Die Adjudikation ist vor allem als zügige Streitbeilegung im Baurecht bekannt. Das Instrument kann aber deutlich mehr, vor allem, wenn die Parteien weiter zusammenarbeiten wollen – oder müssen, erklärt Mathias Wittinghofer.
Die COVID-19-Pandemie scheint zumindest in weiten Teilen Europas ihren Höhepunkt überschritten zu haben. Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise sind hingegen nahezu sämtlichen Bereichen unübersehbar. Die Bundesregierung hat mit beispiellosen Hilfspaketen Unternehmen und Selbstständige gestützt. Gleichwohl ändert dies nichts daran, dass unzählige Lieferketten unterbrochen wurden, vielerorts die Produktion wochenlang stillstand, Transaktionen gestoppt wurden und Exportmärkte immens eingebrochen sind.
In "normalen" Zeiten sähen sich die Gerichte nun garantiert einer enormen Prozesswelle gegenüber. Doch in Corona-Zeiten mag es anders kommen: Gefühlt sitzen alle im gleichen Boot und alle wünschen sich baldmöglichst den normalen Geschäftsbetrieb zurück. Unternehmen schrecken stärker als früher davor zurück, ihre Geschäftspartner zu verklagen und damit womöglich ein Ende der Geschäftsbeziehung zu zementieren.
Deshalb ist für viele die Alternative Streitbeilegung (ADR) jetzt eine ernstzunehmende Option. Entsprechend war in den vergangenen Wochen häufiger zu lesen, dass die Zahl der Mediationen in Zeiten der COVID-19-Pandemie steigt. Und dass ein Mediator in den unterschiedlichsten Konstellationen – vom arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz bis zum Zulieferstreit – den Interessenausgleich zwischen den Parteien befördern kann. Allerdings basiert die Mediation darauf, dass die Parteien zu einer einvernehmlichen Einigung gelangen, die sie gemeinsam unter der Anleitung des Mediators erarbeiten. Das funktioniert keineswegs immer. Entweder besteht die Bereitschaft dazu nicht oder – aus welchen Gründen auch immer – es ist schlicht die Entscheidung eines neutralen Dritten erforderlich.
Entscheidung durch unparteiischen Dritten
Hier kommt die Adjudikation ins Spiel. Bei der Adjudikation ziehen die Parteien einen Dritten hinzu, der sie nicht wie bei der Mediation bloß dabei unterstützt, im Verhandlungsweg zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen. Vielmehr trifft der Adjudikator auf Basis der Parteivorträge durchaus selbst eine Entscheidung – und zwar für die Parteien (zunächst) verbindlich. Sie muss beachtet werden; eine Missachtung stellt einen schwerwiegenden und vorsätzlichen Vertragsbruch dar.
Das Besondere ist allerdings: Anders als bei durchaus auch mal Jahre dauernden Schiedsverfahren geht diese Vereinbarung schnell und die Entscheidung kann auf Initiative einer Partei von einem Gericht oder Schiedsgericht später noch überprüft und aufgehoben, ja sogar umgekehrt werden. Der Adjudikator stellt also sicher, dass die Streitsache zunächst beigelegt und Stillstand vermieden wird. Beide Seiten haben aber später noch die Möglichkeit, von einem Gericht feststellen zu lassen, ob das Ergebnis der Adjudikation in der Sache richtig war.
Mehr als eine Lösung für Bauprojekte
Grundsätzlich wird die Adjudikation fast ausschließlich im Baubereich, meist bei großen Anlagen- und Infrastrukturprojekten angewendet. Der Grund ist, dass gerade hier ein Projekt nicht daran scheitern soll, dass ein Streit zwischen den Projektbeteiligten es auf lange Zeit zum Stillstand bringt. Streiten etwa Bauherr und Bauunternehmen darüber, inwieweit zusätzliche Arbeiten extra zu vergüten sind oder ist – wie in der Praxis tatsächlich häufiger der Fall – welches Gewerk für welche Teilbereiche die Verantwortung trifft, kostet es im Zweifel Millionen, die Arbeiten bis zur Entscheidung ruhen zu lassen. Nötig ist also eine rasche Entscheidung, damit das Projekt weiterläuft. In dem Wissen, dass die Entscheidung nicht unumstößlich ist, lassen sich die Beteiligten leichter auf den vom Adjudikator vorgezeichneten Weg ein.
Das Anwendungsgebiet der Adjudikation ist aber breiter. Sie kann schlussendlich überall dort eingesetzt werden, wo eine rasche Entscheidung erforderlich ist, mag sie auch nur vorläufig sein, solange nur ein Stillstand überwunden werden kann. Ob ein Mangel durch Nachbesserung oder durch Ersatzlieferung zu beseitigen ist, ob ein Lizenzvertrag auch zur Unterlizensierung berechtigt, oder ob die finanzielle Last für die Beseitigung eines Umweltschadens von einer Partei oder von beiden gemeinsam zu tragen ist – all dies war in der Praxis schon Gegenstand einer Adjudikation.
Standard-Klauseln nicht blind übernehmen
Wie können Unternehmen eine Adjudikation anstoßen? Es beginnt damit, dass sie sich zuerst vertraglich darauf einigen. Entsprechende Standard-Klauseln stellt etwa die Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) zur Verfügung. Gleichermaßen kann die DIS bei der Auswahl des Adjudikators behilflich sein. Ratsam und in vielen Fällen sogar unerlässlich ist es allerdings, die Verfahrensordnung der konkreten Situation anzupassen. Die Parteien sollten sich insbesondere darauf einigen, nur einen – nicht drei – Adjudikatoren zu berufen. Außerdem sollten sie die in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Fristen maßgeblich kürzen, um eine rasche Entscheidung herbeizuführen.
Die mit der Adjudikation verbundenen Kosten liegen weit unter denen eines Gerichtsverfahrens. So hat das Modell auch den Vorteil einer weitgehend kostengünstigen Lösungsmöglichkeit. Voraussetzung ist natürlich, dass das Ergebnis der Adjudikation im Nachhinein nicht mehr angegriffen wird. Die bisherigen Ergebnisse in dieser Hinsicht sind aber sehr vielversprechend.
Der Autor Dr. Mathias Wittinghofer ist Partner der Sozietät Herbert Smith Freehills in Frankfurt am Main im Bereich Dispute Resolution. Der Anwalt ist Mitglied u.a. der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) und dort regelmäßig als Schiedsrichter tätig.
Adjudikation als Weg zur alternativen Streitbeilegung: . In: Legal Tribune Online, 13.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42177 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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