Elon Musk hat das Interesse an Twitter verloren. Das Unternehmen besteht auf den Vollzug der Übernahme. Worüber gestritten wird und welche Argumente vor Gericht ausschlaggebend sein könnten, hat Jürgen R. Ostertag aufgeschrieben.
Einer der reichsten Männer der Welt kündigt an, einen der weltweit einflussreichsten Social-Media-Dienste zu kaufen und überlegt es sich wenige Wochen später anders. Der darauf folgende und teils öffentlich ausgetragene Disput zwischen Elon Musk und Twitter sorgt für beste Unterhaltung. Während der verbale Schlagabtausch auf Hochtouren läuft, kommt die juristische Auseinandersetzung mit Twitters Klageerhebung vor dem Delaware Court of Chancery erst allmählich in Gang. Für beide Seiten geht es um viel Geld.
Was in einer Klage mündete begann im April, als Musk dem Unternehmen Twitter für dessen Übernahme einen Preis von 54,20 Dollar pro Aktie oder insgesamt 44 Milliarden Dollar bot. Drei Monate später kündigte Musk den Übernahmevertrag unter dem Vorwurf des Vertragsbruchs durch Falschangaben und Abweichen vom bisherigen operativen Geschäftsbetrieb. Twitter konterte mit einer Klage auf Erfüllung und wirft Musk heuchlerisches Verhalten und diffamierende Äußerungen über Twitter und dessen Management vor. Es scheint, als wollten beide Parteien die öffentliche Meinung für sich gewinnen, um Vorteile bei Verhandlungen zu einer vergleichsweisen Lösung zu erreichen.
Ist Musk noch an die Übernahmevereinbarung gebunden?
Rechtlich gesehen kann Musk den Vertrag kündigen, wenn Twitter seinen Verpflichtungen aus den getroffenen Vereinbarungen nicht nachgekommen ist. Dementsprechend begründet Musk die Kündigung damit, Twitter sei der in Artikel 6.4 enthaltenen Pflicht, ihm angemessenen Zugang zu geschäftlichen Informationen einzuräumen, nicht nachgekommen und habe seine in Artikel 6.11 geregelten Verpflichtung zur Kooperation und Mitteilung in finanziellen Fragen nicht erfüllt.
Hilfsweise führt er an, dass die Kündigung von zwei wichtigen leitenden Angestellten und Anpassungen beim Anwerben von Personal eine unerlaubte Änderung der Führung der Geschäfte darstelle und dass die hohe Zahl von Scheinkunden (Spam und Fake Accounts) einen wesentlichen negativen Effekt (material adverse effect/MAE-Klausel) auf den Marktwert von Twitter zur Folge hätte.
Twitter bestreitet die Vorwürfe und trägt in der Klage vor, Musk vertragsgemäß Zugang zu Informationen gewährt und sich hinsichtlich geschäftsführender und personeller Maßnahmen mit Musk abgestimmt zu haben. Musk sei selbst vertragsbrüchig geworden und könne daher den Vertrag nicht kündigen. Twitter wirft Musk vor, mit seinen Tweets gegen Vertraulichkeitspflichten und Kooperationspflichten bei Veröffentlichungen verstoßen zu haben. Auch habe er seine Pflicht zur Sicherung der Finanzierung des Kaufs durch die "ersatzlose" Entlassung seines Beraters Bob Swan verletzt.
Twitter reichte die Klage am 12. Juli 2022 am Delaware Court of Chancery als dem gemäß Gerichtstandsklausel des Vertrags zuständigen Gerichts ein. Vor diesem sind nunmehr beide Seiten aufgerufen den jeweils eigenen Vortrag zu beweisen. Das Gericht wird letztendlich entscheiden, ob Twitter vertragsgemäß angemessenen Zugang zu Informationen gewährt hat. Diese Pflicht wird dem Wortlaut des Vertrags nach bestimmt. Eine genaue Aussage kann zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht getroffen werden, da der gesamte Sachverhalt noch nicht ergründet worden ist.
Due Diligence spielt keine maßgebliche Rolle
Außerhalb des Vertrags liegende Umstände – zum Beispiel der Aspekt, ob eine Kaufgegenstandsprüfung (Due Diligence) vor der Unterzeichnung durchgeführt wurde – spielen bei der Auslegung keine Rolle. Vielmehr ist es nicht unüblich bei der Übernahme eines börsennotierten Unternehmens eine genauere Kaufgegenstandsprüfung erst nach Unterzeichnung des Kaufvertrags und vor dem Vollzug des Kaufes durchzuführen.
Die Finanzberichte und andere wesentliche, das Unternehmen betreffende Ereignisse oder Umstände werden der Öffentlichkeit mindestens vierteljährlich mitgeteilt, sodass man anhand dieser bereits eine erste Prüfung vornehmen kann. Ein "zufriedenstellender" Abschluss der Kaufgegenstandsprüfung wird dann oft als Vollzugsbedingung vereinbart. Eine solche Vollzugsbedingung ist hier jedoch nicht vereinbart worden, so dass Musk nicht allein aufgrund seiner Unzufriedenheit über die Anzahl der Scheinkunden vom Vollzug des Vertrags Abstand nehmen kann.
Die Frage, ob Twitter korrekte Angaben zu Scheinkunden gemacht hat, wird im Rahmen des Gerichtsverfahrens entschieden werden. Angenommen die Anzahl der Scheinkunden wäre tatsächlich wesentlich höher als vom Unternehmen angegeben, muss Musk aufgrund der vertraglich vereinbarten MAE-Klausel beweisen, dass dies einen wesentlichen nachteiligen Effekt auf Twitter hatte. Ein wesentlicher nachteiliger Effekt liegt nach der vertraglichen Definition vor, wenn eine oder mehrere Auswirkungen einer Handlung oder eines Ereignisses zu einem wesentlichen nachteiligen Effekt auf die Geschäftstätigkeit, die Finanzlage oder das Betriebsergebnis von Twitter geführt hat oder führen wird.
Der Delaware Court of Chancery ist bei der Auslegung von MAE-Klauseln sehr restriktiv und hat bisher regelmäßig das Vorliegen eines solchen nachteiligen Effekts verneint, so dass der Vertrag erfüllt werden musste. Den einzigen Fall, in dem ein wesentlicher nachteiliger Effekt angenommen wurde, entschied das Gericht im Oktober 2018 im Fall Akorn Inc. gegen Fresenius Kabi AG. Fresenius Kabi konnte nachweisen, dass das Zielunternehmen Akron eine unternehmensspezifische, wesentliche Veränderung für einen dauerhaft signifikanten Zeitraum erlitten hatte. Die Hürde einen wesentlichen nachteiligen Effekt nachzuweisen ist also sehr hoch, der Nachweis des Bestehens eines solchen Effekts ist somit eher als unwahrscheinlich einzustufen.
Wann wird die vereinbarte Kündigungsgebühr fällig?
Elon Musk ist nach Art. 8.3 verpflichtet, eine Kündigungsgebühr (termination fee) in Höhe von 1 Milliarde Dollar an Twitter zu leisten, wenn er unberechtigt kündigt. Diese vertraglich vereinbarte Kündigungsgebühr muss bezahlt werden, wenn entweder alle Bedingungen für die Verpflichtungen zum Vollzug des Vertrags erfüllt sind und Musk seinerseits trotzdem den Vertrag nicht vollzieht oder die dafür erforderlichen Abschlussbedingungen aufgrund von Vertragspflichtverletzungen durch Musk nicht erfüllt werden können. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Finanzierung nicht gewährleistet werden kann. Auch Twitter kann zur Zahlung der Kündigungsgebühr verpflichtet werden, wenn das Unternehmen Vertragspflichten verletzt – beispielsweise die Aktionäre dem Übergang des Unternehmens nicht zustimmen.
Die Klage Twitters auf Erfüllung des Vertrags ist nur aufgrund der im Vertrag enthalten Bestimmung zulässig, dass die Parteien von der anderen Partei Erfüllung verlangen können (specific-performance-Klausel). Im Gegensatz zum deutschem Recht hat nach US-amerikanischem Recht eine Partei bei Vertragsbruch durch die andere Partei grundsätzlich "nur" einen Schadensersatzanspruch. Dies ist nicht der Fall, wenn die Parteien eine Erfüllungsklausel in die Vereinbarungen aufnehmen, weil ein Schadensersatz den tatsächlich eingetretenen Schaden nicht adäquat remediert. Das Gericht ordnet dann die Erfüllung an, sofern eine solche Klausel vorliegt und der Vertrag fair und gerecht (fair and equitable) gestaltet ist.
Kann das Gericht den Vollzug der Übernahme anordnen?
Sofern Musk einen wesentlichen nachteiligen Effekt aufgrund der von ihm vorgebrachten höheren Zahl der Scheinkunden nicht nachweisen kann, ist seine Kündigung aufgrund der MAE-Klausel unwirksam und der Vertrag wird durch die Klage von Twitter auf Erfüllung durchgesetzt. Für diesen Fall kann davon ausgegangen werden, dass Musk die Anordnung des Gerichts auch befolgen wird.
Das Gericht hat die mündliche Verhandlung für Oktober festgesetzt. Richterin Kathleen McCormick hielt die Argumente Twitters für überzeugend, wonach die Beteiligten in der Lage sind, ein beschleunigtes Verfahren durchzuführen. Deshalb sollen die Parteien nun einen Zeitplan für einen fünftägigen Prozess ausarbeiten. Musk geht damit als Verlierer aus der erste Runde.
Sollten die Parteien noch vor der mündlichen Verhandlung eine außergerichtliche Einigung anstreben, so ist in solchen Fällen der Übernahme eines Unternehmens eine Neuverhandlung über den Kaufpreis wahrscheinlich.
Jürgen R. Ostertag leitet die Praxisgruppe für deutschsprachige Mandanten bei Tarter Krinsky & Drogin LLP in New York. Er berät seit über 22 Jahren deutsche Unternehmen und Privatpersonen in US-Rechtsfragen. Er deutscher und amerikanischer Volljurist und sowohl in Deutschland als auch in den USA als Rechtsanwalt zugelassen.
Hintergrund und Ausblick zum bevorstehenden Prozess: . In: Legal Tribune Online, 22.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49130 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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