Ein von der EU-Kommission erarbeiteter Vorschlag für einen CO2-Grenzausgleich bringt steigende Kosten für produzierende Unternehmen und stößt auf Kritik. Worüber diskutiert wird, wissen Holger Hofmann und Carsten Bormann.
Im März 2022 billigte der Rat der Europäischen Union den Vorschlag der EU-Kommission für einen CO2-Grenzausgleich, den sogenannten Carbon Border Adjustment Mechanism ("CBAM") - wenn auch mit wesentlichen Vorbehalten. Der CBAM ist ein zentraler Baustein der europäischen Anstrengungen, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Er soll einen wichtigen Beitrag zur Senkung von CO2-Emissionen des Grundstoffsektors liefern.
Gleichzeitig handelt es sich um ein handelspolitisches Instrument, gegen dessen Zulässigkeit wirtschaftsvölkerrechtliche Bedenken bestehen und das den europäischen Außenhandel in erheblicher Weise belasten dürfte. Insbesondere Unternehmen, die für ihre Produktion auf Stahl, Zement, Kunststoff, Ammoniak und Aluminium angewiesen sind, müssen sich auf steigende Kosten einstellen.
CO2-Zertifikate sind ein zentrales Element des Green Deal
Mit ihrem im Dezember 2019 verabschiedeten "Green Deal" hat die Europäische Union eine eigene umfassende klimapolitische Agenda verabschiedet, die als zentrales Ziel bis 2050 Klimaneutralität vorsieht. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen CO2-Emissionen erheblich reduziert werden. Treiber dieser Reduktion ist insbesondere die Bepreisung von CO2-Emissionen.
Im Rahmen des hierfür geschaffenen Emissionshandelssystems sollen die Treibhausgasemissionen der beteiligten Anlagen reduziert werden. Dazu wird eine Gesamtmenge an zulässigen CO2-Emissionen bestimmt und den Anlagenbetreibern Emissionsberechtigungen, sogenannte Zertifikate, erteilt. Anlagenbetreiber sind verpflichtet, ihre Zertifikate in dem Umfang abzugeben, in dem sie CO2 mit ihren Anlagen emittieren. Nicht genutzte Zertifikate können von den Anlagenbetreibern über das Emissionshandelssystem verkauft werden.
Kostenlose Zertifikate für Anlagenbetreiber sollen ab 2026 auslaufen
Die Bepreisung von CO2-Emissionen birgt die Gefahr, dass unionsansässige Unternehmen ihre emissionsintensive Produktion an Standorte in Drittstaaten ohne vergleichbare Maßnahmen zur Reduktion von CO2-Emissionen verlagern ("Carbon Leakage"). Der CO2-Ausstoß wird folglich nicht verringert, sondern lediglich räumlich verlagert. Diese Verlagerungseffekte hat die EU bislang durch die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten an besonders emissionsintensive Anlagenbetreiber weitestgehend abgemildert.
Die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten hat den Nachteil, dass die Emissionseinsparungen, die zur Einhaltung der zulässigen CO2-Gesamtmenge erforderlich sind, durch die nicht geförderten weniger emissionsintensiven Anlagen erreicht werden müssen. Es besteht allerdings weitestgehend Einigkeit darüber, dass mittel- und langfristige CO2-Einsparungen nur unter Beteiligung der emissionsintensiven Anlagen erreicht werden können. Die bisherige Praxis der kostenlosen Zuteilung von Zertifikaten soll daher ab 2026 schrittweise auslaufen.
Produktionsverlagerung in Drittstaaten soll durch CBAM verhindert werden
Das Ende der kostenlosen Zuteilung von Zertifikaten führt in Kombination mit den erheblich gestiegenen Handelspreisen an der Energiebörse zu einem massiven Anstieg der Produktionskosten in der emissionsintensiven Industrie. Um die hieraus resultierenden Verlagerungseffekte zu verhindern, sollen künftig anstelle der kostenlosen Zuteilung von Zertifikaten Importe bestimmter Güter aus CO2-intensiver Produktion durch den CBAM am EU-Emissionshandelssystem beteiligt werden. Aus Drittländern importierte Waren mit besonders hohem CO2-Verlagerungsrisiko (Aluminium, Eisen und Stahl, Zement und Düngemittel) werden durch den CBAM im Hinblick auf die CO2-Bepreisung so gestellt, als wenn sie in der EU produziert worden wären.
Importeure entsprechender Waren (virtuelle) müssen hierfür CBAM-Zertifikate erwerben, die sich am wöchentlichen Durchschnittspreis der Zertifikate im Emissionshandelssystem orientieren. Die erworbenen CBAM-Zertifikate sind dann bei Import von unter den CBAM fallenden Waren abzugeben. Ziel ist es, die Wettbewerbsbedingungen für europäische und ausländische Produzenten CO2-intensiver Grundstoffe anzugleichen und eine Produktionsverlagerung in Drittstaaten zu verhindern.
Zweifel an der WTO-Rechtskonformität
Aus rechtlicher Sicht ist eine der zentralen Fragen im Zusammenhang mit der geplanten Einführung des CBAM, ob die Beschränkung von Importen aus Drittstaaten mit den welthandelsrechtlichen Grundsätzen der Meistbegünstigung und der Inländergleichbehandlung vereinbar ist. So wird von Kritikern des CBAM vorgebracht, dass ein Importprodukt nicht mit höheren Kosten belastet werden darf als ein gleichartiges in der EU produziertes Produkt. Zudem dürften gleichartige Produkte aus WTO-Staaten vor diesem Hintergrund nicht unterschiedlich behandelt werden, sei es mit oder ohne CO2-Bepreisung durch die EU.
Es wird sich zeigen, ob und wie die EU-Kommission diese durchaus erheblichen Einwände im Zuge des weiteren Rechtssetzungsverfahrens aufgreifen wird.
Kritik aus der Industrie: Wirtschaftlichkeit leidet
Der CBAM wird insbesondere in der emissionsintensiven Industrie überwiegend kritisch gesehen. Einer der Hauptkritikpunkte ist die fehlende Entlastung für Exporte bei gleichzeitigem Auslaufen der kostenlosen Zuteilung von Zertifikaten. Dadurch werde nach Auffassung der Industrie die Carbon Leakage-Problematik nur unzureichend aufgegriffen.
Einerseits würden unionsansässige Hersteller emissionsintensiver Grundstoffe zwar vor Importen aus Ländern mit weniger hohen CO2-Preisen geschützt, da diese durch den CBAM mit den in der EU produzierten Produkten gleichgestellt werden. Auf der anderen Seite wäre der Export emissionsintensiver Grundstoffe aus der Union kaum noch wirtschaftlich, da die Herstellungskosten im internationalen Vergleich ohne kostenlose Zuteilung von Zertifikaten nicht mehr wettbewerbsfähig wären. Damit bliebe die Gefahr einer Produktionsverlagerung in das Ausland bestehen.
Aus wirtschaftspolitischer Sicht wird befürchtet, dass die Einführung eines CBAM von anderen Staaten ohne vergleichbare CO2-Bepreisung als Handelsprotektionismus angesehen werden könnte und entsprechende Gegenmaßnahmen drohen.
Schließlich wird vorgebracht, dass noch völlig unklar sei, wie die Berechnung des CO2-Grenzausgleichs erfolgen könnte und wie mit Produktionsketten umzugehen ist, bei denen Vorprodukte in mehreren Ländern hergestellt werden.
Fazit und Ausblick
Die drastische Reduktion des CO2-Austoßes energieintensiver Industrien ist ein zentraler Baustein zur Erreichung der europäischen Klimaschutzziele. Die Bepreisung von CO2-Emissionen wird deshalb auch künftig ein zentrales Steuerungselement sein, um die notwendigen Umwandlungen zeitnah voranzutreiben. Um die in diesem Zusammenhang drohenden Verlagerungstendenzen von der EU in weniger Klimaschutz ambitionierte Drittstaaten abzuwenden, wird es einen effektiven Mechanismus geben müssen.
Es bleibt allerdings abzuwarten, ob und in welcher Form der CBAM dies künftig leisten wird. Wenngleich das Rechtssetzungsverfahren mit der im März 2022 erzielten Einigung im Rat einen bedeutsamen Schritt gemacht hat, bleiben zentrale Vorbehalte bestehen. Insbesondere die Forderung nach Entlastungen für Exporte energieintensiver Grundstoffe könnte zum Nadelöhr für weitere Verhandlungen werden.
In jedem Fall sollten sich Unternehmen, die für ihre Produktion auf Stahl, Zement, Kunststoff, Ammoniak und Aluminium angewiesen sind, bereits jetzt auf künftige Beschränkungen des freien Warenhandels einstellen.
Holger Hofmann ist Partner bei Oppenhoff und berät in den Bereichen Öffentliches Wirtschaftsrecht, Außenhandel und Vergaberecht.
Dr. Carsten Bormann berät bei Oppenhoff in den Bereichen Öffentliches Wirtschaftsrecht und Außenhandel.
Höhere Rohstoffkosten für Unternehmen: . In: Legal Tribune Online, 06.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49520 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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