Europäische Richtlinie für einheitliche Regelungen: Pssst, Geheim­nisse sind zu schützen

von Marcus Nothhelfer

19.10.2018

Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen findet sich in diversen Gesetzen. Ein ganz neues Regelwerk soll das ändern. Nun sollten sich aber auch die Unternehmen darauf vorbereiteten, dass sie künftig ihre Geheimnisse tatsächlich wie solche behandeln müssen, erklärt Marcus Nothhelfer.

Die Idee ist gut: Im April 2016 hat das europäische Parlament die Richtlinie 2016/943 über den Schutz von Geschäftsgeheimnissen verabschiedet. Ihr Zweck ist ein wirkungsvoller und europaweit einheitlicher Schutz vor Geheimnisverrat und Wirtschaftsspionage. Hierdurch sollen Anreize für grenzüberschreitende Kooperationen geschaffen und Europa als Wirtschafts- und Innovationsstandort gestärkt werden. In Anbetracht einer europaweit bislang höchst uneinheitlichen Schutzlage – von nahezu "nicht existent" in Frankreich bis zu einem durchaus hohen Schutzniveau in Italien – tut eine Harmonisierung dringend Not.

Die Zeit ist aber knapp. Die Geschäftsgeheimnis-Richtlinie der EU (2016/943) hätte zwar bereits zum 9. Juni 2018 von allen Europäischen Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden sollen. Deutschland ist allerdings spät dran und das Gesetzgebungsverfahren läuft noch. Seit dem 18. Juli 2018 existiert ein von der Bundesregierung beschlossener Gesetzesentwurf. Damit ist ein komplett neues "Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen" (GeschGehG) vorgesehen, das erhebliche Änderungen mit sich bringt. Wege und Hürden der Rechtsverfolgung werden im Detail festgelegt.

Ein Gesetz für alle Geheimnisse

Noch ist der "Geheimnisschutz" selbst im deutschen Recht uneinheitlich und vor allem unübersichtlich geregelt. Einschlägige Bestimmungen finden sich u.a. in den Strafvorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (§§ 17 bis 19 UWG) sowie im allgemeinen Deliktsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Nicht existent sind bisher spezifische zivilrechtliche Anspruchsnormen zur Durchsetzung etwa eines Unterlassungsanspruchs gegen einen Wettbewerber oder abtrünnigen Mitarbeiter, der sich vertrauliche Betriebsgeheimnisse unlauter verschafft hat. Damit unterscheidet sich der bestehende Schutzrahmen für das Wirtschaftsgut "Geschäftsgeheimnis" deutlich von dem Schutzrahmen, der für die klassischen geistigen und gewerblichen Schutzrechte wie Patent oder Urheberrecht zur Verfügung steht. Mit der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 soll eine Annäherung des Wirtschaftsgutes "Geschäftsgeheimnis" an diese klassischen Vollrechte des geistigen Eigentums erfolgen.

Mit dem GeschGehG werden die Neuregelungen in einem eigenständigen neuen Stammgesetz gebündelt, anstatt lediglich Anpassungen bestehender Vorschriften vorzunehmen. Das neue Gesetz eröffnet Unternehmen bei einer unerlaubten Erlangung, Nutzung oder Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen zivilrechtliche Ansprüche wie Unterlassung und Schadensersatz. Zudem werden umfassende Auskunftsansprüche festgeschrieben.

Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor einer Offenlegung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens wird deutlich verbessert werden. So wird das Gericht die Öffentlichkeit und den Kreis derjenigen, die Zugang zu den vollständigen Gerichtsakten und Schriftsätzen der Parteien erhalten, deutlich beschränken können. Außerdem sieht der Gesetzesentwurf Regelungen zum Schutz von Whistleblowern und Journalisten vor, indem es für bestimmte Sachverhalte den Erwerb, die Nutzung oder die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen ausdrücklich erlaubt.

"Geschäftsgeheimnis" erstmals gesetzlich definiert

Eine der wesentlichsten Neuerungen ist, dass der zentrale Begriff des Geschäftsgeheimnisses erstmals gesetzlich definiert wird. Ausdrücklich werden künftig nur noch solche Informationen geschützt, die durch "angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen" gesichert sind. Dieses Kriterium wird von zentraler Relevanz für die gerichtliche Praxis werden, da es auslegungsbedürftig und auch stark einzelfallabhängig konzipiert ist. Das Vorliegen des objektiven Kriteriums der "angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen" wird der Geschädigte im gerichtlichen Streitfall künftig auch "beweisen" müssen.

Welche Vorkehrungen dabei letztlich für "angemessen" erachtet werden, wird die künftige Rechtsprechung zeigen müssen. Die Gesetzesbegründung nennt beispielhaft eine Reihe von Aspekten, die für die Wertung der Angemessenheit berücksichtigt werden können, nämlich u.a. den Wert des Geheimnisses und dessen Entwicklungskosten, die Natur der Information, ihre Bedeutung für das Unternehmen und auch die Größe des Unternehmens. Relevant soll auch die Vergleichsbetrachtung sein, welche Geheimhaltungsmaßnahmen in einem Unternehmen sonst üblich sind.

Wesentlich differenzierter als bisher werden auch zulässige und unzulässige Formen der Aneignung ("Erlangung"), Nutzung und Weitergabe ("Offenlegung") von Geschäftsgeheimnissen beschrieben. Dies betrifft insbesondere das bisher umstrittene sog. "Reverse Engineering", bei dem aus dem fertigen Produkt die Herstellung analysiert wird. Dieses Vorgehen wird in dem neuen Gesetz ausdrücklich als Variante des rechtmäßigen Erwerbs von Geheimnissen normiert.

Freilich wollte die Richtlinie bestehende Grenzlinien des "Rückbaus" oder etwa des "Dekompilierens" (im Softwarebereich), die sich aus klassischen gewerblichen Schutz- oder Urheberrechten ergeben, nicht gänzlich einreißen. Gleiches gilt für den Vorrang einer Vertraulichkeitspflicht, die projektbezogen vereinbart wird und etwa jeden Rückbau eines Prototypens o.ä. untersagt. Solche Pflichten aus üblichen "Non-Disclosure"-Vereinbarungen werden verbindlich bleiben (vgl. § 3 (1) Nr. 2.b) des Entwurfs).

Rechtsanwalt darf bleiben

Zum vorliegenden Entwurf der Bundesregierung hat der Bundesrat im September bereits Änderungen vorgeschlagen. Diese betreffen etwa Präzisierungen zum Vorrang bestimmter öffentlich-rechtlicher Vorschriften und Regelungen des gewerblichen Schutz- und Urheberrechts. Zudem moniert der Bundesrat ein interessantes Detail zur Beschränkung der Öffentlichkeit im Zivilprozess: Der Gesetzestext solle deutlicher machen, dass ein Richter zukünftig nicht nur quantitativ den Kreis derer beschränken kann, die vollen Zugriff auf die Details des Verfahrens erhalten, sondern auch qualitativ bestimmte Personen auswählen darf. So wird es nach der EU-Vorgabe etwa zulässig sein, dass nur ein Geschäftsführer des angegriffenen Wettbewerbers und dessen Rechtsanwalt Zugang zu Details des Verfahrens erhalten, während alle anderen ausgeschlossen werden.

Der Gesetzentwurf bietet noch mehr Gründe für nachvollziehbare Kritik: Der Entwurf macht beispielsweise nicht deutlich genug, so ein Kritikpunkt, dass die zahlreichen neuen Verfahrensoptionen auch im einstweiligen Rechtsschutz nutzbar gemacht werden können. Denn der einstweilige Rechtsschutz ist für eine effiziente Durchsetzung des Geheimnisschutzes natürlich essentiell.

Es wird damit gerechnet, dass die finale Fassung des GeschGehG bis Ende 2018 in Kraft treten wird.

Marcus Nothhelfer ist seit 2015 Partner bei ARQIS Rechtsanwälte in München, verantwortlich für den Bereich IP/IT/Commercial. Er ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und berät seit 1999 u.a. in allen Bereichen des Gewerblichen Rechtsschutzes, insbesondere im Marken-, Design- und Wettbewerbsrecht.

Zitiervorschlag

Europäische Richtlinie für einheitliche Regelungen: . In: Legal Tribune Online, 19.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31597 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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