament und dem Rat im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens vorgelegt. Bis zu einer Verabschiedung der Richtlinie wird es noch mehrere Monate, wenn nicht sogar Jahre, dauern. Anschließend muss die Umsetzung in nationales Recht erfolgen, für welche der Entwurf zwei Jahre bezogen auf große Unternehmen und vier Jahre für die kleineren Unternehmen vorsieht. Es ist also nicht mit einem schnellen Inkrafttreten von mitgliedsstaatlichen Regelungen zu rechnen. Zudem wird das legislative Verfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Änderungen an der Richtlinie führen.
Für Unternehmen stellt sich die Herausforderung, dass sie aktuell nationale Vorgaben, etwa aus dem deutschen LkSG, umsetzen, später dann jedoch ggf. Anpassungen an eine europäische Regelung vornehmen müssen. Den Kommissionsentwurf sollten Sie daher bereits jetzt berücksichtigen, weil dessen Vorgaben in einigen Bereichen deutlich weiter als nationale Regelungen gehen.
Fazit
In ihrer gegenwärtigen Form bringt die Richtlinie nicht die erhoffte Rechtsvereinheitlichung und Wettbewerbsgleichheit. Dies liegt nicht nur an ihrer Rechtsnatur und den erforderlichen nationalen Umsetzungsmaßnahmen. Der Entwurf enthält vielmehr auch eine Vielzahl unklarer, auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe, deren Anwendung durch nationale Behörden und Gerichte divergieren kann. Infolge von zivilrechtlichen Klagen können sogar innerhalb eines Staates unterschiedliche Auslegungen durch Gerichte gefunden werden.
Insgesamt ist daher zu hoffen, dass der Entwurf im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch verbessert und insbesondere mit Blick auf eine stärkere Harmonisierung, Rechtsklarheit und -sicherheit weiterentwickelt wird.
Dr. Thomas Voland ist Partner für Regulierungs- und Compliancethemen und Mitglied des globalen ESG Boards von Clifford Chance.
Kommission präsentiert Entwurf zur Nachhaltigkeitsrichtlinie: . In: Legal Tribune Online, 10.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47778 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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