Work-Life-Balance in der Großkanzlei: Fle­xi­bi­li­tät ist Trumpf

von Henning Zander

18.05.2015

In Großkanzleien setzt ein zaghaftes Umdenken ein. Nur für Beruf und die Kanzlei zu leben, finden viele Berufsanfänger nicht mehr sehr attraktiv. Um Talente an sich zu binden, kommen die Kanzleien den Bewerbern entgegen. Aber das hat Grenzen.

Das Bild der Generation Y sei vielleicht schon ein wenig abgedroschen. Dennoch stimme es, dass sich die Prioritäten der jungen Kollegen verändert haben, sagt Dr. Thorsten Reinhard, Human Resources (HR) Partner bei Noerr. Der Partnertrack als Motivationsfaktor allein reicht nicht mehr. Zusätzlich zum Geld müssten andere Komponenten hinzutreten. Bewerbern sei die Balance zwischen Beruf und Privatem wichtiger als früher, beobachtet er.

"Noch vor zehn Jahren war es in Kanzleien für männliche Associates unüblich, Elternzeit zu nehmen", sagt Reinhard. "Es hätte einen ausgebremst, es wäre darüber gewitzelt oder die Entscheidung hinter dem Rücken des Betroffenen kritisiert worden." Heute sei es auch für einen  männlichen Rechtsanwalt völlig selbstverständlich, sich zwei Monate, in Einzelfällen auch mehr, Zeit für die Betreuung seines Kindes zu nehmen. Ohne dafür stigmatisiert zu werden.

"Wenn das beim M&A funktioniert, dann funktioniert das überall."

Teilzeit ist bei Noerr auf allen Karrierestufen möglich: Vom Associate bis zum Partner. Und auch in allen Abteilungen und Rechtsgebieten.  Reinhard ist im M&A-Geschäft tätig, eine Arbeit, die stark projektbezogen ist und sich nur schwer beliebig aufteilen lässt. Doch auch in seinem Team arbeitet eine Kollegin in Teilzeit: Von Montag bis Donnerstag. Freitag ist ihr freier Tag. "Das funktioniert sehr gut", berichtet Reinhard. "Das hat natürlich auch damit zu tun, ob man etabliert ist, ob man Mandanten hat, die das akzeptieren." Und man müsse auch lernen, Aufgaben zu delegieren. "Ich denke, wenn das beim M&A funktioniert, dann funktioniert das überall."

Die Erfahrung zeige, dass die Kollegen in Teilzeit besonders  effizient sind. "Am Ende ihres Arbeitstages versuchen die Kollegen, einen leeren Schreibtisch zu haben; andere würden dann vielleicht sagen, sie bleiben eben noch etwas länger und erledigen die Dinge dann."

Ob es in Teilzeit schwieriger ist, Karriere zu machen? Bei Noerr ist nach zwei Jahren die Beförderung vom Associate zum Senior Associate vorgesehen, nach weiteren drei Jahren steht der Schritt zum Associated Partner an, drei Jahre später die Wahl zum Partner. "Das sind aber alles keine Zeitfenster, die in Stein gemeißelt sind", sagt Reinhard. Manche seien früher dran, andere bräuchten länger. "Aber ob der Unterschied zwischen einer 80-Prozent-Stelle oder einer 100-Prozent-Stelle so gravierend ist, bezweifle ich", sagt  Reinhard. "Unsere Leiterin der Praxisgruppe Medien, IP & IT etwa ist in Teilzeit Partnerin geworden. Es ist also kein Karrierestopp."

Etwas im Job bewegen, aber nicht um jeden Preis

Auch Dr. Ulrich Worm, Recruitment Partner bei Mayer Brown in Frankfurt, beobachtet, dass die Work-Life-Balance an Bedeutung gewonnen hat. "Gerade auch bei männlichen Bewerbern stellen wir zunehmend fest, dass sie nicht nur auf die Karriere fixiert sind, sondern darauf achten, wie viel Freiraum ihnen die Kanzlei neben dem Beruf lässt." Wer sich heute für eine internationale Kanzlei entscheide, wolle natürlich im Beruf etwas bewegen, aber nicht um jeden Preis - Familie und Freizeit spielen ebenfalls eine große Rolle.

Bei Mayer Brown können Associates bis zu 50 Tage Jahresurlaub zu nehmen. Die Associates können wählen, ob sie bei vollem Gehalt 28 Tage Urlaubsanspruch haben oder ihre Bezüge reduzieren, um 40 oder 50 Tage frei zu haben. Gedacht habe die Kanzlei dabei nicht an die einmalige Weltreise, sondern an die Anwältinnen und Anwälte, die dauerhaft neben dem Beruf ausreichend Zeit für Hobbies und Familie haben möchten. "Unser Ziel ist, dass wir unsere Mitarbeiter langfristig an die Kanzlei binden. Das setzt voraus, dass wir ihnen beim Ausgleich zwischen Beruf und Familie oder Freizeit entgegenkommen", sagt Worm.

Flexibilität sei hier das Schlüsselwort. "Wir als Kanzlei sind grundsätzlich flexibel und haben bei uns einige Anwälte, die Teilzeit arbeiten, aber die Anforderungen unserer Mandanten sind es nicht in jedem Fall", sagt Worm. Teilzeit klappe daher immer dann gut, wenn sich die Mitarbeiter wo nötig flexibel auf Mandatserfordernisse einstellen, also notfalls auch einmal ihre Arbeitszeiten verschieben, wenn es in einem Mandat drängt.

"Wer sich bei uns bewirbt, weiß, dass er für eine Großkanzlei arbeiten wird."

Nicht alles lässt sich nach Ansicht von Worm in Teilzeit erledigen. "Ich denke, hier muss man ehrlich bleiben: Als Teilzeitmitarbeiter Equity Partner zu werden, halte ich persönlich für schwer erreichbar." Das heiße aber nicht, dass es nicht interessante Karrieremodelle für Kandidaten gebe, die nicht Vollzeit im Büro sein können oder wollen. Beispielsweise als Counsel, der eine hohe Verantwortung im Mandat übernimmt, aber nicht die zusätzlichen Aufgaben eines Equity Partners stemmen muss.

Dr. Alexander Schwarz, personalverantwortlicher Partner bei Gleiss Lutz, sieht das Thema Work-Life-Balance schon seit einigen Jahren auf gleichbleibendem Niveau. Allerdings schränkt er ein: "Wer sich bei uns bewirbt, weiß, dass er für eine Großkanzlei arbeiten wird, dass es sich dabei um eine anspruchsvolle Tätigkeit handelt, bei der man in der Regel nicht um 17 Uhr nach Hause gehen kann."

In den meisten Teams bei Gleiss Lutz gibt es einen Kollegen, der Teilzeit arbeitet. Die Kanzlei versucht dabei, ganz individuell auf die Situation einzugehen. Es gibt Modelle von 50, 60 oder 80 prozentigen Stellen. Manche Rechtsanwälte teilen sich die Zeit so ein, dass sie an bestimmten Tagen ganz da sind, an anderen dafür früher nach Hause gehen. Andere versuchen, die Zeit auf alle Tage zu verteilen.

"Die Partner müssen diese Firmenkultur auch vorleben."

"Work-Life-Balance heißt für uns, dass es keine Anwesenheitspflicht gibt, keine Mindest-Billable-Hours, dass Urlaub nicht nur auf dem Papier besteht, sondern auch genommen wird", sagt Schwarz. "Wir bieten auch vollbezahlte Mini-Sabbaticals an. Alle drei Jahre können sich unsere Mitarbeiter vier Wochen Auszeit nehmen. Etwa für ein Projekt, eine lange Reise oder ähnliches."

Was man den Mitarbeitern nicht vermitteln könne, sei unsinnige Mehrarbeit: Wenn beispielsweise ein Partner erst spät am Tag dazu kommt, ein Schriftstück zu lesen und der Associate nur deshalb besonders lange bleiben muss. "Die Partner müssen diese Firmenkultur auch vorleben", findet Schwarz. Für ihn ist allerdings auch klar, dass Mitarbeiter in Teilzeit proportional länger für die Karriereschritte in der Kanzlei brauchen, als diejenigen, die in Vollzeit arbeiten. "Etwas anderes wäre für unsere Vollzeitkräfte auch nicht nachvollziehbar."

Zitiervorschlag

Henning Zander, Work-Life-Balance in der Großkanzlei: . In: Legal Tribune Online, 18.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15552 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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