Das Coronavirus breitet sich rasant aus, vielerorts herrscht Angst vor Ansteckung. Wie reagieren die hiesigen Wirtschaftskanzleien? Mit Notfallplänen, freiwilliger Quarantäne, jeder Menge Desinfektionsmittel - und Schutzmasken für China.
Wer dieser Tage bei einer Wirtschaftskanzlei durch die Tür spaziert, stößt ziemlich sicher auf: Handdesinfektionsmittel. Das neuartige Coronavirus verbreitet sich massiv und trifft nicht zuletzt die deutschen Rechtsanwaltskanzleien. In den großen Sozietäten hält sich eine Vielzahl von Mitarbeitenden und Mandanten in den Räumen auf, die Anwälte reisen regelmäßig dienstlich – es gibt also unzählige Gelegenheiten, sich zu infizieren und die Kollegen in der Folge anzustecken.
LTO befragte einige der größten deutschen Rechtsanwaltskanzleien nach ihrem Umgang mit dem Coronavirus. Einige – insbesondere die Sozietäten, die sich hierzulande zur Marktspitze zählen - blieben zugeknöpft und wollten unsere Anfrage lieber nicht beantworten. Zur Begründung hieß es, dass zwar intern kommuniziert werde, man dies aber ungern öffentlich machen wolle.
Alle Kanzleimanager beteuern, dass sie die Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeitenden und Mandanten sehr wichtig nehmen. Zugleich ist es aber ihre Aufgabe, den Kanzleibetrieb aufrecht zu erhalten - wie gelingt dieser Spagat? "Wesentlich für uns ist, Ruhe auszustrahlen, zu informieren und Awareness zu schaffen sowie auch auf einen etwaigen Notfall vorbereitet zu sein", heißt es dazu etwa von Görg.
Rundmails und Telefonkonferenzen
In den von LTO befragten Kanzleien hält sich das Kanzleimanagement über die Geschehnisse in den einzelnen Büros auf dem Laufenden. "Es finden regelmäßige Telefonkonferenzen mit den Zuständigen an allen Standorten statt ", sagt etwa Dr. Andreas Urban, Managing Partner von Heuking Kühn Lüer Wojtek, eine Kanzlei mit acht deutschen Standorten und weiteren im Ausland.
Ähnliches berichtet Hubertus Kolster, Managing Partner von CMS: Auch bei Deutschlands größter Kanzlei – 600 Anwälte in acht Büros in Deutschland sowie Büros unter anderem in Hongkong, Peking und Schanghai - steht ein Dreierteam der Kanzleispitze im Austausch mit den einzelnen Standortleitern. Ihm sei wichtig, die Mitarbeitenden zu sensibilisieren und informieren, aber keine Panik zu verbreiten, sagt Kolster. In einer Rundmail an die Mitarbeitenden habe er ihnen unter anderem bestimmte Verhaltensmaßnahmen nahegelegt, in Anlehnung an die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und des Bundesgesundheitsministeriums. Dies wird auch in anderen Kanzleien so praktiziert.
Wenn erkältungsähnliche Symptome, Husten oder Fieber auftreten, sollen die Mitarbeitenden zuhause bleiben, einen Arzt konsultieren und ihren Arbeitgeber informieren, fügt Luthers Co-Managing Partner Dr. Markus Sengpiel hinzu. Er ist gemeinsam mit Elisabeth Lepique für 420 Berufsträger und weitere Mitarbeitende an zehn deutschen Standorten und mehreren Auslandsbüros der Sozietät verantwortlich.
Möglichst keine Dienstreisen und Veranstaltungen
Da Hygieneregeln wie Händewaschen und "in die Armbeuge niesen" allein aber nicht immer helfen, sollen die Anwälte Dienstreisen absagen, die nicht zwingend notwendig sind, heißt es etwa bei Baker McKenzie, CMS und Heuking. Heuking hat sogar die klare Vorgabe, Reisen in vom Coronavirus besonders betroffene Länder zu unterlassen. Ähnlich hält man es bei Luther: "Reisen aus und nach China wurden abgesagt", sagt Co-Managing-Partnerin Elisabeth Lepique. "Auch die Teilnahme an einer Veranstaltung in der Nähe von Mailand haben wir in der vergangenen Woche abgesagt. Wir verfolgen die Entwicklungen der Ausbreitung und behalten uns weitere Restriktionen vor."
Luther hat an den deutschen Standorten Veranstaltungen, die gemeinsam mit Kollegen aus China geplant waren, gecancelt und durch Webinare ersetzt. Auch bei Heuking wurden Seminare gestrichen, die in dieser und in der kommenden Woche stattfinden sollten. Man nehme auch nicht an Messen oder anderen Veranstaltungen teil, bei denen viele Menschen zusammenkommen, fügt Managing Partner Urban hinzu.
Bei Baker McKenzie, Görg und CMS sieht es das Kanzleimanagement nicht ganz so kategorisch. "Einzelne Veranstaltungen, die für uns nicht von essentieller Bedeutung sind, haben wir bereits abgesagt", sagt Dr. Matthias Scholz, Bakers Managing Partner für Deutschland und Österreich. Pauschale Absagen gibt es weder hier noch bei CMS und Görg: Das wäre über das Ziel hinausgeschossen, findet CMS-Managing-Partner Kolster. Es werde vielmehr nach Einzelfall entschieden. Kriterien seien etwa die Anzahl insgesamt und ob es viele internationale Teilnehmer gebe sowie in welchen Räumlichkeiten sie stattfänden.
Geschlossene Standorte bislang nur im Ausland
In Deutschland musste - soweit bekannt - bislang keine Kanzlei einen Standort wegen eines Coronafalls schließen, allerdings berichten Baker McKenzie, Luther und CMS, dass ihre Auslandbüros betroffen seien. Bei Baker arbeiten die Anwälte auf dem chinesischen Festland, Hongkong und Singapur von zu Hause aus. Ebenso ist seit ungefähr einer Woche ein Großteil des Mailänder Baker-Standorts im Home-Office. Am vergangenen Freitag habe man vorsichtshalber das Londoner Büro geschlossen und auf das Arbeiten von zu Hause umgestellt – es am Montag aber nach "Entwarnung" wieder geöffnet, sagt Managing Partner Scholz.
Das Luther-Büro in Schanghai sei für etwa zwei Wochen geschlossen gewesen, aber seit Ende Februar wieder geöffnet, berichtet Co-Managing-Partner Sengpiel. Mittlerweile arbeiteten dort fast alle Kollegen wieder. In Singapur seien in angrenzenden Gebäuden Infektionsfälle festgestellt worden, dennoch konnte der Geschäftsbetrieb an dem Standort aufrechterhalten werden.
Auch CMS hat Büros in China, und auch dort wurde wegen der Umstände vor Ort Home-Office angeordnet. Wie Kolster berichtet, möchten die chinesischen Anwälte aber nun nach 14 Tagen wieder ins Büro zurückkehren. Deshalb überlege man, sie in Einzelbüros und zu versetzten Zeiten arbeiten zu lassen, damit sie nicht ausgerechnet zur Rushhour durch den öffentlichen Verkehr müssen.
CMS hat die Standorte in Fernost auch handfest unterstützt: Weil Atemschutzmasken in China nicht mehr zu bekommen waren, habe man in Deutschland und über London 2.000 Masken für die Mitarbeitenden und ihre Familien besorgt und an die chinesischen Standorte gesendet, erzählt Kolster.
Vorbereitungen für den Notfall
Notfallpläne für den Fall der Fälle gibt es jedoch auch in Deutschland. Wird eine Standortschließung angeordnet, sollen die Anwälte einfach von daheim aus weiterarbeiten. "Da ein großer Teil der Büroarbeit unserer Berater aus dem Home Office erledigt werden kann, wäre - auch ohne negative Folgen für das Geschäft - eine vorübergehende Schließung eines Standortes möglich", heißt es etwa bei Görg.
Bei Heuking sollen die Mitarbeitenden ihre mobilen Geräte mit nach Hause nehmen, "um im Ernstfall die Arbeitsfähigkeit der Kanzlei für unsere Mandaten zu gewährleisten", sagt Andreas Urban. Auch die Luther-Mitarbeitenden sind mit Home-Office-Equipment ausgestattet, damit die Geschäfte weiterlaufen können, wenn ein Standort geschlossen werden muss.
Wer in eines der besonders betroffenen Länder gereist war und nach Deutschland zurückkehrt, soll schon jetzt in eine freiwillige Quarantäne: Bei Linklaters und Baker McKenzie bittet man Rückkehrer aus Risikogebieten darum, für einen Zeitraum von 14 Tagen von zu Hause zu arbeiten.
Belebt Corona das Geschäft?
Abgesehen von den Schutzmaßnahmen gehen die Geschäfte in den deutschen Kanzleien für viele ihren gewohnten Gang. Bislang spüre man nicht, dass Mandanten im Inland ihre Projekte aufschieben, sagen die Verantwortlichen bei Görg, CMS und Heuking. Allerdings gebe es Auswirkungen auf alle Projekte, in die China in irgendeiner Weise involviert sei, heißt es aus den Kanzleien, die ein nennenswertes Geschäft mit Fernost betreiben.
Luthers Co-Managing Partner Dr. Markus Sengpiel beobachtet Effekte in beide Richtungen: "Zum einen verzeichnen wir mehr Geschäft bei Unternehmen, bei denen es zu Verzögerungen und Lieferengpässen und damit zu Problemen in der Fortsetzung der allgemeinen Geschäftstätigkeit kommt. Bei anderen reduziert sich die Mandatierung, da Projekte nicht fortgesetzt werden können oder für das Mandat wichtige Stakeholder nicht reisen können."
Andernorts war zu hören, dass das Coronavirus durchaus für neues Geschäft sorgt. Bei Unternehmen mit unterbrochen Lieferketten seien – Stichwort Force majeure – vermehrt Streitigkeiten zu erwarten. Auch arbeitsrechtlich würden sich für die Mandanten einige Fragen stellen, etwa wenn Standortschließungen angeordnet und Mitarbeitende in Quarantäne geschickt werden.
Keine Panik
Die Kanzleien betonen gegenüber LTO, dass sie zahlreiche Vorkehrungen getroffen haben, um der Gesundheit der Mitarbeitenden, aber auch der Aufrechterhaltung des Betriebs Rechnung zu tragen. Ernsthafte Sorgen macht sich augenscheinlich niemand. "Das Ausmaß der Verbreitung ist massiv, aber wir verfallen nicht in Panik", sagt etwa Elisabeth Lepique von Luther.
Hubertus Kolster geht allerdings davon aus, dass das Coronavirus Deutschland und die Welt noch lange beschäftigen könnte - zumal mit einem Impfstoff wohl erst Ende dieses Jahres gerechnet werden könne. "Wir sollten nicht zu früh Entwarnung geben, sondern die weiteren Entwicklungen sehr aufmerksam verfolgen", sagt er.
Sein Kollege Andreas Urban fügt hinzu, dass die Kanzlei sich mit den ergriffenen Maßnahmen gut gerüstet fühle – "wohl wissend, dass man nicht garantieren kann, dass keiner von unseren Kollegen betroffen sein wird".
Kanzleien und das Coronavirus: . In: Legal Tribune Online, 03.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40593 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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