Kanzleien als Start-Ups: "Wir pro­bieren uns gern aus und machen ein­fach"

von Désirée Balthasar

20.04.2017

Die Kanzleigründungsrate unter Junganwälten tendiert gen Null, doch manche lassen sich vom Risiko nicht abschrecken. Sie wollen selbstständig arbeiten – zum Beispiel im fahrenden Anwaltsmobil oder inmitten einer Kunstgalerie.



Das geflügelte Pferd aus der griechischen Mythologie schmückt den weißlackierten UPS-Wagen. Juliette Descharmes lenkt das Steuer, Kanzleipartner Dominik Güneri sitzt neben ihr auf dem Beifahrersitz. So zeigen sich die beiden Junganwälte auf ihrer Kanzleiwebseite. Innen im Bus ein großer Bildschirm, Tastatur, Locher - ein voll ausgestatteter mobiler Schreibtisch mit Empfangstresen für Mandantengespräche.

"Bei uns steht der Gedanke der Mobilität und die direkte Beratung der Mandanten im Vordergrund", erzählt Rechtsanwältin und Kanzleigründerin Descharmes. "So entwickelten wir die Idee der mobilen Rechtsberatung. Doch was jetzt so zielstrebig klingt, war für uns ein kreativer Weg, um alte Kanzleistrukturen zu durchbrechen, denen wir uns irgendwann nicht mehr unterwerfen wollten."

2011 gründeten die beiden Junganwälte ihre Kanzlei Descharmes & Güneri Rechtsanwälte in Pforzheim. Zuvor verbrachten sie jeweils einige Monate in mittelständischen Kanzleien in Berlin und Rheinland-Pfalz. Abgeschreckt von den strengen Hierarchien und dem engen Erwartungskorsett der Partnerriege kehrten beide nach Pforzheim zurück und gründeten selbst. Doch anfangs war noch nichts zu spüren von der großen Freiheit.

Im Gegenteil: "Ich ging vom ersten Tag an mit dem Anzug ins Büro, obwohl ich kaum Mandanten hatte", erinnert sich Kanzleigründer Güneri. "Dem Bild, das ich von Anwälten im Kopf hatte, wollte ich unbedingt entsprechen, um von Mandanten und Kollegen entsprechend wahrgenommen zu werden."

Das fahrende Anwaltsmobil

Ein klares Kanzleikonzept hatten die beiden Anwälte bei der Gründung noch nicht. Descharmes absolvierte einen Fachanwaltskurs im Strafrecht - überflüssig, findet sie heute. Auch Güneri arbeitete Strafrechtsfälle ab, bis die Unzufriedenheit zu groß wurde. Er sagt: "Unter anderem durch die Strafrechtsfälle meiner Kollegin kam für uns ein Gefühl der Fremdbestimmung auf. Denn wenn wir Mandantenwünsche umsetzten, hinter denen wir nicht selbst standen, hat das zu inneren Konflikten geführt. Außerdem haben mich manche Streitigkeiten persönlich belastet."

Die beiden gingen in eine innere Klausur, analysierten den Ist-Zustand und überlegten, wie sie ihre Jurakenntnisse mit persönlichen Stärken verbinden konnten. "Ich hatte schon immer einen großen Freiheitsdrang und fuhr gern mit meiner Familie in einem VW-Bus zum Surfen", erzählt Descharmes. "Als ich einmal auf einem Campingplatz stand, dachte ich mir, dass ich ja eigentlich auch direkt dort Rechtsberatung anbieten und Geld verdienen könnte." Die Idee des fahrenden Kanzleimobils war geboren. Als sie einen Vortrag über Crowdfunding hörte, wusste sie, wie sie die Idee umsetzen konnte. Das Thema Patientenverfügungen und -vollmachten, welches heute ihren Schwerpunkt ausmacht, kam über einen Zufall zu ihr. Plötzlich passte alles: Eine Beratung, die auf dem persönlichen, vertrauensvollen Austausch mit Mandanten basiert, flexibel und mobil gestaltet durch einen aufgerüsteten UPS-Wagen.

Auch Güneri fand zurück zu seinen Leidenschaften: Kino und Film sowie Architektur hatten ihn in früheren Jahren begeistert. Und so spezialisierte er sich auf Urheberrecht und gewerblichen Rechtsschutz sowie IT-Recht. "Eine gute Idee allein kann vielleicht ausreichen", sagt Kollegin Descharmes. "Unsere Crowdfunding-Kampagne hat dem Projekt jedoch einen zielgerichteten Rahmen gegeben und wir waren gezwungen, alles zu durchdenken und unsere Familien und Freunde voll mit einzubinden. Das hat uns bei der Umsetzung sehr geholfen und motiviert."

Und noch etwas macht die Arbeit der Anwälte aus: Sie setzen auf Zusammenarbeit anstatt auf Einzelkämpfertum. "'Willkommen im Haifischbecken!', hieß es damals, als Juliette Descharmes mit Strafrecht in Pforzheim anfing", erinnert sich Güneri. "Doch das wollten wir nicht. Wir suchen über unsere Pegasus-Plattform Kollegen, die zu unserem Konzept und vor allem auch menschlich zu uns passen. Niemand nimmt hier jemandem etwas weg, wir ergänzen uns und bringen Schwung in den Anwaltsbereich."

Zitiervorschlag

Désirée Balthasar, Kanzleien als Start-Ups: . In: Legal Tribune Online, 20.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22681 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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