Zivilrechtliche Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals: Kommt jetzt die große Kla­ge­welle?

Gastbeitrag von Christoph Meyer

03.08.2021

Der BGH hat rechtskräftig festgestellt, dass die Cum-Ex-Deals Steuerhinterziehung sind. Zudem kommen zivilrechtliche Regressansprüche in Betracht. Eine Welle von Anlegerklagen wird es aber nicht geben, meint Christoph Meyer.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 28. Juli 2021 (Az. 1 StR 519/20) die Strafbarkeit von sogenannten Cum-Ex-Geschäften endgültig festgestellt. Das Urteil ist zwar wenig überraschend, aber dennoch in seiner Konsequenz richtungsweisend. Denn die Entscheidung wird nicht nur Auswirkungen auf die Ausarbeitung des Cum-Ex-Skandals haben. Sie wird auch der Haftungsmaßstab für zukünftige Steuergestaltungen sein, wenn zwar die gesetzlichen Formulierungen schwammig sind, der Sinn und Zweck der Regelung sich aber eindeutig erschließt.  

Bei den Cum-Ex-Geschäften wurden vornehmlich über Banken kurz vor dem Dividendenstichtag Aktien mit Dividendenanspruch ("Cum-Aktien") gekauft, die dann erst nach dem Dividendenstichtag ohne Dividendenanspruch ("Ex-Aktien") geliefert wurden. Die fehlende Dividende hat der Verkäufer als Ausgleichszahlung an den Käufer gezahlt.  

Bei diesem Vorgang wurde auf die Dividenden weder beim Verkäufer noch beim Käufer die Kapitalertragsteuer erhoben. Trotzdem konnte sich der Käufer eine Steuerbescheinigung ausstellen lassen, die zu einer Erstattung der (gar nicht gezahlten) Kapitalertragsteuer führte. Vornehmlich institutionelle Anleger betrieben dieses Geschäftsmodell mit leichten Abwandlungen bis zum Ende des Jahres 2011. Danach gelang es dem Gesetzgeber, sämtliche Lücken im System endgültig zu schließen.  

In der Vergangenheit hatten die Gestalter dieses Geschäftsmodells stets argumentiert, in der Literatur werde an zahlreichen Stellen die Auffassung vertreten, die Handhabung der Erstattung einer nicht gezahlten Steuer sei legal. Es lägen schlicht handwerkliche Fehler in der gesetzlichen Regelung vor. Eine strafbare Handlung scheide aus, da alle Beteiligten die Rechtsauffassung in der Literatur für sich in Anspruch nehmen könnten.  

Steuerschaden im dreistelligen Millionenbereich – aber bis jetzt milde Strafen 

Dieser Auffassung tritt der BGH mit seiner aktuellen Entscheidung konsequent entgegen. Nach Auffassung des 1. Strafsenats sind die gesetzlichen Regelungen eindeutig. Für jeden Juristen, Steuerberater und Bankkaufmann sei anhand der gesetzlichen Regelungen ohne Weiteres klar zu erkennen, dass die Erstattung einer nicht gezahlten Steuer rechtswidrig sei. Hieran könnten auch an anderer Stelle unklar formulierte Gesetzestexte bzw. unklare Abläufe in der Finanzverwaltung nichts ändern.  

Auffallend ist, dass die verhängten Haftstrafen im Verhältnis zum Steuerschaden im dreistelligen Millionenbereich als ausgesprochen milde anzusehen sind. Alle Beteiligten wurden nur zu Bewährungsstrafen verurteilt.  

Aufgrund des Urteils werden die bereits anhängigen Strafverfahren gegen weitere Cum-Ex-Beteiligte – etwa das Verfahren vor dem Landgericht Wiesbaden gegen Steueranwalt Hanno Berger – voraussichtlich zeitnah fortgesetzt. Dem Vernehmen nach sollen zurzeit in Deutschland mehr als 200 Verfahren anhängig sein.  

Eine Verurteilung der Beschuldigten in diesen Verfahren dürfte bei vergleichbaren Sachverhalten überwiegend wahrscheinlich sein. Ob die Urteile dabei immer so milde ausfallen wie im jetzt abgeschlossenen Fall, bleibt abzuwarten.  

Regress für den Fiskus  

Neben der strafrechtlichen Verurteilung hat der BGH in seiner Entscheidung auch die Einziehung von Taterträgen in Höhe von 176 Millionen Euro bei der beteiligten Bank verfügt. Bei einem der verurteilten Berater wurden Taterträge in Höhe von 14 Millionen Euro eingezogen. Täter und Bank haften dabei nach Auffassung des BGH als Gesamtschuldner.  

In der Praxis dürfte sich dies vor allem negativ für betroffene Banken auswirken. Die Banken haften nicht nur für die zu Unrecht erstatteten Steuern, sondern auch für die Provisionen und Vergütungen der Berater, die das jeweilige Konzept erstellt haben.  

Aufgrund einer Gesetzesänderung im Jahr 2000 können sich weder die Banken noch die handelnden Personen auf die Einrede der Verjährung gegen die Einziehung aus dem Strafverfahren berufen. Sollten daher Banken, die an den noch anhängigen Strafverfahren direkt oder indirekt beteiligt sind, solvent sein, kann der Staat – bei konsequenter Verfolgung seiner Ansprüche – noch mit größeren Einnahmen aus dem Cum-Ex-Skandal rechnen.  

Keine große Welle von Anlegerklagen zu erwarten 

Ob die Entscheidung des BGH zu mehr zivilrechtlichen Klagen der verschiedenen Beteiligten gegeneinander führt, dürfte allerdings fraglich sein. Zwar sind derzeit bereits verschiedene gerichtliche Verfahren auf Schadenersatz anhängig. So verklagt hat z. B. die infolge des Cum-Ex-Skandals insolvente Maple-Bank EY auf Schadenersatz in Höhe von 195 Millionen Euro verklagt, weil EY als Berater der Bank nicht auf die bestehende Steuerproblematik hingewiesen habe. Im Mai 2021 haben sich beide Parteien vergleichsweise auf die Zahlung von 12 Millionen Euro geeinigt. 

Darüber hinaus verklagt ein Konsortium internationaler Großanleger das Investmenthaus Macquarie vor dem Landgericht München I ebenfalls auf Schadenersatz im dreistelligen Millionenbereich wegen fehlerhafter Aufklärung im Zusammenhang mit einem Cum-Ex-Geschäft.  

Da die Cum-Ex-Geschäfte jedoch kein breitgestreutes Massenphänomen waren, sondern komplexe Finanztransaktionen, die nur von wenigen, sehr vermögenden Anlegern betrieben werden konnten, ist eine große Welle von Anlegerklagen schon mangels der geringen Zahl von Investoren im Cum-Ex-Bereich nicht zu erwarten.  

Vergleichsweise geringer Schaden der institutionellen Anleger 

Ohnehin dürfte sich der Schaden der vornehmlich institutionellen Anleger in diesen Fällen in Grenzen halten. Ein Schadenersatzanspruch auf Erstattung der zu Unrecht vereinnahmten und an den Staat zurückgezahlten Steuern dürfte nicht gegeben sein. Vielmehr dürfte sich der Schaden auf die jeweiligen Transaktions- und Beraterkosten sowie die Verzinsung der zu Unrecht erlangten Steuern beschränken.  

Sofern Banken von Anlegern in Anspruch genommen werden, müssen unter Umständen auch die Rechtsanwälte und Steuerberater der Banken mit einer Inanspruchnahme rechnen. Die Banken werden voraussichtlich versuchen, den im Außenverhältnis gegenüber dem Anleger entstandenen Schaden auf ihre Berater abzuwälzen.  

Ob die Banken ihrerseits weitergehende Schadenersatzansprüche gegen ihre Berater haben, hängt insbesondere von der individuellen Ausgestaltung des jeweiligen Auftrages ab. In jedem Fall kann es auch für die Berater sehr ungemütlich werden, wie nicht zuletzt die Klage der Maple-Bank gegen EY zeigt.  

Verjährungsbeginn spätestens mit Rückforderungsbescheid des Finanzamts 

Ein weiteres Problem bei der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen ist die Verjährung. Die Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche aus Cum-Ex-Geschäften beträgt drei Jahre. Diese Frist beginnt spätestens dann zu laufen, wenn der betroffene Anleger das schädigende Ereignis kennt. Spätestens mit dem Zugang des Steuerbescheides, der den geschädigten Anleger zur Rückzahlung der zu Unrecht gezahlten Kapitalertragsteuer verpflichtet, liegt diese Kenntnis vor. Da die Cum-Ex-Modelle Ende 2011 faktisch beendet waren, wird der Beginn der Verjährung für die meisten Anleger mit dem Erhalt des (geänderten) Steuerbescheides für das Jahr 2011 beginnen.  

Aufgrund der umfangreichen steuerlichen Aufarbeitung der Cum-Ex-Fälle bereits deutlich vor dem Urteil des BGH aus dem Juli 2021 dürften die meisten Anleger die geänderten Steuerbescheide schon lange erhalten haben.  

Allerspätestens mit der Veröffentlichung des kürzlich ergangenen BGH-Urteils dürfte auch der letzte Anleger erkannt haben, dass Schadenersatzansprüche wegen der Strafbarkeit des Vorgangs im Raum stehen. Auch wegen dieser Verjährungsproblematik ist eher keine große Klagewelle im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften zu erwarten. Vielmehr werden sich diejenigen, die ihre Ansprüche schon jetzt gerichtlich verfolgen, auf deren Durchsetzung konzentrieren.

Christoph Meyer ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht sowie Partner bei SKW Schwarz Rechtsanwälte in München.

Beteiligte Kanzleien

Zitiervorschlag

Zivilrechtliche Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals: . In: Legal Tribune Online, 03.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45635 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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