LTO: Und schon wieder geht es um Frauen!
Anna Engers: Nein, es geht um Personalengpässe. Die Kanzleien haben nicht nur ernsthafte Probleme, den geeigneten Anwaltsnachwuchs zu finden. Sondern sie haben auch hohen finanziellen Aufwand dadurch, dass gute Anwältinnen nach einigen Jahren die Kanzlei wieder verlassen. Die Ausbildung in den ersten Berufsjahren von Anwälten kostet schon mal einen sechsstelligen Betrag. Doch die Anwältinnen bleiben nur dann, wenn sie Familie und Beruf vereinbaren können.
Bezogen auf die Väterfreundlichkeit bedeutet das: Je mehr Väter ihrer Familie einen wichtigen Stellenwert einräumen, desto besser ist es für die Frauen. Wenn die Frauen spüren, dass dieses Thema ernst genommen wird, dann bleiben sie auch.
Junge Väter stehen unter hohem Druck
LTO: Und wie hält man die jungen Väter in der Kanzlei?
Anna Engers: Auf ihnen lastet tatsächlich sehr viel Druck. Im Beruf möchten sie der Erwartung der Kanzlei gerecht werden, insbesondere, wenn sie sich auf dem Partnertrack befinden. In ihrer Beziehung möchten sie der Erwartung ihrer Frau oder Partnerin gerecht werden, die auch Karriere machen möchte. Und als Familienvater möchten sie Zeit mit ihren Kindern verbringen.
Mit diesem vielfältigen Druck kann man dann umgehen, wenn man sich in einem offenen Umfeld befindet, das diese Bedürfnisse ernst nimmt. Es gibt zum Beispiel das sogenannte 'Parent Coaching', das Kanzleien speziell hierfür anbieten können. Wer ein guter Anwalt und glücklicher Familienvater ist, der bleibt. Davon wiederum profitiert auch die Kanzlei.
LTO: Aber wenn jetzt auch noch die Väter in Teilzeit arbeiten, dann bleibt doch alles liegen!
Anna Engers: Elternfreundlichkeit bedeutet ja nicht nur Teilzeit, sondern eine positive Haltung gegenüber Menschen. Es geht um einen respektvollen Umgang miteinander in einem guten Arbeitsklima. Natürlich geht es auch um flexible Arbeitszeiten, aber vor allem um eine vertrauensvolle und offene Kommunikation.
Kaum menschelt es, wird's schwierig
LTO: Was könnte das Management also für mehr Väterfreundlichkeit tun?
Anna Engers: Die Partner sollten mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn der Managing Partner seine Kinder mitbringt oder ein Partner in Teilzeit arbeitet, dann hat das Strahlkraft. Was man selbstverständlich lebt, braucht man nicht zu propagieren. Außerdem könnte man feste Vorgaben oder Standards formulieren. Denn momentan hängt Familienfreundlichkeit fast ausschließlich vom Gusto des verantwortlichen Partners ab. Und da hat man entweder Glück oder eben Pech.
Wie man die konkrete Arbeit aufteilt, das kann in jedem Team anders aussehen. Als Grundlage dient aber immer ein guter Umgang miteinander. Stimmen die Kommunikation und das Vertrauen, muss man über Familienfreundlichkeit gar nicht sprechen. Wer sich aufeinander verlassen kann, dass die Arbeit erledigt wird, hat kein Problem.
LTO: Warum tun sich Kanzleien immer noch so schwer mit dem Thema?
Anna Engers: Das kann ich mir auch nicht erklären. Allein die Zahlen sprechen dafür: Je weniger Fluktuation und je zufriedener die Mitarbeiter, desto finanziell erfolgreicher wirtschaftet eine Kanzlei. Und Sozietäten bieten zudem ein tolles Arbeitsumfeld. Man arbeitet den ganzen Tag in schicken Büros, mit intelligenten Menschen auf höchstem Niveau und an interessanten Themen. Warum also tun sich die Kanzleien mit dem bisschen "menscheln" so schwer?
Vielleicht gibt es die unterschwellige Befürchtung, dass dann Schwächen zum Vorschein kommen könnten. Aber das ist ja völlig in Ordnung! Denn jeder Mensch hat Bedürfnisse - nicht nur die jungen Anwälte der Generation Y oder Z. Aber sie sind es, die sie klar, deutlich und selbstbewusst formulieren. Das haben die meisten Partner einfach nie gelernt.
Anna Engers (41) ist Volljuristin und berät Kanzleien zu Diversity-Themen. Vor ihrer Beratungstätigkeit arbeitete sie unter anderem für Latham & Watkins und Salans (heute Dentons) im Bereich PR/Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation. Sie ist zudem als systemischer Business Coach tätig.
Désirée Balthasar, Väterfreundliche Kanzleien: . In: Legal Tribune Online, 26.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19205 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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