Organverantwortung in Krisenzeiten: Divi­dende trotz Corona?

Gastbeitrag von Dr. Stefan Suchan und Dr. Ulrich Thölke

22.04.2020

Angesichts staatlicher Hilfen für Unternehmen in der Coronakrise stellt sich die Frage, ob Dividendenzahlungen derzeit noch gerechtfertigt sind. Wie die Organe einer AG reagieren können, erläutern Stefan Suchan und Ulrich Thölke.

Die Covid-19-Pandemie führt zu Umsatzeinbußen in vielen Unternehmen und erschwert die wirtschaftliche Planung für das laufende Jahr und darüber hinaus. Neben den gesundheitlichen Fragestellungen müssen sich die Organe einer Aktiengesellschaft auch mit den wirtschaftlichen und rechtlichen Folgen der Infektionskrankheit auseinandersetzen und den nötigen Handlungsspielraum für weitere unvorhergesehene Entwicklungen sicherstellen.

Der Gesetzgeber hat ein umfangreiches Hilfspaket beschlossen, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu bekämpfen. Neben Regelungen zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht durch das Covid-19-Insolvenz-Aussetzungsgesetz (COVInsAG) und weiteren Erleichterungen im Zivil- und Gesellschaftsrecht durch das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie sind mit dem Gesetz zur Errichtung eines Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WStFG) umfangreiche Voraussetzungen geschaffen worden, um Unternehmen zu stützen, die durch die Folgen der Pandemie in eine wirtschaftliche Schieflage geraten.

In diesem Umfeld treffen Vorstand und Aufsichtsrat weitergehende Pflichten. Sie müssen insbesondere die Liquiditätssituation des Unternehmens eng überwachen. Wird erkennbar, dass es zu Engpässen kommen kann, müssen sie Gegenmaßnahmen treffen. Dazu kann es auch gehören, Liquiditätsabflüsse an die Aktionäre durch Gewinnausschüttungen oder Aktienrückkäufe zu verhindern. Für die europäische Bankenlandschaft sieht die Europäische Zentralbank entsprechende Vorgaben vor. Doch auch in andere Branchen werden Gewinnbeteiligungen reduziert oder entfallen vollständig.

Gewinnausschüttung stand oft schon vor der Pandemie fest

Die Herausforderung für Vorstand und Aufsichtsrat liegt derzeit häufig darin, dass die Weichen zur Höhe der Gewinnausschüttung - in Form von Gewinnverwendungsvorschlag und Feststellung des Jahresabschlusses - zu einem Zeitpunkt gestellt wurden, zu dem die Reichweite der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie noch nicht absehbar war. Erst jetzt tritt deutlich zu Tage, wie stark die Liquidität belastet ist. Verschärfend kommt hinzu, dass – ähnlich wie in Frankreich – potenzielle Stützungsmaßnahmen im Rahmen des WStFG davon abhängig gemacht werden dürfen, dass sich das Unternehmen liquiditätsschonend verhält. Was können Vorstand und Aufsichtsrat in dieser Situation tun?

Tatsächlich sind Vorstand und Aufsichtsrat auch in diesem Fall nicht die Hände gebunden. Solange der Jahresabschluss noch nicht festgestellt ist, können Vorstand und Aufsichtsrat die Hälfte des Jahresergebnisses in eigener Kompetenz den Rücklagen zuführen. Dies erfolgt im Zuge der Aufstellung und Feststellung des Jahresabschlusses. Damit ist der entsprechende Teil des Jahresüberschusses der Gewinnverwendungsentscheidung der Aktionäre entzogen.

Aber auch wenn der Jahresabschluss durch den Aufsichtsrat schon festgestellt ist, kann eine solche Thesaurierungsentscheidung noch umgesetzt werden. Denn solange es sich beim Jahresabschluss um ein internes Dokument handelt, sind Vorstand und Aufsichtsrat jederzeit berechtigt, ihn gemeinsam zu ändern. Selbst nach Bilanzpressekonferenz oder Einladung zur Hauptversammlung ist eine einvernehmliche Änderung durch Vorstand und Aufsichtsrat zulässig. Dafür müssen wirtschaftliche Gründe vorliegen, die so gewichtig sind, dass bei verständiger Würdigung das Interesse der Öffentlichkeit und der Aktionäre an der Aufrechterhaltung des festgestellten Jahresabschlusses zurückzutreten hat.

Gefährdet eine Ausschüttung die Liquidität?

Ob eine Änderung vorgenommen werden soll, ist mithin eine Frage der Organverantwortung von Vorstand und Aufsichtsrat. Sie müssen sich in einem ersten Schritt ein umfassendes Bild der Liquiditätssituation des Unternehmens verschaffen.

Dann gilt es abzuwägen, ob eine Gewinnausschüttung, die der Gesellschaft notwendige Liquidität entzieht oder gar erforderliche Stützungsmaßnahmen gefährdet, durch eine Änderung des Jahresabschlusses verhindert werden muss. Dabei müssen die Organe das Vertrauen der Öffentlichkeit, insbesondere des Kapitalmarktes, in den Bestand des Jahresabschlusses sowie der durch eine Änderung ausgelösten Nachteile berücksichtigen.

Zudem können Vorstand und Aufsichtsrat durch einen entsprechenden Gewinnverwendungsvorschlag Einfluss auf den Beschluss der Hauptversammlung über die Gewinnverwendung nehmen. Dabei kann der Vorschlag – zumindest bei Gründen für eine neue Beurteilung – auch nach der Veröffentlichung der Einladung, ja selbst in der Hauptversammlung selbst noch geändert werden.

Interessen der Gesellschaft haben Vorrang

Der Dividendenanspruch der Aktionäre entsteht erst mit Beschlussfassung der Hauptversammlung über die Gewinnverwendung. Dann kann der festgestellte Jahresabschluss in der Regel nicht mehr geändert werden. Sollte aber die Nichtigkeit des Jahresabschlusses oder die Rechtswidrigkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses gerichtlich geltend gemacht werden, muss der Vorstand prüfen, ob er die Auszahlung verweigern kann oder muss.

Liegen entsprechende Fehler vor, können die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat gegebenenfalls sogar selbst dazu verpflichtet sein, eine Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage zu erheben.

Im Falle einer Liquiditätskrise der Gesellschaft haben die Interessen der Aktionäre gegenüber jenen der Gesellschaft zurückzutreten. Es ist die Aufgabe von Vorstand und Aufsichtsrat, auf Basis angemessener Information zu entscheiden, ob entsprechende Maßnahmen anzeigt sind. Ist dies der Fall, müssen sie im Interesse der Gesellschaft handeln – das rechtliche Instrumentarium dazu haben sie.

Die Autoren: Dr. Stefan Suchan und Dr. Ulrich Thölke sind Partner bei KPMG Law. Stefan Suchan leitet die Praxisgruppe für Gesellschafts- und Handelsrecht.

Beteiligte Kanzleie

Zitiervorschlag

Organverantwortung in Krisenzeiten: . In: Legal Tribune Online, 22.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41372 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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