Aus Blei Gold machen: Wird der Brexit das M&A-Geschäft ankur­beln?

Gastbeitrag von Dr. Matthias Heisse und Christof Lamberts

03.05.2018

Mag der Brexit für das vereinte Europa auch noch so betrüblich sein, den M&A-Markt könnte der Austritt Großbritanniens aus der EU durchaus beleben, meinen Matthias Heisse und Christof Lamberts

Es ist fast zwei Jahre her, dass eine Mehrheit in Großbritannien an diesem für Europa schwarzen Junitag 2016 für den Austritt des Vereinigten Königsreichs aus der EU gestimmt hat. Zwar heißt es, die Zeit heile alle Wunden, doch hier hat sie bis zu diesem Tage noch keine Klarheit schaffen können. Das ist auch wenig überraschend, denn bislang hatte noch kein Mitgliedsstaat das Verfahren nach Art. 50 EU-Vertrag bestreiten und aus der EU austreten wollen.

Diese Bestimmung schreibt verbindlich vor, dass der Austritt des Vereinigten Königreichs spätestens bis zum 29. März 2019 erfolgen muss. Der allseits gefürchtete "harte Brexit" wird harte Realität: Das UK wird im Verhältnis zur EU als Drittstaat eingeordnet, was - prima facie - eine erhebliche Schädigung der paneuropäischen Wirtschaftskraft bedeutet.

Besonders das Bankengewerbe und die Leitungsgremien international aufgestellter Konzerne fürchten die Umsetzung des Brexit. Denn nach wie vor spielt sich der europäische Kapitalmarktverkehr zu gut drei Viertel in London als eine Art Hauptnervenstrang für die Wirtschaft des "alten Kontinents" ab. Den Löwenanteil daran haben Finanzierungen und Transaktionen mit Bezug zum M&A Markt.

Wirtschaft wird sich schnell erholen

Je näher wir dem Ende der Brexit-Frist und damit der "Stunde Null" rücken, desto stärker wird auch das Investitionsklima im europäischen Wirtschaftsraum in Mitleidenschaft gezogen werden. Schließlich sehen sich schon jetzt viele Marktteilnehmer in ihrer Handlungsfähigkeit gelähmt. Man scheint zunächst im sicheren Graben verbleiben und die weitere Entwicklung aus der Distanz beobachten zu wollen. Dieses Belauern wird sich erst dann in tatsächliche Aktivität umwandeln, wenn die Austrittsmodalitäten des UK schriftlich ausgehandelt sind. Die Wirtschaft wird sich von diesem gewaltigen Einschlag mit Sicherheit mittelfristig wieder gänzlich erholen.

Wer den Brexit mit einer gewissen Skepsis sieht, liegt freilich nicht ganz falsch. Dennoch: Derart düster, wie unsere (Leit-)Medien die Folgen des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU geflissentlich zu zeichnen versuchen, wird es ganz bestimmt nicht kommen. Gut beratene Unternehmer werden - wie schon ehedem - die Zeichen der Zeit erkennen und zu ihrem Vorteil nutzen zu wissen.

Neue Bewertungen für Industrieunternehmen, die ihre Produkte vor allem in UK vermarkten, dürften im Endergebnis attraktive Kaufpreise nach sich ziehen. Besitzer familiengeführter Unternehmen, eine Garde des für die Bundesrepublik so wichtigen deutschen Mittelstandes, könnten im Brexit ein deutliches Signal zum Verkauf sehen. Dies gerade dann, wenn wie so häufig zu Großbritannien intensive Geschäftsbeziehungen bestehen. Es wären weitere Kohlen für den Maschinen- bzw. Antriebskessel, der den deutschen und europäischen M&A-Markt befeuert.

Transaktionskosten werden steigen

Insbesondere auf kurze Sicht wird es im M&A-Geschäft nur zu marginalen Änderungen kommen. An der Geltung des Europarechts ist schließlich bis zum finalen Abgang des UK aus der EU nicht zu rütteln. Im Anschluss an den Austritt wird die Fusionsrichtlinie in diesem Kontext zwar der Vergangenheit angehören. Dennoch werden sich zäh und unaufhaltsam einzelstaatliche Regelungssysteme ihren Weg bahnen, auch ohne das Kommando Brüssels.

Der Verlust des Status als Kapitalgesellschaft der Limited- und Limited Liability Partnership-Gesellschaften im UK Company Law wird ohne Frage die M&A-Transaktionskosten treiben. Beim Erwerb britischer Gesellschaften dürfte sogar ganz fundamental zu fragen sein, inwieweit in anderen EU-Ländern überhaupt in der (gegenwärtigen) Rechtsform gehandelt werden darf oder ob nicht von Grund auf neue Strukturen aufzusetzen sind.

Es gibt nichts zu beschönigen: Restrukturierungen und vor allem das Gründen neuer Tochtergesellschaften werden zusätzlich Geld kosten, und das nicht zu knapp. Dieser Umstand muss schlichtweg als gegeben hingenommen werden: Jede Auseinandersetzung hat ihren Preis.

Im Fokus: Vertragsrecht …

Ohne Zweifel ist das Vertragsrecht bei M&A-Transaktionen besonders nachhaltig von der Rechtsunsicherheit, die dem Brexit geschuldet ist, tangiert. Das englische Recht wird einer deutlichen Transformation unterzogen werden. Unternehmungen mag nur ein para bellum angeraten sein: Sie sollte sich darauf frühzeitig einstellen - insbesondere in Hinsicht auf die Vertragsdokumentation bei Transaktionen. Rechtzeitig vor dem Austritt des UK muss eine versiert aufgesetzte Due Diligence solcher Vertragswerke vorgenommen werden.

Die Wahl des Gerichtsstandes der Jurisdiktion von England und Wales, aber auch bereits die Verständigung auf englisches Recht für M&A-Verträge selbst, wird es zu umgehen gelten. Ein rechtlicher Schlagabtausch in Bezug auf Unternehmenskäufe folgt, wenn überhaupt, in der Regel erst in erheblicher zeitlicher Distanz nach Vertragsabschluss. Deshalb sind die Konsequenzen des Brexit auf das englische Regelungsgeflecht nicht seriös zu prognostizieren. Rechtswahl und Vertragsrecht nach britischem Maßstab scheinen allerdings schon jetzt verloren.

… und MAC-Klauseln

Von ausschlaggebender Bedeutung werden "Material Adverse Change" (MAC)-Klauseln sein. Sie schützen in der Zeitphase zwischen Signing und Closing die Käuferseite gegen eine Bedrohung ihrer schwachen Flanke, nämlich dass sich die wirtschaftliche Ausgangsbasis des "target", sprich des Zielunternehmens, wesentlich verschlechtert.

Wir werden die verbissen umkämpfte Austrittsverständigung – und damit auch die Drittstaaten-Qualifikation des UK – sehen. Die Finanzierungskosten für M&A-Transaktionen werden Zielgesellschaften und Käufer schon wegen des erhöhten Länderrisikos härter treffen. Im wirtschaftlichen Ringen kann demnach die gewählte Konstruktion solcher MAC-Klauseln in Zukunft entscheidend sein.

Ob sich nun aus dem Blei des Brexit tatsächlich Gold schaffen lassen wird, mag dahinstehen. Allerdings kann dieses wertlose, giftige Schwermetall mit Hilfe des richtigen Büchsenmachers effektiv eingesetzt werden, um die eigenen Interessen zu verteidigen. Der Brexit ist Faktum. Aber Zeiten großen Umbruches führten stets auch zu großen Chancen.

Dr. Matthias Heisse ist Gründungspartner und Managing Partner von Eversheds Sutherland in Deutschland, Christof Lamberts leitet das deutsche M&A-Team von Eversheds Sutherland.

Zitiervorschlag

Aus Blei Gold machen: . In: Legal Tribune Online, 03.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28413 (abgerufen am: 15.11.2024 )

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