Dazu folgende Definition bei Wikipedia: "Bei der retrograden (rückwirkenden) Amnesie tritt ein Gedächtnisverlust für den Zeitraum vor Eintreten des schädigenden Ereignisses auf (im Gedächtnis gespeicherte Bilder oder Zusammenhänge können nicht in das Bewusstsein geholt werden)."
Konkret ist als "Zeitraum vor Eintreten des schädigenden Ereignisses" die Zeit vor dem Strategiemeeting zu verstehen. Das "schädigende Ereignis" ist die konkrete Nachfrage nach der Umsetzung. Regelmäßig erlebe ich, dass Juristen aus Strategiemeetings gehen – hochdotierte, kluge Menschen – und unmittelbar mit dem Schließen der Tür des Besprechungsraumes die 'Reset-Taste' gedrückt wird. Fast könnte man eine Challenge veranstalten: "Wer verdrängt am schnellsten".
Ein Protokoll wird noch gefertigt und versandt, gelesen wird es schon häufig nicht mehr. Die Inhalte des Meetings, der Grund der Zusammenkunft, das Feuer der Begeisterung für neue Ideen - weg. Alles weg. Aufgefressen vom Tagesgeschäft.
Das leidige Tagesgeschäft – und die Rettung
Ich bin mir sicher, es gibt keine andere Branche, in der "das Tagesgeschäft" so intensiv bemüht wird, um den eigenen Bewegungsmangel zu rechtfertigen wie die Rechtsbranche. Das ist wahrscheinlich u.a. dem Umstand geschuldet, dass in Unternehmen ein Projekt-Management die Regel ist, bei Juristen aber eher als ein exotischer Hauch unternehmerischen Handelns wahrgenommen wird. Sprich, sie sind nicht geübt.
Wenn Strategiegespräche tatsächlich protokolliert werden, wird häufig die Sekretärin mit dem Nachhalten beauftragt. Spätestens, wenn sie zweimal abgeblitzt ist, weil hinter einem großen Monitor ein blasser, mürrisch dreinschauender Berufsträger das Wort "Tagesgeschäft" herausgepresst hat, hat es sich erledigt. Keiner fragt mehr, nichts bewegt sich und das Strategiemeeting im nächsten Jahr wird als noch lästiger empfunden. Weil ja eh nichts passiert.
Die Rettung aus der Tagesgeschäft-Falle ist möglich und fast schon trivial. Planen Sie – so gut wie möglich – Ihre Tätigkeit und vermeiden Sie Prokrastination. Wenn Sie es ernst meinen mit Steuerung des Unternehmens Kanzlei, strategischer Vertriebsaktivität und Produktentwicklung, dann entziehen Sie sich dem "Tagesgeschäft" temporär.
Stürzen Sie sich ins Denkvergnügen
Räumen Sie sich einen Tag im Monat frei. Trinken Sie am Abend vorher keinen Wein, stehen Sie morgens auf, schalten Sie Ihr Telefon aus, gehen Sie an der Isar joggen oder atmen Sie die Morgentau-geschwängerte Berliner Luft. Verweigern Sie jedwede Ablenkung und stürzen Sie sich ins Denkvergnügen. Das geht auch in der Gruppe.
Schreiben Sie Ihre Ideen auf, und wenn Sie Starthilfe bei der Ideenentwicklung benötigen, lassen Sie sich durch Ihr Strategiemeeting moderieren. Beauftragen Sie nach dem Meeting die Sekretärin zum Nachhalten und nehmen Sie sich eine Stunde Zeit in der Woche, um Ihre Strategie umzusetzen, Mandanten anzuschreiben, eine Pressemitteilung zu verfassen oder Konkurrenzbeobachtung vorzunehmen.
Bedanken Sie sich bei Ihrer Sekretärin für ihre Zähigkeit und betrachten Sie den Prozess zum Umsetzen einer Strategie als konstruktiven Akt der Persönlichkeitspflege und eine Erinnerung daran nicht als Schuldzuweisung. Wenn Sie Wettbewerb lieben, lassen Sie sich eine Tabelle anlegen und stellen Sie die Aufgaben und die Fortschritte öffentlich in der Kaffee-Küche dar.
Wenn Sie das nächste Mal argumentieren, Ihr "Tagesgeschäft" erschlage Sie, hinterfragen Sie bitte, was Sie eigentlich damit meinen (ich habe keine Lust, ich glaube nicht daran, ich will hier ohnehin schnellstmöglichst die Segel streichen). Und denken Sie vielleicht an folgendes: Wenn Sie heute Bewegung verweigern mit dem Argument des Tagesgeschäftes, werden Sie vielleicht schon morgen kein Tagesgeschäft mehr haben, das Sie angemessen ernährt.
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