Air Berlin wird zwar vorerst nicht zerschlagen, jedoch hat die Lufthansa ihr Interesse an Teilen der insolventen Fluggesellschaft bekräftigt. Martin Bechtold spielt einige Übernahmeszenarien und ihre kartellrechtlichen Folgen durch.
Noch brodelt die Gerüchteküche, und außer den Beteiligten weiß keiner, welchen Plan die Deutsche Lufthansa für die Übernahme eines Teils des Geschäfts der insolventen Air Berlin vorlegen wird. Ebenso unbekannt ist, welche Ziele andere Interessenten verfolgen. Überlegungen zur kartellrechtlichen Zulässigkeit dieser Pläne und ihrer Chancen auf Verwirklichung bleiben deshalb spekulativ. Dennoch lohnt es sich, sich ein paar Gedanken dazu zu machen.
In vergangenen Fällen - nicht zuletzt bei den Zusammenschlüssen von Lufthansa und SN Brussels Airlines sowie Lufthansa und Austrian Airways - hat sich eine inzwischen als gefestigt zu bezeichnende Praxis der Kartellbehörden entwickelt: Die Vorhaben werden fusionskontrollrechtlich getrennt für jede beflogene Strecke geprüft und darüber hinaus wird zwischen Geschäftsreisenden, Privatreisenden und Charterfliegern unterschieden.
Bislang üblich: Einzelne Slots an Wettbewerber abgeben
Wenn es dabei in der Vergangenheit zu Überschneidungen kam und effektiver Wettbewerb auf bestimmten Strecken gefährdet war, wurde dem typischerweise dadurch abgeholfen, dass sich die Übernehmer verpflichteten, einzelne Slots an Flughäfen, an denen sie eine besonders starke Stellung hatten, an interessierte Wettbewerber abzugeben. Eine davon abweichende Prüfung wurde, soweit ersichtlich, nur bei dem Wet Lease von Air-Berlin-Flugzeugen durch die Lufthansa vorgenommen, weil damals gerade keine Slots und kein Geschäft auf bestimmten Strecken übernommen, sondern nur Flugzeuge und Besatzungen gemietet wurden.
Eine Kombination von Lufthansa und Air Berlin unterschiede sich aber von den bisherigen Fällen - möglicherweise mit Ausnahme von Aegean/Olympic Airways, der nur über die failing company defense genehmigt, und Ryanair/Air Lingus, der untersagt wurde. Denn hier ginge es um die Kombination der beiden einzigen Fluggesellschaften mit (ziemlich) umfassendem Angebot auf Strecken in demselben Land.
Soll der Erwerber Slots für ganze Streckenbündel abgeben?
Für die beschriebene punktuelle Betrachtung der Wettbewerbsbehörden gibt es gute Gründe. Der Passagier möchte mit einem Flug von A nach B kommen, alternative Angebote auf der Strecke B – C nützen ihm wenig. Aber das gilt nicht für alle Passagiere uneingeschränkt. Häufig fliegende Geschäftsreisende interessiert auch, ob sie einen Anschlussflug von derselben Fluggesellschaft bekommen, denn nur dann muss die Fluggesellschaft bei Verspätungen für das Weiterkommen des Passagiers sorgen.
Sie benötigen zudem auf einander abgestimmte Flugpläne, weil sie oft mehrere Ziele nacheinander anfliegen, und sie nutzen die Vorteile der Vielfliegerprogramme. Jedenfalls dieser Klientel ist mit der Wiederherstellung des Wettbewerbs auf ausgewählten Routen nicht wirklich gedient. Wenn der Wettbewerb bei einer Streckenbetrachtung durch den Verkauf von Slots aufrechterhalten wird, aber die alternativen Anbieter immer nur Segmente des innerdeutschen oder innereuropäischen Flugverkehrs abdecken, sind sie für die Geschäftsreisenden, eine für die Fluggesellschaften wichtige Zielgruppe, keine vollwertige Alternative zu einem Anbieter mit umfassendem Flugplan, der vom Markt verschwindet.
Könnte also der Übernehmer von den Kartellbehörden gezwungen werden, Slots für ganze Streckenbündel abzugeben, selbst wenn auf einzelnen der betroffenen Strecken isoliert betrachtet durchaus erheblicher Wettbewerb besteht? Aus Fällen in anderen Industrien, über die die EU Kommission entschieden hat, ist das nicht unbekannt, wenn nur so ein leistungsfähiger Wettbewerber geschaffen werden kann.
Crown-Jewel-Konzept: Übernahme könnte wirtschaftlich uninteressant werden
Viele Flüge der Air Berlin waren angeblich unterausgelastet, was teilweise auch an den unattraktiven Slot-Zeiten gelegen haben soll. Eine Gesellschaft, die nur eine bestimmte Strecke bedient und mit einem solchen Flug nicht – wie die Lufthansa – als Zubringer für ihre Langstreckenflüge nutzt, wird an solchen Slots kaum Interesse haben. Ihr Verkauf mag deshalb auf wenig oder kein Interesse stoßen.
Was passiert in solchen Fällen? Nimmt man das Entstehen eines Streckenmonopols dann achselzuckend in Kauf? Der Übernehmer könnte im Sinne des Crown-Jewel-Konzepts der EU Kommission dazu gezwungen werden, seine attraktiven Kernzeiten-Slots abzugeben. Dies kann aber schnell dazu führen, dass die Transaktion dann wirtschaftlich zweifelhaft wird.
Denkbar wäre auch, dass ein Interessent das bestehende Geschäft nur dort erwirbt, wo wettbewerbsrechtliche Probleme nicht zu erwarten sind, und zudem die ganze Flugzeugflotte nebst Personal übernimmt. Dahinter könnte die Erwartung stehen, dass der Erwerber einen Teil der dann zurückfallenden, weil nicht mehr genutzten Slots ohnehin wieder bekommt. So würde sich der schnelle Marktzutritt eines leistungsfähigen umfassenden Wettbewerbers jedenfalls erheblich erschweren.
Ein Zusammenschluss von Lufthansa und Air Berlin wirft mithin viele Fragen auf. Wie sie beantwortet werden, ist offen und hängt sicher auch von der konkreten Ausgestaltung eines solchen Übernahmeplans ab. Der politische Wunsch, einen starken nationalen Champion zu schaffen, sollte dabei allerdings keine Rolle spielen. Sonst bezahlt der Verbraucher die Zeche.
Martin Bechtold ist Partner bei Eversheds Sutherland und Head of Competition (Germany). Er hat beteiligte Unternehmen in zahlreichen großen Fusionskontrollfällen vertreten.
Wettbewerb: . In: Legal Tribune Online, 25.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24135 (abgerufen am: 12.11.2024 )
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