Flexible Arbeitsstrukturen: Fünf Mythen der Teil­zeit­part­ner­schaft

von Désirée Balthasar

23.03.2017

Das kann einfach nicht funktionieren: Partnerschaft und Teilzeit-Arbeit scheint in den meisten Kanzleien unvorstellbar. Lina Böcker, Partnerin bei JBB Rechtsanwälte, beweist das Gegenteil.

Große Veränderungen manifestieren sich oft zunächst an Einzelfällen. Beispielsweise an Dr. Lina Böcker. Es geht um Mut zur Veränderung. Es geht darum, Unbekanntes auszuprobieren und flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Und es geht um die Bereitschaft, auf die Bedürfnisse der Kollegen einzugehen und das Miteinander größer zu schreiben als das Gegeneinander.

Was klingt wie aus dem Management-Lehrbuch, war für die IT-Rechtlerin Lina Böcker der Weg in die berufliche Traumposition. Für die Kanzlei, bei der sie arbeitet, bedeutete es eine Transformation zu modernen Arbeitsstrukturen, wie sie in anderen Wirtschaftsbranchen längst Usus sind, in der Kanzleiwelt aber noch äußerst selten. Herausgekommen ist eine Lösung, die alle Seiten zufrieden stellt und die nicht nur Böcker betrifft, sondern auch für ihre Kollegen und Mitarbeiter positive Auswirkungen hat.

Mythos 1: Hat eine Frau erst einmal ein Kind bekommen, möchte sie keine Verantwortung im Beruf mehr übernehmen.

Im Jahr 2004 landete ein Fall auf dem Schreibtisch der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Lina Böcker, der ihre berufliche Richtung bestimmen sollte. Es ging um den rechtlichen Umgang mit Open-Source-Software, damals noch Neuland für Juristen. "Ich stolperte zufällig über das Thema, las mich ein und fing sehr schnell Feuer", erzählt Böcker rückblickend. "Also promovierte ich – zunächst gegen den Willen meines Doktorvaters - über den Rechtschutz für Computerprogramme. Ich hatte von Beginn an großen Spaß an dem Thema." 2011 erhielt die Anwältin ihre Zulassung.

Nach einem Schlenker in eine Kanzlei für Gesellschaftsrecht kehrte sie zum IT-Recht zurück und wechselte 2013 wechselte zu JBB Rechtsanwälte in Berlin. Eine mittelständische Kanzlei, spezialisiert auf Marken- und Wettbewerbsrecht, Urheber- und Medienrecht sowie IT- und Datenschutzrecht.

"Die Kanzlei JBB hat mir von Anfang an sehr gut gefallen. Das Arbeitsklima, die Arbeitsinhalte, die offene Atmosphäre - wir haben sofort zusammengepasst", sagt die IT-Rechtlerin heute. "Daher war mir schnell klar: Hier möchte ich Partnerin werden." Dieses Ziel änderte sich auch nicht, als Böcker ein Jahr später schwanger wurde. "Ich wollte meinen beruflichen Weg weiterverfolgen, und die JBB-Partner unterstützten mich in dem Wunsch", erzählt Böcker. "Dran änderte sich auch nichts, als noch in der Schwangerschaft klar wurde, ich würde mein Kind allein großziehen."

Für Böcker stand fest, dass sie die erste Zeit mit dem Kind in Teilzeit arbeiten würde. Das hielt aber weder sie noch ihre Kollegen davon ab, vom Partnertrack abzuweichen. Im Januar dieses Jahres war es soweit: Lina Böcker wurde als erste Frau in die JBB-Partnerschaft aufgenommen. In Teilzeit. Ihre Tochter ist zu diesem Zeitpunkt nicht ganz zwei Jahre alt.

Mythos 2: Eine Partnerschaft in Teilzeit kann schon allein wegen der Vergütung nicht funktionieren.

Die Teilzeitpartnerschaft wurde bei JBB nicht nur wegen Böcker eingeführt. Nichtsdestotrotz war sie der Auslöser dafür, die Strukturen zu überdenken. Denn bereits seit 2014 arbeitete Böckers Kollege Dr. Till Jaeger mit einem reduzierten Kontingent. Als sie nun ebenfalls weniger Stunden arbeiten wollte, gingen die Partner ans Eingemachte: Die Vergütungsstruktur wurde neu organisiert.

"Bei uns gibt es seit meinem Einstieg ein neues Gewinnverteilungssystem, das alle drei Aspekte berücksichtigt, die bei der Gewinnverteilung in einer Partnerschaft relevant sind: investierte Zeit, wirtschaftlicher Erfolg und Senioriät. Unterschiede zwischen den Partnern werden also da abgebildet, wo sie vorhanden sind. Meine Besonderheit liegt in der Arbeitszeit und wird auch nur dort berücksichtigt", erklärt Böcker.

Die Voraussetzung für eine derartige Struktur ist Vertrauen und eine ausgeprägte Kollegialität. Denn die Arbeitszeit lässt sich nicht kontrollieren, wenn ein Anwalt teilweise im Home-Office arbeitet. Böcker: "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Notwendigkeit, weniger zu arbeiten, tatsächlich ein großer Anreiz ist, mehr zu schaffen."

Mythos 3: Anwälte müssen für ihre Mandanten ständig erreichbar sein. Das geht in Teilzeit nicht!

"Dienstleistungsmentalität bedeutet ja heutzutage nicht mehr, jeden Tag 16 Stunden im Büro zu sitzen, selbst wenn dies gerade in größeren Kanzleien noch üblich ist", sagt Böcker. Für die IT-Rechtlerin ist das ein nicht mehr zeitgemäßer Zustand.

Denn Smartphone, Email und moderne Arbeitssoftware ermöglichen ihr als Anwältin, ihre Mandatsarbeit auch außerhalb des Büros zu erledigen. Für die alleinerziehende Mutter enorm wichtig, denn sie ist auf die Kita-Öffnungszeiten angewiesen. "Man selbst ist mobil und damit auch die Dienstleistungserbringung", beschreibt Böcker ihr Arbeitsverständnis. "Moderne Kommunikationsmittel ermöglichen 'Teilzeitarbeit' als Anwältin erst."

Mandanten würden stets verständnisvoll reagieren. "Ich mag einige Stunden am Tag nicht erreichbar sein, was ich Mandanten übrigens ebenso wie den Grund dafür in aller Regel offen kommuniziere. Dennoch bin ich da für sie da, wenn sie mich brauchen."

Zitiervorschlag

Désirée Balthasar, Flexible Arbeitsstrukturen: . In: Legal Tribune Online, 23.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22455 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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